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Grenzen wahren, Räume öffnen: Kindeswohl im Tanz
Aus der Praxis

Grenzen wahren, Räume öffnen: Kindeswohl im Tanz

Weiterbildung „Kindeswohl im Tanz“, Aktion Tanz Bundesverband für Tanz und Bildung in Gesellschaft

veröffentlicht:
Thema
Prävention und Kindeswohl
Schlagworte
Partizipation
Jugendliche üben Tanzschritte vor einem großen Spiegel.
BKJ | Andi Weiland

Kinderschutz ist ein zentrales Thema in der kulturellen Kinder- und Jugendarbeit. Gerade im Tanz, wo Nähe und Berührung dazugehören, braucht es klare Konzepte für sichere Räume.

Der Umgang mit körperlicher Nähe stellt Tanzvermittler*innen vor besondere Herausforderungen: Fragen wie ‚Wie gehe ich mit Berührung um?‘ oder ‚Wie kommuniziere ich gendersensibel?‘ und ‚Wie schaffe ich sichere Räume für alle?‘ verlangen Haltung und Handlungssicherheit. Für viele Tanzpädagog*innen bedeutet das, ihre eigenen Lernerfahrungen zu überprüfen und die Praxis neu zu gestalten.

Prävention beginnt schon bei der Art, wie man ein Angebot gestaltet.

Martina Kessel, Aktion Tanz, Bundesverband für Tanz und Bildung in Gesellschaft

Der Tanzbereich ist regional und institutionell sehr unterschiedlich aufgestellt. Einige arbeiten bereits intensiv mit Schutzkonzepten, für andere ist das Thema neu. „Prävention ist ein Prozess“, betont Martina Kessel, Projektverantwortliche von Aktion Tanz, und verweist auf das wachsende Bewusstsein – auch unter Tanzvermittler*innen.

Eine Weiterbildung setzt neue Maßstäbe für Kinderschutz

Die modulare Weiterbildung „Kindeswohl im Tanz“ von Aktion Tanz unterstützt Tanzvermittler*innen, Institutionen und Organisationen, präventiv zu handeln und Schutzkonzepte zu entwickeln. Die Nachfrage ist hoch.

Gefördert durch das Programm „Start2Act“ der Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung (BKJ) verbindet die Weiterbildung Theorie mit Praxis und zeigt, wie partizipative Angebote Prävention stärken. Tanzvermittler*innen, Koordinierungsstellen und Institutionen sind damit angesprochen – darunter über 160 Mitglieder von Aktion Tanz sowie freiberufliche Akteur*innen und Organisationen.

Aktion Tanz setzt auf praxisnahe Sensibilisierung und Qualifizierung von Tanzvermittler*innen und Institutionen. Ziel ist es, Kinderschutz nachhaltig in den Arbeitsalltag zu integrieren – weit über einen Verhaltenskodex hinaus. „Das Wichtigste ist, dass die Leute, mit denen wir zu tun haben, sich weiterbilden können – egal, ob es um Organisationen oder Einzelpersonen vor Ort geht“, erklärt Martina Kessel.

Das Modul 1 „Grundlagen des Kinderschutzes im Tanz“ klärt Begriffe, liefert Statistiken und unterscheidet zwischen Grenzverletzungen und Gewalt. Martina Kessel als Projektleitung für die Weiterbildung und die beteiligte Referentin Miriam Schupp loten die Thematik gemeinsam aus: „Wir sprechen darüber, wie Berührung thematisiert werden kann – etwa indem man fragt: ‚Darf ich dir bei der Übung helfen und dich dafür anfassen?‘ und sicherstellt, dass ein ‚Nein‘ jederzeit möglich ist und keine negativen Konsequenzen hat“, unterstreicht sie. Denn: „Ein einmaliges ‚Ja‘ gilt nicht für immer.“

Im nächsten Schritt lernen die Teilnehmer*innen die Bestandteile eines Schutzkonzeptes kennen und reflektieren über hierfür notwendige Strukturen – wie transparente Abläufe, sichere Räume und klare Rollenverteilungen.

„Prävention beginnt schon bei der Art, wie man ein Angebot gestaltet“, erklärt Martina Kessel. „Wie sind die Umkleidesituationen gestaltet? Gibt es getrennte Räume? Wer ist wann dort?“, beschreibt sie typische Fragen, die es zu klären gilt. Solche Alltagssituationen zeigen, dass Kinderschutz im Detail beginnt – und wie wichtig es ist, Risiken frühzeitig zu erkennen.

Kinder und Jugendliche müssen selbst entscheiden können, wem sie sich zeigen möchten – ohne dass räumliche Gegebenheiten oder Abläufe dies vorwegnehmen.

Bewusstsein und Reflexion sind das A und O

Die Weiterbildung bietet Raum für Austausch und Reflexion, um praxisbezogene Fragen zu beantworten und stimmige Lösungen zu finden.

