Gesellschaftliche Stabilität durch Kulturelle Bildung?
Im Gespräch mit Dr.in Nina Stoffers, Landesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung Sachsen e. V.
Im Gespräch mit Dr.in Nina Stoffers, Landesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung Sachsen e. V.
Dr.in Nina Stoffers ist seit 2021 Geschäftsführerin der LKJ Sachsen e. V. Zuvor etablierte sie an der Hochschule für Musik und Theater Leipzig ein Mentoring-Programm und leitete das Projekt „Connect – Kunst im Prozess“ zur inklusiven Öffnung von Kultureinrichtungen. Sie promovierte zu „Kulturelle Teilhabe im Spannungsfeld von Empowerment und Othering“.
Wie lässt sich die aktuelle Situation von Akteur*innen der Kulturellen Bildung in Sachsen beschreiben?
Wir sind, was die rechtlichen und finanziellen Rahmenbedingungen angeht, in Sachsen ganz gut aufgestellt. Wir haben seit 1993 das Kulturraumgesetz und seit 2018 das „Landesweite Konzept Kulturelle Kinder- und Jugendbildung“. Letzteres ist ein Meilenstein, weil sich dort die verschiedenen Ressorts, also Bildung, Kultur und Soziales bzw. Jugendarbeit, zusammengetan und das Konzept gemeinsam mit Fachexpert*innen entwickelt haben. Dann haben wir die „Kulturräume“, einen Mix aus Landes- und Kommunalförderung, und im Rahmen dieser weitere Programme, wie etwa „kulturpass‘t“, welches Kulturangebote in ländlichen Räumen an Schulklassen vermittelt – ob in der Schule oder im Kulturort und mit der dazugehörigen Mobilität. Andererseits haben wir die Situation, dass die rechtskonservativen bis rechtspopulistischen oder auch rechtsextremen Kräfte immer stärker werden. Neben vielen anderen Themen gibt es auch eines, das uns alle in Deutschland bzw. europaweit umtreibt: der Fachkräftemangel.
Also insofern: Einerseits ist vieles wirklich gut, auch in den letzten fünf, sechs Jahren hat sich da einiges verbessert. Andererseits blicken wir auf eine schwierige Situation hinsichtlich dieses Superwahljahres 2024.
Welche Themen haben in jüngster Zeit an Relevanz gewonnen?
Gerade vor dem Hintergrund, dass die politische Situation in den klein- und mittelgroßen Städten und Gemeinden konservativ bis rechtskonservativ geprägt ist, denken wir schon seit längerer Zeit in Sachsen die Demokratiebildung als einen grundlegenden Aspekt der kulturellen Bildungsarbeit stärker mit. Das setzt an den Aspekten wie Freiwilligkeit, Partizipation und Eigenbeteiligung an. Da sind wir wunderbar aufgestellt in der Kulturellen Bildung, weil die Methoden und die Ziele dahingehend schon sehr stark demokratiebildend sind. Wir schauen außerdem, wo kann man sich mit Partner*innen mit Expertise zusammentun, wie etwa mit der Politischen Bildung. Es ist schon maßgeblich, sich einerseits darauf zu besinnen, was man kann, sich aber auch zu fragen: Wo brauchen wir weiteres Wissen? Wo brauchen wir Solidarität? Das ist, glaube ich, in Sachsen noch wichtiger als anderswo.
Wie trägt die Arbeit der LKJ Sachsen, der ihr angeschlossenen Mitgliedsstrukturen und anderer zivilgesellschaftlicher Akteure zur Stärkung der Demokratie bei?
