Im Kinderzimmer der Stadt
Im Gespräch mit Christiane Bornett, Kinder- und Jugendbibliothek der Humboldt-Bibliothek Berlin und Kommission Kinder- und Jugendbibliotheken, Deutscher Bibliotheksverband
Im Gespräch mit Christiane Bornett, Kinder- und Jugendbibliothek der Humboldt-Bibliothek Berlin und Kommission Kinder- und Jugendbibliotheken, Deutscher Bibliotheksverband
Christiane Bornett leitet die Kinder- und Jugendbibliothek der Humboldt-Bibliothek in Berlin-Reinickendorf. Nachdem sie für das Sprachbildungsprogramm „Kinder werden WortStark“ tätig war, widmet sie sich nun dem Thema „Digitale Medien in der Leseförderung“.
Die öffentlichen Bibliotheken in Deutschland haben sich durch das Vorbild der skandinavischen Bibliotheken in ihren Räumen, ihrem Selbstverständnis und somit ihren Funktionen verändert: weg von einem reinen Ausleihort, hin zu einem Aufenthalts-, Begegnungs-, Lern- und Veranstaltungsort. Nicht nur die Bibliotheken selbst generieren ein Programm für ihre Besucher, sondern auch Initiativen und Vereine aus den jeweiligen Stadtteilen nutzen den Raum zunehmend als Veranstaltungsort. „Wohnzimmer der Stadt“ nennt man Bibliotheken deshalb auch. Oder im Falle der Kinder- und Jugendbibliotheken: „Kinderzimmer der Stadt“.
Ich finde die wohnortnahen Kiezbibliotheken mit ihrem Basisangebot besonders wichtig für Kinder und Jugendliche.
Christiane Bornett
Zum einen ist es ein nicht-kommerzieller Ort im Gegengewicht zu den Konsumtempeln. Zudem ist es ein geschützter Ort, der vertrauenswürdig ist. Im Unterschied zu manch anderen Freizeiteinrichtungen haben Bibliotheken, zumindest in den größeren Städten, lange Öffnungszeiten, auch samstags, und es gibt keine Zugangsbeschränkungen, denn Bibliotheken sind einfach ein offenes Haus. Jeder kann reinkommen, das Angebot nutzen, das vor Ort stattfindet, sich hinsetzen, lernen, etwas ausprobieren oder sich mit Freunden treffen – ohne etwas dafür bezahlen zu müssen oder einen Bibliotheksausweis zu haben. Dieser niedrigschwellige Zugang ist für die Teilhabe von Kindern und Jugendlichen extrem wichtig.
Öffentliche Bibliotheken sind Flächeneinrichtungen, d. h., es gibt sie überall, auch in Stadtteilen mit schwieriger Sozialstruktur. Die meisten Kinder- und Jugendbibliotheken haben auch Programme für Schulklassen und Kitas. Dadurch werden auch diejenigen Kinder erreicht, die mit ihren Eltern nicht in die Bibliothek kommen. Innerhalb der Programme wird viel mit spielerischen und Mitmach-Elementen sowie digitalen Medien gearbeitet. Mit Schulen und Kitas zusammenzuarbeiten, ist für Bibliotheken essentiell und es gibt dafür auch deutschlandweit einen hohen Bedarf. Leider können die Bibliotheken diesen nicht vollständig decken, dafür haben wir nicht genug Räume und Personal.
Insbesondere Kinder nutzen Räume oft ganz anders, als sie eigentlich vorgesehen waren. Auf Spielplätzen kann man z. B. sehen, dass die Spielgeräte mit einer angedachten Funktion, ganz anders, kreativ, bespielt werden. Im Grunde ist es mit Bibliotheksräumen genauso. Deshalb finde ich es wichtig, dass Kinder- und Jugendbibliotheken in ihrer Raumgestaltung möglichst flexibel sind und über „Lärmzonen“ verfügen, damit sich alle Benutzergruppen wiederfinden können. Auch räumliche und inhaltliche Mitgestaltungsformate, wie z. B. die Beteiligung beim Einkauf von Büchern oder Medien, führen dazu, dass Kinder und Jugendliche die Bibliothek als „ihren Ort“ entdecken.
