Kein Kooperationsprozess ist wie der andere
Im Gespräch mit Gisela Wibbing
Im Gespräch mit Gisela Wibbing
Gisela Wibbing ist seit 2010 Referentin bei der Arbeitsstelle Kulturelle Bildung NRW. Sie berät Schulen, die ein Kulturprofil entwickeln, und Netzwerke und Kommunen, die sich hinsichtlich Kultureller Bildung strategisch aufstellen möchten. Zuvor war sie Realschullehrerin und Schulleiterin.
Es geht heute nicht mehr nur um Wissensvermittlung und Kompetenzerwerb. Schule ist ein sehr multiples Feld mit vielen Querschnittsaufgaben geworden. Dazu gehören z. B. auch Bereiche, die früher die Familie übernommen hat, wie Betreuen, Erziehen aber auch Beaufsichtigen und Beraten. Auf die Veränderungen in der Welt muss Schule immer wieder neu reagieren. Lehrerinnen und Lehrern müssen heute – zusätzlich zur fachlichen Ausbildung ihrer Schülerinnen und Schüler, viele Dinge im Blick haben. Sie planen die pädagogische Gestaltung ihres schulischen Umfelds, wobei sie eine Reihe gesellschaftsrelevanter Aspekte berücksichtigen müssen: u. a. Chancengerechtigkeit, individuelle Förderung, Inklusion und Integration, interkulturelle Ansätze, Demokratie, soziales Miteinander und Respekt, Sprachbildung, Umweltschutz und Nachhaltigkeit, Berufsvorbereitung, Umgang mit neuen Medien. Aber auch Dinge wie Ernährungsberatung, sexuelle Aufklärung, Gesundheitserziehung oder Suchtprophylaxe und natürlich: Kulturelle Bildung. Es geht darum, die Lebenswelt der jungen Generation mit zu gestalten. Dabei sind Schulen auf die Kooperation mit außerschulischen Partnern angewiesen.
Wenn ich Kulturelle Bildung als einen wertvollen Aspekt in der Schule sehe, dann kann Kulturelle Bildung nicht nur ein nettes Add-on sein, sondern es sollte sich durch die ganze Schullandschaft ziehen.
Gisela Wibbing, Arbeitsstelle Kulturelle Bildung NRW
Jeder Kooperationsprozess ist anders und muss individuell gestaltet werden. Das ist sehr stark von den beteiligten Personen abhängig. Wie sind die Lehrerinnen und Lehrer, wie sind die Künstlerinnen und Künstler aufgestellt? Passt das, wie harmonieren sie? Können sie auf pädagogischer und fachlicher Ebene überhaupt miteinander zusammenarbeiten? Stimmt die Chemie oder passen bestimmte Dinge nicht? Kein Kooperationsprozess ist wie der andere und trotzdem gibt es bestimmte Gelingensbedingungen, die Kooperationsprozesse allgemein erleichtern.
Schulen und außerschulische Partner müssen zunächst einmal überlegen, warum sie überhaupt kooperieren wollen. Ob es für die Schule darum geht, den Schülerinnen und Schülern eine andere Art von Selbstwirksamkeit, eine andere Art von Selbsterfahrung möglich zu machen oder auch um eine erweiterte didaktische Herangehensweise über kulturelle Methoden im Fachunterricht. Ob es für außerschulische Akteure um Audience Development geht, oder ob sie einfach gern mit Kindern und Jugendlichen zusammen arbeiten, weil sie auch in ihrer Einrichtung einen entsprechenden Bildungsauftrag haben, den sie realisieren möchten. Und was auch klar sein muss, ist, welche Art von Kooperation man miteinander eingehen möchte. Möchte ich z. B. als außerschulischer Partner lediglich als Dienstleister irgendwo agieren oder möchte ich als gleichberechtigter Gestalter mitwirken.
