Kinder sollen Ma(r)l mitentscheiden: Stadtentwicklung per App
Projekt „Marl geht App“, MaKi-Mobil Marl
Projekt „Marl geht App“, MaKi-Mobil Marl
Klick. Das Foto auf dem Tablet zeigt einen Spielplatz im grellen Sonnenschein. Mit wenigen Strichen zeichnet ein Junge ein Sonnensegel auf das Foto und schreibt dazu: Auf dem Zechenplatz ist zu wenig Schatten.
„Wir gehen mit Tablets? – Ich komme mit!“ Ein halbes Jahr lang haben Marler Kinder und Jugendliche auf Tablets das in ihren Stadtteilen fotografiert, was in ihren Augen verändert werden sollte oder ihnen gefällt. Dazu konnten sie den jeweiligen Ort auf einer Karte der Stadt markieren und kommentieren: malend, sprechend oder schreibend. Möglich war dies mit der App „stadtsache“. Begleitet wurden sie von Mitarbeiter*innen des Marler Spielmobils, dem MaKi-Mobil, und der Stadtteilbüros – mit dem Ziel, Kinder und Jugendliche aktiv an der Stadtentwicklung zu beteiligen.
Gefährliche Schulwege, Spielwiesen voller Hundekot, hässliche Graffitis, Müll im Park, die Kinder fotografierten, zeichneten und kommentierten mit viel Elan. „Die Handhabung der App und der Tablets ist einfach, viele Kinder haben Smartphones, kennen sich aus. Wo wir als Erwachsene lange überlegen, machen Kinder einfach. Und es funktioniert auch für die, die noch nicht schreiben können: Sie konnten etwas ins Foto einzeichnen oder etwas dazu aufsprechen.“
Die Tablets seien Türöffner für das Beteiligungsprojekt gewesen, erzählt Projektleiterin Luisa Müller vom MaKi-Mobil. Einmal wöchentlich gingen Gruppen von den Standorten des MaKi-Mobils und den Stadtteilbüros auf Tour. Über die Stadtteilbüros beteiligten sich feste Gruppen, an Spielmobil-Standorten wurden die Gruppen spontan gebildet, so zogen auch mal 30 bis 50 Kinder los.
Schnell wurden sie von Beobachter*innen zu Akteur*innen, was die Gestaltung der Stadt anging. Ein Beispiel: Neben praktischen Ideen wie „Hier müsste ein Mülleimer stehen“, fragten sie bald schon vor Entdeckungstouren „Können wir noch Handschuhe, Müllzange und Müllbeutel holen?“, um den Müll gleich einzusammeln.
Einfach mal mitmachen und -entscheiden können – diese Erfahrung haben Kinder an MaKi-Mobil-Standorten auch schon vor dem „Marl geht App“-Projekt gemacht. „Ich habe gerade Gitarre gespielt, das habe ich noch nie vorher gemacht, ich musste das jetzt einfach mal ausprobieren“, so berichtet etwa ein Kind strahlend. „Wir fahren ja direkt in die Lebensräume der Kinder“, erzählt die Leiterin des MaKi-Mobils, „sie erfahren: ‚Das Spielmobil kommt zu mir nach Hause, ich gehe vor die Tür und erlebe Kulturelle Bildung hautnah. Ich muss nicht ins Museum oder die Musikschule‘. Etwas, das für die Familien vielleicht zu teuer oder aus anderen Gründen nicht möglich ist.“ Mit ihrem niederschwelligen Angebot nehmen Spielmobile daher eine zentrale Rolle für Kulturelle Bildung und Partizipation ein, ist Luisa Müller überzeugt.
„Zu Beginn des Projektes haben wir im Kinderkreis der Stadtteilbüros gefragt: Was ist euch wichtig?“, so Projektleiterin Luisa Müller. Daraus entstanden fünf Fragen, zu denen Beobachtungen in der App gesammelt werden sollten: Sicherheit, Sauberkeit und Freizeitorte waren wichtige Themen für die Kinder. Außerdem wollte das Team noch wissen: „Wo sollte deiner Meinung nach das MaKi-Mobil stehen?“. „Denn im Kinder- und Jugendhilfe-Ausschuss, der dies entscheidet, sitzen ja nur Erwachsene“, erzählt Luisa Müller. „Als letzten Punkt haben wir noch ‚Wünsch Dir was. Wenn ich Bürgermeister*in von Marl wäre, dann …‘ aufgenommen, weil die Kinder vor Ideen sprudelten.“
Wenn etwas nicht gemacht werden kann, müssen Kinder eine vernünftige Antwort von Politik und Verwaltung bekommen, warum es nicht funktioniert. Diese muss offen gestaltet sein, damit die Kinder es wirklich verstehen. Sonst denken sie: Auf mich wird nicht gehört.