Was wir sehen: Die Leute wollen mitreden. Dazu haben wir für dieses Wahljahr mit dem Landesverband Soziokultur Sachsen, dem Kulturraum Oberlausitz-Niederschlesien, der Kooperationsstelle Schule und Theater und dem Landesverband Bildende Kunst Sachsen eine Kampagne aufgelegt: „Kulturelle Bildung ist zukunftsrelevant. Warum? Darum!“ Um nicht nur Lobbyist*innen zu Wort kommen zu lassen, haben wir Fachkräfte, Kinder und Jugendliche gefragt: Was heißt denn eigentlich Kulturelle Bildung konkret? Und warum ist sie so unverzichtbar? Ihre individuellen Antworten konnten sie auf Postkarten schreiben. Die Ergebnisse haben wir vor der Landtagswahl an die kultur-, bildungs- und jugendpolitischen Sprecher*innen der Fraktionen geschickt.
Außerdem gibt es die Kampagne #machdeinkreuz, die wir als LKJ Sachsen zusammen mit vielen weiteren Akteur*innen unterstützen. Künstler*innen haben Plakate zum Wahlaufruf gestaltet, die kostenfrei zum Download für die freie Plakatierung in Sachsen zur Verfügung standen. Das Wählengehen ist ein elementares Recht in einer Demokratie und sollte nicht als Pflicht, sondern als Gestaltungsmöglichkeit betrachtet werden. Dem wollten wir Ausdruck verleihen. Neben den Plakaten gibt es Demokratiefeste, vor allen Dingen in kleineren und mittelstädtischen oder mittelgroßen Städten.
Ein Beispiel aus der Jugendarbeit ist das Projekt „im:puls“, die Sächsische Nacht der Jugendkulturen. Dabei geht es darum, Jugendliche zur Umsetzung ihrer eigenen Ideen für kulturelle Veranstaltungen zu motivieren. Damit möchten wir Selbstbeteiligung fördern und das jugendliche Engagement wertschätzen und auf ihre Sichtweisen aufmerksam machen.
Auch die Freiwilligendienste im Bereich Kultur und Bildung sind ein elementarer Bestandteil unserer Arbeit und fördern die Auseinandersetzung mit der eigenen Verortung in der Welt (Stichwort: Berufsorientierung), aber ebenso mit dem Gegenüber und zwar sowohl in den Einsatzstellen wie auch in den Seminargruppen, wo die Freiwilligen mit anderen Freiwilligen zusammenkommen.
Wir möchten die vielbeschworene Meinungsvielfalt leben, indem diskutiert und auch gestritten werden darf. Denn das ist genau das, wo wir Demokratiebildung und den Schnittpunkt von Kultureller und Politischer Bildung sehen. All unsere Aktivitäten zeigen, dass Kinder und Jugendliche häufig sehr genau wissen, was sie brauchen, was ihnen nicht gefällt und was sie verändern möchten. Es wird aber von Politik und Öffentlichkeit zu wenig wahrgenommen bzw. schlimmer: nicht ausreichend ernst genommen. Und das ist das, was Studien immer wieder zeigen: dass sich die Jugendlichen nicht gehört und eben auch nicht ernst genommen fühlen. Wo findet Politische Bildung oder Meinungsbildung statt? Natürlich in den Schulen, in der Familie und in den außerschulischen Orten, aber ganz viel auch auf Social Media, wo extreme Meinungen ja besonders präsent sind Da müssen wir sehr viel mehr Arbeit investieren, um weder die ländlichen Räume noch Social Media den populistischen Akteur*innen zu überlassen.
Welchen Beitrag kann Kulturelle Bildung leisten, um demokratische Teilhabe und freiwilliges Engagement zu fördern?
