Gefühle erkennen, Konflikte bewältigen
Projekt gut:gehen, Walter-Blüchert-Stiftung, Gütersloh
Projekt gut:gehen, Walter-Blüchert-Stiftung, Gütersloh
Donnerstag ist „gut:gehen“-Tag: Zwölf Grundschulkinder sitzen im OGS-Bereich einer Bielefelder Grundschule im Kreis und schauen gespannt in die Runde. Auf einem Flipchart ist ein improvisierter Wetterbericht zu sehen: Sonne, Gewitterwolken, Regen. „Ich bin heute die Sonne“, sagt ein Junge und grinst, „weil ich mit meinem Freund eben auf dem Schulhof Fußball gespielt habe.“ Eine andere Schülerin zeigt auf die Wolke und murmelt: „Ich habe meine Mathe-Hausaufgaben vergessen.“ Doch zu erkennen, was uns zur Weißglut bringt, worüber wir uns freuen oder weshalb wir traurig sind, lässt sich nicht immer so leicht in Worte fassen.
Dieser symbolische Austausch über die Gefühlslage der Kinder, ist nur ein kleiner Teil dessen, was das Programm ausmacht. Das theaterpädagogische Projekt „gut:gehen“, entwickelt von der Walter-Blüchert-Stiftung, verfolgt ein ehrgeiziges Ziel: Resilienz fördern. Canip Gündogdu, Theaterpädagoge und Klinikclown, ist einer der kreativen Köpfe hinter dem Projekt. Für ihn ist das Thema Resilienz eine Herzensangelegenheit. „Es geht darum, Kinder stark zu machen. Mit Humor, Theater und dem Bewusstwerden der eigenen Stärken schaffen wir einen Raum, in dem sie sich entfalten können“, erklärt er. Gemeinsam mit seinen Kolleginnen Cornelia Rösler und Judith Patzelt hat Canip Gündogdu ein Modulkurskonzept entwickelt, das in Zusammenarbeit mit Kommune, Schule und Offenem Ganztagsbereich (OGS) umgesetzt wird.
Das Herzstück des Programms ist die theaterpädagogische Arbeit in zwölf aufeinander aufbauenden Einheiten. Jede Einheit beginnt mit Ritualen, wie einem gemeinsamen Ankommen und einem Warm-up. Es folgt eine kreative Spielphase, die den Körper aktiviert und die Fantasie anregt, bevor die Kinder in einer sogenannten Sharing-Phase darüber reflektieren, wie sich die Übungen auf sie ausgewirkt haben.
Die Kinder erleben Selbstwirksamkeit, indem sie ihre eigenen Konflikte und Lösungen in die Geschichten einarbeiten. Das passiert spielerisch, aber es führt zu tiefen Einsichten.
Canip Gündogdu, theaterpädagigischer Leiter des Projekts
Ein zentrales Element ist die „6-Bildergeschichte“, die an die klassische Heldenreise angelehnt ist. Dabei erstellen die Kinder in sechs Bildern eine eigene Geschichte – mit Protagonist*in, Hindernissen und einem „Helferlein“. Diese Erzählungen werden anschließend auf die Bühne gebracht. Canip Gündogdu beschreibt das Konzept als „hochwirksam“: „Die Kinder erleben Selbstwirksamkeit, indem sie ihre eigenen Konflikte und Lösungen in die Geschichten einarbeiten. Das passiert spielerisch, aber es führt zu tiefen Einsichten.“
Erfahrungen der Kursleiter*innen zeigen, dass Kinder häufig persönliche Themen in ihre Geschichten einfließen lassen – etwa Streitigkeiten oder Mobbing. Der Schutz des fiktiven Rahmens eröffnet ihnen dabei einen sicheren Raum, um Gefühle auszudrücken und Konflikte zu bearbeiten. Am Ende der Geschichte steht immer eine positive Lösung, sowie die Erkenntnis aus der Teamarbeit: „Ich kann und darf mir Hilfe holen und ich muss das nicht alleine schaffen.“
Ein weiterer Schwerpunkt ist das Erlernen von Methoden zur Stressbewältigung und Konfliktlösung. In einer Einheit, die auf der Methode des Forum-Theater basiert, bearbeiten die Kinder typische Schulhofkonflikte. „Es geht nicht darum, therapeutisch zu arbeiten – das können wir auch gar nicht – sondern den Kindern zu zeigen, wie sie Probleme konstruktiv lösen“, sagt der Theaterpädagoge. Durch Techniken der Distanzierung der realen Lebenswelt in der Spielsituation können neue Muster erprobt und damit die Handlungskompetenz der Kinder erweitert werden. Die theaterpädagogischen Methoden helfen den Kindern dabei, ihre Gefühle zu kanalisieren und ihnen Ausdruck zu verleihen. „Erfahrungsgemäß stellt man während der Einheiten eine Entwicklung der Kinder fest“, berichtet Canip Gündogdu. Dies äußert sich unter anderem im Wortschatz und in der Motivation der Schüler*innen.
