In partizipativen Kunstprojekten Demokratie ausprobieren
Kulturlandbüro des Landkreises Vorpommern-Greifswald
Kulturlandbüro des Landkreises Vorpommern-Greifswald
David Adler war Kulturmanager, Redakteur und Verwaltungsleiter bei der Haydn Sinfonietta Wien, den Berliner Festspielen und an den Theatern Vorpommern, Baden-Baden und Bremen. Seit 2020 ist er Leiter des Kulturlandbüros in Trägerschaft des Landkreises Vorpommern-Greifswald.
Foto: Peter van Heesen
Was ein partizipatives Kunstprojekt in einem Ort bewegen kann, zeigt das Engagement von Jugendlichen in Mönkebude. Im Rahmen der „Kulturlandschau“ haben Kinder und Jugendliche in der kleinen Gemeinde am Stettiner Haff Interviews mit den Älteren im Dorf geführt. Daraus hervorgegangen ist nicht nur ein Film, sondern auch die Erkenntnis: für die Jungen im Dorf muss etwas getan werden. Eine besonders engagierte Gruppe setzt sich seither erfolgreich für die Neugründung eines Jugendclubs ein – dem „Toni Tuna Club“.
Mit dem Format der „Kulturlandschau“ unterstützt das Kulturlandbüro im südöstlichen Mecklenburg-Vorpommern Dörfer dabei, Anlässe zu schaffen, gemeinsam aktiv zu werden und zu zeigen, was der Ort alles zu bieten hat. Hauptdarsteller*innen sind die Akteure der Region ‒ Bauernverband, Fußballverein, Schultheatergruppe, Schalmeienkapelle u. v. m. Das Format ist sehr offen und erlaubt individuelle Konzepte für jede Gemeinde. Akteure können sich im Rahmen einer Ausschreibung bewerben und eine Jury wählt unter den Einsendungen Orte aus. Anschließend begleitet das Kulturlandbüro den Prozess von der Idee bis zur Umsetzung, Bewerbung und Finanzierung.
Das Beispiel in Mönkebude zeigt: Bürgerschaftliches Engagement ist vielfältig, so vielfältig wie die Menschen und ihre Ideen. Entgegen landläufigen Meinungen nimmt es nicht ab (ENKOR 2024: 26). Nur hat es sich teilweise in weniger dauerhafte, sondern auf die Zukunft gerichtete Formen des „Gestaltungsengagements“ verlagert (Willisch 2021). Vor allem in ländlichen Räumen wird durch die Dauerthematisierung von Mitgliederrückgang bzw. fehlendem Nachwuchs in Vereinen nicht gesehen, dass sich Menschen nach wie vor engagieren und – vor allem – gestalten wollen.
Ohne die Kulturlandschau in Mönkebude hätten sich die Jugendlichen nicht für ihren Jugendclub engagiert und wären womöglich in dieser Form nicht in anderen Vereinen aktiv gewesen. Den kreativen Aspekt des Engagements vermissen manche in Vereinen mit jahrzehntealten Satzungen und streben daher Neugründungen an oder wirken in freien Initiativen. Im Kulturlandbüro begleiten wir in unserer Region Mecklenburg-Vorpommern beides: seit 2021 die Gründung von ca. 15 neuen Kulturvereinen und unter anderem Initiativen für Messengergruppen zur Dorfvernetzung, die Gründung von Jugendclubs oder die (Wieder-)Belebung von Heimatstuben.
Für inhaltlich und formal offene Räume des Engagements kann Kunst und können Formate Kultureller Bildung den Rahmen bieten. Vor allem, wenn sie die Ideen und Wünsche Jugendlicher authentisch aufgreifen und zu Mitbestimmung sowie -wirkung einladen. Junge Menschen sind viel zu oft in der Zuschauerrolle ohne Recht zur Teilhabe und werden umgekehrt an ihre Pflichten erinnert (Bundesjugendkuratorium 2024: 2). Sie müssen aber Verantwortung übertragen bekommen, selbst anpacken und ausprobieren können, was es heißt, gemeinsam für andere wirksam zu sein. Es ist deshalb wie immer gut, nicht davon auszugehen, dass die Jugend schlecht ist, sondern bei den Angeboten nachzubessern, die sie nicht wahrnehmen will. Radikale Offenheit, Zuhören, um zu verstehen, aber auch der kunstimmanente Bezug zur Praxis (Adler 2024) machen Kunst- und Kulturschaffende zu ermutigenden Partner*innen der Jugendlichen.