Kinderschutz geht dabei über strukturelle Prävention hinaus: Tanz kann eine prägende Erfahrung sein, wenn Kinder und Jugendliche lernen, ihre eigenen Grenzen wahrzunehmen und zu kommunizieren. Wer erlebt, dass seine Grenzen respektiert werden, entwickelt ein stärkeres Selbstbewusstsein und ein Gespür dafür, wann sich etwas nicht richtig anfühlt. Wer erfährt, dass es Vertrauenspersonen gibt, dass Rechte gelten und dass Hilfe erreichbar ist, kann sich auch in schwierigen Situationen besser schützen.

Pädagog*innen, die die Möglichkeit sexualisierter Gewalt auch in ihrem Umfeld nicht ausblenden, tragen entscheidend zum Schutz bei. Ein fundiertes Schutzkonzept und regelmäßige Schulungen helfen ihnen, sensibel und entschlossen betroffene Kinder und Jugendliche zu unterstützen und ihnen Wege aus belastenden Situationen aufzuzeigen.

Ein wichtiger Aspekt besteht auch darin, Anzeichen für Probleme im privaten Umfeld zu erkennen, Fürsorge zu zeigen – ohne übergriffig zu sein – und Verantwortung zu übernehmen.

Partizipation bedeutet auch im Rahmen von Prävention, sich als ermächtigte Person zu erleben.

Martina Kessel, Aktion Tanz, Bundesverband für Tanz und Bildung in Gesellschaft

Partizipation im Kinderschutz

Ein zentrales Prinzip der Kulturellen Bildung findet auch in der Prävention seinen Platz: Partizipation. Wie können Kinder und Jugendliche aktiv in die Erstellung von Schutzkonzepten eingebunden werden? Diese Frage ist ein wichtiger Baustein der Weiterbildung von Aktion Tanz.

Denn Partizipation ist ein zentraler Schutzfaktor für Kinder und Jugendliche. Wer sich als Individuum wahrnimmt und mitbestimmen darf, erkennt schneller, wenn etwas nicht stimmt. „Partizipation bedeutet auch im Rahmen von Prävention, sich als ermächtigte Person zu erleben“, so Martina Kessel.

Kinder und Jugendliche liefern wertvolle Einblicke: Was sind „Wohlfühlorte“? Welche Situationen sind unangenehm? Welche Orte meiden sie – etwa eine Toilette im Keller? Wenn Kinder als Expert*innen ihrer Lebenswelt begriffen werden, kann Prävention zielgerichtet und alltagsnah gestaltet werden, ist sich Martina Kessel sicher.

Die Rolle von Aktion Tanz und des Netzwerks „Tanz weit draußen“

Aktion Tanz fördert seit Jahren die Professionalisierung der tanzvermittelnden Praxis. Mit der Weiterbildung „Kindeswohl im Tanz“ sensibilisiert der Verband Tanzvermittler*innen und Institutionen für Prävention und Kinderschutz.

Das Netzwerk „Tanz weit draußen‘“ trägt das Thema in ländliche Regionen, wo Mittel und Ressourcen knapp sind. Erkenntnisse aus der Weiterbildung fließen auch in die Aktualisierung des Leitbildes von Aktion Tanz ein, um Kinderschutz nachhaltig in der Tanzszene zu verankern.

Ausblick: Was braucht es für die Zukunft?

Damit Kinderschutz im Tanz alltäglich wird, braucht es einen Kulturwandel: Das offene Gespräch über Schutzkonzepte sollte in der Bildungspraxis verankert sein – als Normalität, nicht als Verdacht oder Vorwurf, so Martina Kessel. Kinderschutz müsse genauso als Teil professioneller Arbeit verstanden werden wie künstlerische oder technische Qualifikationen.

Schutzkonzepte müssen flexibel genug sein, um zu verschiedenen Arbeitskontexten zu passen. Gerade selbstständige Tanzpädagog*innen brauchen praxisnahe Unterstützung, um Schutzmaßnahmen umzusetzen, Konzepte zu reflektieren und den Dialog mit Institutionen zu suchen.

Als nächstes plant Martina Kessel ein Netzwerk für solo-selbstständige Tanzvermittler*innen, das Austausch und praxisnahe Unterstützung bietet. Sichere Räume, klare Regeln und ein gutes Management sind die Basis, um Umgebungen zu schaffen, in denen sich Kinder und Jugendliche frei entfalten können – ein Anliegen, für das sich Aktion Tanz stark macht.

Interview und Text: Madeleine Penny Potganski

Ein Projekt im Rahmen des Förderprogramms „Start2Act“, gefördert von der Europäischen Union

Die modulare Weiterbildung „Kindeswohl im Tanz“ wurde im Rahmen des Förderprogramms „Start2Act“ der Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung (BKJ) durchgeführt. „Start2Act“ unterstützt lokale Träger und Verbände der Kulturellen Bildung dabei sichere Orte zu sein, in denen Kinder umfassend vor (sexualisierter) Gewalt geschützt sind.

Das Programm „Start2Act“ wird von der Europäischen Union gefördert. Die geäußerten Ansichten und Meinungen entsprechen jedoch ausschließlich denen der Autor*innen und spiegeln nicht zwingend die der Europäischen Union oder der Europäischen Kommission wider. Weder die Europäische Union noch die Europäische Kommission können dafür verantwortlich gemacht werden.