Alle Schulen, die ich auf ihrem Weg der Entwicklung eines kulturellen Profils begleitet habe, haben mir früher oder später folgendes zurückgemeldet: „So wie wir in den Prozess hineingegangen sind, kommen wir nicht wieder heraus!“ Durch die künstlerisch-kulturelle Öffnung, durch das Zulassen des anderen Denkens, verändern sich ganz viele Dinge, ändert sich die Zusammenarbeit, ändern sich Unterrichtsformate und AG-Formate, ändern sich Haltungen, ändert sich der Blick auf die Schülerinnen und Schüler. Es ist eine Menge, was durch kulturelle Schulentwicklungsprozesse in Bewegung kommt, wenn die Bereitschaft für Öffnung, Veränderung und Entwicklung da ist.
In erster Hinsicht müssen Schulen natürlich den Wert Kultureller Bildung für sich erkennen und eine Affinität zu Kultureller Bildung haben. Dabei können außerschulische Partner durch ihre Expertise unterstützen. Alle, die an Schule beteiligt sind, müssen wissen, dass Kulturelle Bildung für die Persönlichkeitsentwicklung von Schülerinnen und Schüler einen großen Wert hat. Das gesamte Kollegium dafür zu begeistern, den Fächer der Kulturellen Bildung soweit aufzumachen, dass auch sie sich darin wiederfinden, ist für mich ein wichtiger Punkt. So kann jeder Kollege und jede Kollegin sehen: „Ah, auch in meinem Fach kann ich Kulturelle Bildung unterstützen, kann ich Kulturelle Bildung mit einbringen.“ Hier muss vor allen Dingen die Schulleitung von Anfang an einen wichtigen Part übernehmen und mit ihren Kolleginnen und Kollegen gemeinsam eine Vision entwickeln.
Dann müssen entsprechende Prozesse der Struktur- und Organisationsentwicklung in Gang gesetzt werden. Wenn ich also Kulturelle Bildung als einen wertvollen Aspekt in meiner Schule sehe, dann kann Kulturelle Bildung nicht nur ein nettes Add-on sein, sondern es sollte sich durch die ganze Schullandschaft ziehen. Das heißt, dass Kulturelle Bildung nicht nur am Nachmittag im Ganztag stattfindet, sondern insbesondere auch den Fachunterricht durchzieht und kulturelle Projekte, Angebote und Aktionen auch am Vormittag durchgeführt werden.
Schulen brauchen die externe Beratung im Rahmen einer Prozessbegleitung. In Nordrhein-Westfalen verfügen wir für die kulturelle Schulentwicklung mittlerweile über verschiedene Unterstützungssysteme und einige erfolgreiche Modelle. Das heißt, da können Schulen von den Prozessen, die anderswo schon durchlaufen worden sind, lernen.
Was allerdings auch sehr wichtig ist, ist eine entsprechende finanzielle Ausstattung dieser Schulen. Wie heißt es doch: Ohne Moos nix los. Die Erweiterung des kulturellen Angebots einer Schule und die damit verbundene Zusammenarbeit mit Kulturpartnern kostet Geld!
MINT-Schulen, also Schulen, die einen Schwerpunkt im naturwissenschaftlich-technischen Bereich haben, werden fast immer von Firmen finanziell unterstützt. Ähnliches gilt für Schulen, die im Sport-Bereich Schwerpunkte gesetzt haben. So etwas finden wir im kulturellen Bereich bislang leider selten. Es ist wichtig, dass Künstlerinnen und Künstler angemessen bezahlt werden für das, was sie kulturpädagogisch leisten, und dafür brauchen Schulen mit Kulturprofil spezifische Wege der Finanzierung, z. B. durch eine Teilnahme am NRW Landesprogramm Kultur und Schule.
Das Interview ist erstveröffentlicht in „Themenheft Bündnis. Potenzial: Kooperation. Bündnisarbeit zwischen Kultur, Sozialraum und Bildung“ der Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung (BKJ) (2016).
Erneut wurde es veröffentlicht in der Arbeitshilfe „Kulturelle Schulentwicklung. Mit Kunst und Kultur Schule gestalten“ der Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung (2019):
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