Die (körperliche) Erfahrung der Genese von der Entwicklung einer Idee bis zu ihrer Umsetzung ist die Voraussetzung dafür, demokratische Prozesse zu verstehen. Denn das, was am Ende entstanden ist, entspricht selten dem, was Einzelne am Anfang vor Augen hatten. Dazwischen stehen Diskussion, Konflikt und Kompromiss. Das kann man nicht ausschließlich aus dem Lehrbuch oder im Unterricht lernen.David Adler
Partizipativ arbeitende Kunstschaffende zielen auf die Erreichung gemeinsamer Ergebnisse ab, denen im Zweifel alles andere nachgeordnet ist. Deshalb wird Herkömmliches schneller aufgegeben, zum Beispiel traditionelle Weisen der Herstellung, der Verwendung von Materialien oder von Werkzeugen, etablierte Orte, hierarchische Organisationsformen. Kunst wird hier zur Spielwiese, in der alles offen ist und die Wünsche, Ideen und Praktiken junger Menschen auf Augenhöhe einbezogen werden. Partizipative Kunstprojekte öffnen Räume für die positive Erfahrung von Aushandlungsprozessen für gemeinwesenbezogene Entscheidungen. In einem solchen Rahmen Selbstwirksamkeit zu erleben, kann Jugendlichen deutlich machen, dass sich Engagement lohnt, weil am Ende ein Ergebnis steht, für das sie selbst Verantwortung übernehmen können und wollen.
Die (körperliche) Erfahrung der Genese von der Entwicklung einer Idee bis zu ihrer Umsetzung ist die Voraussetzung dafür, demokratische Prozesse zu verstehen. Denn das, was am Ende entstanden ist, entspricht selten dem, was Einzelne am Anfang vor Augen hatten. Dazwischen stehen Diskussion, Konflikt und Kompromiss. Das kann man nicht ausschließlich aus dem Lehrbuch oder im Unterricht lernen. Und der Verein, der seit 30 Jahren von den „üblichen Verdächtigen“ geführt wird, steht da häufiger als Beispiel für gering ausgeprägte Mitbestimmung. Nicht nur Jugendliche, sondern die meisten Menschen wollen sich einbringen und nicht nur Befehlsempfänger*innen sein.
Die Ergebnisse der Shell-Jugendstudien der letzten Jahrzehnte zeigen, dass junge Menschen Gesellschaft kollektiv gestalten wollen. Ihnen geht es um Selbstentfaltung durch und nicht trotz der Übernahme von Verantwortung für die Gemeinschaft (Staab 2022: 78ff.). Dafür brauchen sie aber einen Rahmen, in dem ihr kreativer Input ausdrücklich erwünscht und nicht blockiert wird, aus Angst davor, dass er an Grundüberzeugungen rütteln könnte (Godin 2023). Partizipative Kunstformate wie die „Kulturlandschau“ können hierfür die geeigneten Freiheits- und Erfahrungsräume bieten.
Der „Toni Tuna Club“ in Mönkebude hat mittlerweile einen Raum gefunden, viele Monate nach Abschluss der „Kulturlandschau“. Im Herbst wird er saniert – auch mit dem Geld, dass die Jugendlichen durch Veranstaltungen wie Kuchenbasare eingenommen haben. Zwar war vielen schon vor der „Kulturlandschau“ klar, dass etwas für die Jugendlichen getan werden muss, doch erst das Filmprojekt mit den Interviews hat den Menschen im Dorf gezeigt, dass die jungen Menschen es ernst meinen mit ihrer Idee. Lina Vogt, eine der Beteiligten, sagt, sie und ihre Mitstreiter*innen seien durch die „Kulturlandschau“ regelrecht aufgeblüht. Offensichtlich hat das Filmprojekt sie motiviert und zu langfristigem Engagement bestärkt.
Wir sind uns sicher: Die Erfahrung, wie komplex und mühsam Mitbestimmungs-, Aushandlungs- und Umsetzungsprozesse sein können, die schließlich zu einem Ergebnis führen, auf das man stolz ist, hilft Jugendlichen dabei, die Tragweite von Forderungen an politische Entscheidungsträger*innen besser zu verstehen und Demokratie nicht zugunsten eines ungefragten Durchregierens Weniger abzulehnen.