Die Idee zu gut:gehen entstand in der Hochphase der Pandemie. Aylin Giller, Koordinatorin des Projekts, erinnert sich: „Die Schulschließungen und die Isolation haben vor allem Grundschulkinder hart getroffen. In diesem Alter haben Kinder noch keinen Zugang zu Social Media oder Möglichkeiten, Kontakt zu Gleichaltrigen zu halten.“ Doch die Notwendigkeit, Kindern wieder soziale Räume und emotionale Stabilität zu bieten, besteht über die Pandemie hinaus.
Es geht nicht darum, therapeutisch zu arbeiten – das können wir auch gar nicht – sondern den Kindern zu zeigen, wie sie Probleme konstruktiv lösen.
Canip Gündogdu, theaterpädagigischer Leiter des Projekts
Was zunächst als Pilotprojekt an drei Schulen in Bielefeld begann, ist inzwischen ein gefragtes Angebot für die zweite bis vierte Klasse. Das Programm richte sich explizit an alle Kinder, nicht nur an die besonders extrovertierten oder talentierten. Gerade die stillen, zurückhaltenden Kinder profitieren enorm, so die Projektleiter*innen.
Der Austausch mit den Eltern bleibt im Rahmen des Projekts begrenzt. Eine feste Ansprechperson innerhalb der Schule, zum Beispiel über das Schulsozialarbeitsteam hat eine Vermittlungsfunktion bei ernsteren Fällen. Die Rückmeldungen der Schulen seien überwältigend positiv, berichtet die Koordinatorin. Kinder, die zunächst „grummelig“ und unmotiviert seien, würden oft mit einem Lächeln nach Hause gehen. Ein Kind habe durch gut:gehen Freund*innen gefunden und Freude an der Schule entwickelt.
Wünschenswert wäre es, die Theaterpädagogik ins Lehramtsstudium einzuführen, heißt es im Erkenntnisbericht des Programms. Schreiben, lesen, rechnen: „Wo haben wir im schulischen Kontext noch Räume, um wirklich über Emotionen zu sprechen?“, fragt Canip Gündogdu. „Genau solche Räume schaffen wir hier.“ Dadurch bietet das gut:gehen-Projekt Kindern Raum für Wachstum, Selbstreflexion und die Entwicklung von Resilienz. „Lehrkräfte müssen sich an eng getaktete Lehrpläne halten, wodurch oft wenig Spielraum bleibt, auch auf andere Dinge einzugehen“, führt Aylin Giller aus. Dass es mal nicht darum ginge, wie gut ein Kind in Mathematik sei oder ob es lange stillsitzen und zuhören könne, sondern vielmehr darum, seine individuellen Fähigkeiten zu entdecken, mache das Programm so wertvoll.
Die psychosoziale Stabilität als Grundvoraussetzung zu sehen, nicht nur um aktiv am Schulalltag teilzuhaben und effektiv zu lernen, sondern der Lebens- und Bedürfnislage der Kinder langfristig gerecht zu werden, bleibt somit eine Aufgabe schulischer und außerschulischer Partner, wie der Kulturellen Bildung.