Auch ohne Theaterhäuser, Konzertsäle, Musikschule und Jugendclub gibt es Kultur auf dem Land. Und Kulturelle Bildung allemal. Sie findet in den Gemeinschaften von Freilichtbühnen, Kirchenchören, Blasmusikvereinen oder im Dorffestkomitee statt. Ihre Aufgabe: ein Miteinander gemeinsam gestalten.
Welche Rolle spielt Kultur für junge Menschen in ländlichen Räumen?
Wenn wir von Breitenkultur sprechen, dann hat sie für die Kinder und Jugendlichen in ländlichen Räumen – ich beziehe mich auf die westlichen Bundesländer – insofern eine Bedeutung, als dass sie etwas Gewachsenes und von jeher generationsübergreifend ist. Anders als die Kultur, die aus urbanen Räumen aufs Land kommt, will Breitenkultur nicht unbedingt neue Impulse setzen oder Spektakuläres, Irritierendes produzieren, sondern die Regeln des Miteinanders auf dem Land immer wieder neu einüben. In einer Freilichtbühne lerne ich von klein auf, mich einerseits in eine Gemeinschaft einzufügen, aber auch Verantwortung zu übernehmen, Selbstwirksamkeit, Selbstorganisationsfähigkeit. Es geht auch nicht anders: Alle arbeiten ehrenamtlich zusammen und alle haben eine Aufgabe. Die Kinder und Jugendlichen gehören zur Gemeinschaft und ohne ihre Mitwirkung würde auf der Bühne ein wichtiger Teil fehlen. Breitenkultur ist also enorm gemeinschaftsstiftend. Und das ist ein hohes Gut.
Je kleiner ein Dorf ist, desto mehr ist die Verbindung zur Breitenkultur ausgeprägt und man kann sich nicht entziehen. Wenn es um kleinere Städte oder die Speckgürtel der Metropolen geht, ist das anders. Diese Räume sind sehr geprägt von der urbanen Kultur.
Dr. Beate Kegler
Erreicht Breitenkultur zwangsläufig alle?
Nein. Eingebunden sind auch in ländlichen Räumen nicht alle, wenngleich schon ein hoher Prozentsatz. Oder man kennt einfach jemanden, der Theater spielt und bekommt dadurch etwas von dieser Lebenswelt mit. Je kleiner ein Dorf ist, desto mehr ist die Verbindung zur Breitenkultur ausgeprägt und man kann sich nicht entziehen. Wenn es um kleinere Städte oder die Speckgürtel der Metropolen geht, ist das anders. Diese Räume sind sehr geprägt von der urbanen Kultur.
Welche Impulse braucht es? Oder: Ist Breitenkultur in den sehr ländlichen Regionen, wo es starke Verbindungen gibt, ein selbstgenügsames System?
Das sollte es nicht sein. Was tatsächlich manchmal fehlt, und was die anderen Kulturbereiche, die sozusagen aufs Land gebracht werden, setzen, sind Impulse und Perspektivwechsel: Es gibt noch etwas anderes als meine Landgemeinschaft, Miteinander kann auch anders gestaltet werden. Dann können Kinder mit Bildender Kunst, Theaterspiel oder Tanz andere Formen kultureller Betätigung erleben, sich mit verschiedenen Lebensentwürfen beschäftigen. Es ist ganz wichtig, den Blick über den Horizont zu wagen. Es sollte allerdings kein Programm sein, dass nur temporär einfliegt oder das verschult wird. Denn das bringt nicht die Freiheit und auch nichts für die Gemeinschaft am Wohnort, wenn wir bedenken, dass die Schulen dort in der Regel gar nicht sind. Schwierig ist es auch, wenn der Impuls ausschließlich von außen kommt, z. B. wenn drei städtische Träger das Land mit einem Projekt beglücken wollen, weil es dafür gerade Fördermittel gibt. Initiativen, die soziokulturell arbeiten, schaffen da gute Formate. Sie gehen dorthin, wo Impulsgeber fehlen oder wo Breitenkultur nicht mehr gut funktioniert. Sie üben genauso das Miteinander vor Ort ein und die Kinder und Jugendlichen haben viele Mitwirkungsmöglichkeiten, können gleichzeitig erfahren, was es jenseits der Dorfgrenzen zu erleben gibt und wie sie über das hinausgehen, von dem sie glauben, es sei der Rahmen, in dem sie sich bewegen müssten.
Wie müssen Angebote sein, damit sie gemeinschaftsstiftend sind?