Die Bibliothek in Aarhus, Dänemark, ist beispielsweise ein Traum. Dort gibt es u. a. mehrere Spielplätze für verschiedene Altersgruppen, Bauplätze mit dem Motto „Gestalte deine eigene Welt“ und ein Speisezimmer, wo Familien Picknicks in der Bibliothek veranstalten können. Wirklich toll ist auch die Deichman Biblo Tøyen in Oslo, die nur für Jugendliche ist und auch von diesen mitgestaltet wurde: Sitzmöbel aus alten Seilbahnenwaggons, ein alter VW-Bus, der zum Makerspace ausgebaut ist, bewegliche Regale auf Schienen – das waren alles ihre Ideen. Außerdem arbeiten dort neben Bibliothekaren auch Spiel- und Theaterpädagogen sowie weitere Professionen zusammen in einem Team. Von diesen Bibliotheken sind alle begeistert. Trotzdem finde ich auch bei uns die wohnortnahen Kiezbibliotheken mit ihrem Basisangebot besonders wichtig für Kinder und Jugendliche. Hier können sie in Ruhe ihre Hausaufgaben machen und haben einen Zugang zu verschiedenen Medien.
Uns ist wichtig, die Digitalisierung mit den klassischen Medien zu verbinden, wie auch das Motto der nächsten Verbandsfachtagung, „Die Kinder- und Jugendbibliothek zwischen Buch und Makerspace“, zeigt. Dann bleibt die Basisleseförderung eine unglaublich wichtige Aufgabe, genauso wie Familien beim Thema Vorlesen weiter zu stärken. Im Verband beschäftigt uns noch das Berufsfeld Medienpädagogik. Dieses möchten wir in die Bibliothek holen, um Themen wie Fake News erkennen und Safer Internet mit Schulklassen und in anderen Veranstaltungen zu bearbeiten.
Wenn Kinder und Jugendliche zu kritischen Mediennutzer werden sollen, dann müssen wir sie in der Nutzung der digitalen Medien genauso schulen, wie sie eben auch lernen müssen, einen Roman mit seiner Bildsprache zu entschlüsseln. Insofern unterstützen wir zum einen sehr die Schule und zum anderen gibt es im Freizeitbereich verschiedene Initiativen. Wir wollen auch, dass digitale Medien hier in der Bibliothek verortet sind, weil sie einfach zur Lebenswelt der Kinder und Jugendlichen gehören.
In der Humboldt-Bibliothek haben wir den „Humbot Coding Space“, ein Makerspace-Projekt, bei dem diverse Roboter mit Tablets zur freien Verfügung stehen, mit denen man coden und die Technik einfach ausprobieren kann. Beim Bilderbuchkino gibt es begleitend zum Vorlesen Bilder auf einer Leinwand, im Anschluss können die Familien Apps auf bibliothekseigenen Tablets zum jeweiligen Buch oder Themen des Buches ausprobieren.
Jeder kann reinkommen, das Angebot nutzen, das vor Ort stattfindet, sich hinsetzen, lernen, etwas ausprobieren oder sich mit Freunden treffen – ohne etwas dafür bezahlen zu müssen oder einen Bibliotheksausweis zu haben.
Christiane Bornett
Den Schülern hat der Lernort gefehlt, das merken wir auch jetzt noch, wo wir zumindest wieder Einzelarbeitsplätze anbieten dürfen. Es frustriert die Jugendlichen, dass sie hier keinen Platz haben, wenn sie zusammen etwas für die Schule machen wollen. Wir empfinden das alle als schlimm, eine Sache verbieten zu müssen, die so wichtig ist. Wenn außerschulische Lernorte nicht mehr erreichbar sind, ist das auch für Familien furchtbar, besonders hinsichtlich der Bildungsschere. Kinder, die zu Hause wenig Bildung erfahren und kaum Zugang zu Medien haben, können den Verlust nie wieder aufholen. Wie wichtig das Ausleihen verschiedenster Medien für Familien allgemein ist, zeigt sich seit dem Ende des ersten Lockdowns im Frühjahr 2020: Besonders im Kinder- und Jugendbereich gibt es einen deutlichen Ausleihboom. Gesellschaftsspiele, Brettspiele, Hörbücher, Filme und auch unsere Roboter sind fortwährend ausgeliehen.
Der Beitrag ist erstveröffentlicht in: Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung e. V. (2021): Unverzichtbar – Orte Kultureller Bildung, kubi – Magazin für Kulturelle Bildung. No. 20-2021. Berlin. S. 33 – 35.
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