Luisa Müller
Das Projekt hat das MaKi-Mobil mit der Kinder- und Jugendbeauftragten Marls durchgeführt. Die Stadt hat die Beteiligung von Kindern an relevanten Vorhaben festgeschrieben. Etwas, das zuvor im Alltag nicht immer leicht umzusetzen war, wie die Spielmobil-Leiterin weiß, etwa, wenn sie und ihr Team kurzfristig eine Beteiligung für ein Spielplatzvorhaben organisiert haben.
„Achtung Kinder!“ – Mit weißer Farbe pinseln Kinder ein Piktogramm auf eine Straße. Kein Autofahrer hält sich an die 30er Zone dort, das hat sie gestört. Schablonen und Farbe hat die Gruppe vom Zentralen Betriebshof Marl bekommen. Andere Kinder malen Muster in leuchtenden Farben auf öffentliche Mülleimer. Die Idee dahinter: Vielleicht werfen die Menschen ihren Abfall ja eher in den alten Mülleimer, wenn sie ihn auch sehen. Konkrete Handlungen aus dem Projekt abzuleiten, war für die Projektleiter*innen und das Team sehr wichtig. Am Ende des Projektes wurde deshalb mit den Kindern sortiert: Was können wir selbst schnell ändern? Wo muss die Stadt entscheiden und handeln? Was dauert vielleicht fünf, sechs Jahre?
Und manches geht auch gar nicht, das haben die Kinder schon auf ihren Entdeckertouren mit der App gelernt. „In ein Foto vom Kanal hat ein Junge ein Trampolin eingezeichnet als Wasserspielplatz.“ Eine tolle Idee, bestätigte Luisa Müller, „aber das wird wahrscheinlich nichts, weil dann die Schiffe nicht mehr fahren können.“ Das hätte der Junge verstanden, so Luisa Müller. Oder: „Die Kinder dachten: Wir sagen das dem Bürgermeister und der macht das dann“, wir haben ihnen erklärt: „Der Bürgermeister kann nicht alles entscheiden, der hat Berater*innen in Ausschüssen, dort wird entschieden.“
Für sie ist es ein wichtiger Aspekt der Partizipation, verstehen zu können, warum manche Wünsche nicht umgesetzt werden können. „Wenn etwas nicht gemacht werden kann, müssen Kinder eine vernünftige Antwort von Politik und Verwaltung bekommen, warum es nicht funktioniert. Diese muss offen gestaltet sein, damit die Kinder es wirklich verstehen. Sonst denken sie: Auf mich wird nicht gehört“, erklärt die Projektleiterin. Verstanden haben sie auch, dass eine Rutsche etwa nicht einfach ersetzt werden kann, weil sie noch zu neu ist, obwohl die Kinder sie gefährlich finden. Dafür gab es die Zusicherung: „Diese Rutsche kaufen wir nicht mehr für andere Spielplätze.“
Die gute Zusammenarbeit mit der Stadt war insgesamt ein Schlüssel für den Erfolg des Projektes. „Wenn die Kinder- und Jugendbeauftragte im Bauhof anruft, um Farben und Schablonen zu leihen, oder an anderer Stelle danach zu fragen, welche Mülleimer zur Bemalung freigegeben werden können, geht das schnell. Wir vom Spielmobil allein wären vielleicht gar nicht durchgekommen.“ Auch der Stadtplaner, der Bilder von Sperrmüll vor Wohnhäusern in den „Müll-Ausschuss“ trägt, erreicht eher, dass sich jemand des Problems annimmt.
„Patrouille zu laufen“, was nun passiert, das sei für den Beteiligungsprozess auch jetzt noch sehr wichtig, betont Luisa Müller. Aber sie hat auch noch einen anderen Tipp: „Beteiligung ist wichtig, aber man darf den Spaß nicht vergessen. Etwa: ‚Fotografiere etwas Blühendes!‘ als zusätzliche Aufgabe in der App oder einfach noch eine halbe Stunde auf dem Spielplatz zu spielen, nachdem man mit dem Tablet gearbeitet hat.“
Auch für das MaKi-Mobil hat sich etwas verändert. Einmal monatlich steht das Spielmobil jetzt auch in Stadtteilen, die seit Bestehen des MaKi-Mobils vorher noch nie einen Standort hatten.
Text: Julia Göhring
Der Beitrag ist erstveröffentlicht in: Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung e. V. (2022): Beteiligung – ein Recht, in echt!, kubi – Magazin für Kulturelle Bildung. No. 23-2022. Berlin. S. 30 – 33.
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