Wir merken immer wieder, dass Beteiligungsformate sehr gut funktionieren und Teilnehmende in ihrem Sozialraum wirksam werden können. Aber: Kulturelle Bildung ist ein Baustein, kein Allheilmittel. Zudem ist Kulturelle Bildung längst nicht flächendeckend gegeben und bearbeitet vielleicht auch nicht immer die richtigen Themen – bzw. wir trauen uns nicht in ausreichendem Maße an die Themen heran, die Menschen bewegen. Deshalb ist der Austausch und die Beteiligung schon bei der Themensetzung und Konzeption wichtig. Ich finde es spannend, was Steffen Mau zu den Formen der direkten Demokratie wie etwa Bürger*innenräten zur Eindämmung des Populismus in seinem Kapitel „Labor der Partizipation“ des Buches „Ungleich vereint. Warum der Osten anders bleibt“ (2024) vorschlägt. Und hier ist auch die Kulturelle Bildung prädestiniert, etwas zu tun. Kulturelle Bildung stärkt das Individuum und gleichzeitig die Interaktion mit dem Gegenüber. Wir nehmen die Gemeinschaft wahr und treten in den Austausch. Dadurch bekommt das Leben eine Leichtigkeit, mit Spaß an der Mitgestaltung. Ich glaube, es geht ganz viel über die Leidenschaft: Ich habe Lust auf Musik, dann besuche ich ein Konzert. Ich habe Lust darauf, mit anderen Menschen etwas gemeinsam zu machen, dann stelle ich ein Projekt auf die Beine. Wenn dieses Engagement unterstützt oder gefördert wird, dann heißt es, ich bin gewollt und werde anerkanntIch habe einen Wirkungskreis. Letztlich ist es das, was Selbstwirksamkeit und Persönlichkeitsentwicklung meint. Alle fragen sich: Wer bin ich eigentlich hier in der Welt? Wie kann ich wirksam werden? Und da hat Kultur ein enormes Potential, weil wir nicht (nur) zu ernsten oder sozialen Themen kommunizieren, sondern diese in spielerische und künstlerische Kontexte transferieren und uns erproben können. Dieser Experimentierraum ist etwas, was wir Menschen einfach brauchen
Wie geht es für die Kulturelle Bildung in Sachsen weiter?
Ich sehe, dass wir auf Vielem aufbauen können und Vieles weiterführen sollten, was wir schon tun. Gleichzeitig wird ein „Weiter so!“ nicht gehen, weil wir vor zu vielen Herausforderungen stehen. Es ist entscheidend, gemeinsam Strategien zu entwickeln und sich zu vernetzen. Was es in der Kulturellen Bildung noch braucht, ist insbesondere eine Organisations- und Prozessentwicklung, um sich auch mit aktuellen Debatten auseinandersetzen zu können und zu wissen, wo man steht, welche Haltung und welche Werte wir aktiv vertreten. Wir müssen klar Stellung beziehen können. Ich glaube, es bleibt dabei, Erfahrungsräume (für uns alle) zu öffnen und eine gewisse Leichtigkeit und Zukunftsfreude nicht zu vergessen, indem wir uns gegenseitig stärken.
Wir möchten die vielbeschworene Meinungsvielfalt leben, indem diskutiert und auch gestritten werden darf. Denn das ist genau das, wo wir Demokratiebildung und den Schnittpunkt von Kultureller und Politischer Bildung sehen.Dr.in Nina Stoffers, LKJ Sachsen
Die Landesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung (LKJ) Sachsen e. V. ist der Dach- und Fachverband für die kulturelle Kinder- und Jugendbildung in Sachsen. Sie vertritt jugend-, kultur- und bildungspolitische Belange und bietet Kindern und Jugendlichen Erfahrungs- und Erprobungsräume, ermöglicht Selbstwirksamkeit, Kompetenzerwerb, interkulturelles Lernen und zivilgesellschaftliches Engagement. Im Sinne der UN-Kinderrechtskonvention leisten die LKJ Sachsen und ihre Mitgliedsverbände mit Bildungsangeboten, Wettbewerben, Fachtagungen, interkulturellen und internationalen Jugendbegegnungsprojekten sowie ihrer Lobbyarbeit einen Beitrag für mehr Bildungsgerechtigkeit und kulturelle Vielfalt. Die LKJ Sachsen setzt sich ein für das Grundrecht auf kulturelle Teilhabe und barrierefreie Zugänge für alle Kinder und Jugendlichen in Sachsen. Sie ist Trägerin für die Jugendfreiwilligendienste in den Formaten FSJ Kultur, BFD Kultur und Bildung, Europäisches Solidaritätskorps.
Nordplatz 1
04105 Leipzig