Es ist wichtig die Menschen und deren Lebensumstände zu kennen, auf Augenhöhe zu agieren und Zeit mitzubringen. Der Posaunenchor funktioniert deshalb, weil der Posaunenchorleiter oder die Leiterin die Menschen kennt und persönlich anspricht und sich kümmert, z. B. Equipment zur Verfügung stellt. Was in der Breitenkultur üblicherweise gut klappt, ist ein generationsübergreifendes Lernen oder Bilden. Beim Theaterspiel, gerade in den Freilichtbühnen, kann die ganze Familie mitwirken und es gibt trotzdem Freiräume für die unterschiedlichen Altersgruppen. Wenn mehrere Generationen dabei sind, dann stehen auch vielfältiges Wissen und Erfahrungen zur Verfügung. Und ich lerne das Miteinander durch die ständige Auseinandersetzung mit allen anderen. Wenn man Impulse haben will, die über das, was man immer macht, hinausgehen, dann kann z. B. ein Museum aus der nächsten Stadt mit dem Heimatmuseum im Dorf und der Landjugend zusammenarbeiten und sich noch einen Künstler, eine Künstlerin von außen reinholen, aber die Organisation des Ganzen passiert vor Ort und auch selbstbestimmt.
Welche Möglichkeiten haben junge Menschen auf dem Land, ihre Impulse selbst zu setzen, selber etwas zu entwickeln?
Es gibt Kinder und Jugendliche, die nur in ihren Schulwelten mit anderen agieren oder im virtuellen Raum, aber es gibt auch die, die selbst aktiv werden. Ein ganz großes Thema war es, Orte neu zu definieren und das Miteinander erwachsenenfrei neu zu gestalten: eine Hütte in einem Garten, die Bushaltestelle oder ein Stück Natur, wo man sich etwas reingebaut hat. Ich habe den Eindruck, das lässt nach, dass sich Kinder und Jugendliche selbst organisieren und aus eigener Kraft Kultur gestalten, sie ziehen sich immer mehr in die virtuellen Welten zurück. Das hat auch damit zu tun, dass die Schulorte mehr und mehr zentralisiert werden und die Kinder unglaublich lange in Bussen unterwegs sind, Ganztagsunterricht haben, erschöpft nach so einem langen Tag sind. Sie kommen gar nicht mehr dazu, diese notwendige Langeweile zu erleben, aus der sie sich irgendwann aufraffen, um etwas zusammen zu machen.
Letztendlich muss es darum gehen, Menschen zusammenzubringen, Impulse zu setzen und zu schauen, wie ein Miteinander gemeinsam gestaltet werden kann. Es geht ums Kennenlernen. Es geht um etwas Langfristiges.
Dr. Beate Kegler
Welche Akteure sind die Träger Kultureller Bildung in ländlichen Räumen?
Es ist unerheblich, ob das ein Museum, eine soziokulturelle Einrichtung, der Schützenverein, die Tanzgruppe, der Männerchor, die Kirche oder wer auch immer ist. Auch in einem Fußballverein kann Kulturelle Bildung stattfinden. Diese Trägerschaft Verein ist oft nur das Mittel, um relativ unkompliziert etwas zu strukturieren und leichter Spenden- und Fördergelder zu bekommen. Letztendlich muss es darum gehen, Menschen zusammenzubringen, Impulse zu setzen und zu schauen, wie ein Miteinander gemeinsam gestaltet werden kann. Es geht ums Kennenlernen. Es geht um etwas Langfristiges. Dann bleibt nur noch die Frage, ob diese Haltung dem Auftrag des Trägers gerecht wird.
Welche Akteure werden im ländlichen Raum oft übersehen und warum?
Vermutlich die vielen Gruppierungen, die keinen Vereinsstatus haben, die sich jede Woche treffen, aber weder in der Statistik geführt werden noch in der Presse oder Öffentlichkeit auftauchen. In einer Studie wurde herausgefunden, dass es in Niedersachsen 1.000 Amateurtheater-Gruppen gibt, von denen die wenigsten einen Verein gebildet haben. Das sind sicherlich wirksame Organisationseinheiten, die viel Kulturgestaltung bewegen. Dann gibt es auch Gruppen, die nur für eine Zeitlang zusammenfinden, weil sie ein Fest organisieren und dabei Kindern und Jugendlichen Raum geben, sich mit ihren kleinen Aktionen, z. B. einem Spieletag, gestaltend einzubringen. Aus dieser gelernten Struktur kann es dann neue Impulse geben, die zu einem Ereignis führen, z. B. zu einer Woche der Musik.
Der Beitrag ist erstveröffentlicht in: Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung e. V. (2020): Land – alles oder nichts!? kubi – Magazin für Kulturelle Bildung. No. 18-2020. Berlin. S. 18 – 21.
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