Ganztagsschulen schränken Kooperation mit kulturellen Bildungspartnern ein
Beunruhigender Trend oder Momentaufnahme?
Beunruhigender Trend oder Momentaufnahme?
von Bettina-Maria Gördel
Dr.in Bettina-Maria Gördel war bis 2019 wissenschaftl. Referent*in im BKJ-Projekt „Kreativpotentiale und Lebenskunst NRW“. Einige ihrer Arbeitsschwerpunkte waren Schulentwicklung, Educational Governance, Organisationstheorie, qualitative Forschungsmethoden.
Die neuesten Ergebnisse der Längsschnittstudie zur Entwicklung von Ganztagsschulen (StEG) zeigen, dass über 90 Prozent der Ganztagsschulen zu den beiden Befragungszeitpunkten 2012 und 2015 ein „musisch-kulturelles Angebot“ aufwiesen. Häufiger waren im außerunterrichtlichen Ganztag nur sportliche Angebote (ca. 97 Prozent) und ähnlich häufig die Hausaufgabenbetreuung und der Förderunterricht zu verzeichnen.
Für dieses musisch-kulturelle Angebot kooperierten knapp die Hälfte der Primarschulen, 36 Prozent der Gymnasien sowie 30 Prozent der Schulen mit Sekundarstufe I mit Musikschulen, Musikvereinen oder Kunstschulen. Mit Bibliotheken und Kirchengemeinden kooperierte ein kleinerer Anteil der Schulen. Insgesamt machte der kulturell-religiöse Kooperationsbereich je nach Schulform 47 bis 63 Prozent aus. Im Vergleich dazu machten die Kooperationen mit Sportvereinen, dem anteilig größten Kooperationsbereich, 62 Prozent bis 86 Prozent aus. Für die Kulturelle Bildung im Sinne der StEG-Studie wie auch für den Sportbereich zeigte sich, dass eine höhere Teilnahmequote am Ganztagsangebot mit einer verstärkten Kooperation mit externen Akteuren einherging. Daher kann geschlussfolgert werden, dass Kooperationen an sich, die Zahl der Kooperationspartner und die Kooperationsbereiche von der Höhe der Schülerteilnahmequote am Ganztag abhängen.
Obwohl der Zusammenarbeit mit kulturellen Bildungspartnern zwar weiterhin eine starke Bedeutung zukommt, zeigt sich zwischen den Erhebungszeitpunkten 2012 und 2015 bei allen Schulformen ein signifikanter Rückgang der Kooperationen mit Akteuren der Kulturellen Bildung. Ob dieser Rückgang allerdings schon als Trend einzustufen ist, der sich in den nächsten Jahren fortsetzen wird, lässt sich zu diesem Zeitpunkt der StEG-Studie nicht beantworten. Dazu ist nach Auffassung von Frau Professor Fischer, Mitglied des Forschungskonsortiums, abzuwarten, wie die Ergebnisse des nächsten Erhebungszeitpunktes im Jahr 2018 ausfallen.
Auch über die Gründe für den Rückgang kann zurzeit nur spekuliert werden. Sie können sich aus den politischen Rahmenbedingungen auf Landes- oder kommunaler Ebene ergeben und auf Eltern- und Schülerwünsche zurückzuführen sein. Auch die Situation in den Schulleitungen und Kollegien kann eine Rolle spielen: So wirkt sich möglicherweise der derzeitige Lehrermangel in den künstlerisch-musischen Fächern auf die Schulentwicklungs- und Kooperationsentscheidungen von Lehrer- und Schulkonferenzen aus.
Die rückläufige Entwicklung könnte ebenso damit erklärt werden, dass Ganztagsschulen in ihrem regionalen Umfeld nicht die geeigneten Kooperationspartner finden. So hat die Befragung ergeben, dass die Gewinnung von außerschulischen Kooperationspartnern für einen großen Teil der untersuchten Schulen – je nach Schulform zwischen 39 und 46 Prozent – schwierig ist. Diese Problematik nimmt in ländlichen Regionen zu. Sollte dies die Ursache des Rückgangs der Kooperationen sein, bräuchten Ganztagsschulen gezielt Hilfe bei der Suche nach Kooperationspartnern. In einigen Bundesländern gibt es bereits landesweite und kommunale Fachstrukturen, die Schulen bei der Suche nach geeigneten Kooperationspartnern aus dem Kulturbereich unterstützen wie z. B. in Nordrhein-Westfalen die Arbeitsstelle „Kulturelle Bildung in Schule und Jugendarbeit NRW“. Doch sicherlich sind diese noch ausbaufähig. Weiterhin können auch mangelnde Ressourcen die Schulen von der Kooperation mit kulturellen Bildungspartnern abhalten. Denn unabhängig von der Schulform hat die Schulleitungsbefragung Probleme sowohl bei der Rekrutierung als auch der Finanzierung des Personals herausgestellt.
Die inhaltliche Ausrichtung der Ganztagsschulen bzw. ihrer Schulentwicklungsprofile hingegen kann keine Ursache für den Rückgang der Kooperationen mit kulturellen Bildungspartnern sein. Denn alle befragten Schulen verfolgten mit ihren Ganztagsschulkonzepten Ziele, die auch mit Angeboten der Kulturellen Bildung flankiert und erreicht werden können. Diese Ziele sind „Gemeinschaft, soziales Lernen und Persönlichkeitsentwicklung“ (je nach Schulform 85 Prozent bis 95 Prozent), „Betreuung und Schulöffnung“ (77 Prozent bis 94 Prozent), „Erweiterung der Lernkultur“ (66 Prozent bis 75 Prozent) und „Kompetenzorientierung und Begabungsförderung“ (50 Prozent bis 69 Prozent).
Die Ursachen für den Rückgang der Kooperation zwischen Ganztagsschulen und kulturellen Bildungspartnern können aber auch auf Seiten der kulturellen Bildungsakteure liegen. Zu fragen wäre hier, ob die Rückgänge auf ein geringes Angebot z. B. im ländlichen Bereich zurückzuführen sind oder ob kulturelle Bildungspartner sich vielleicht aus mangelnder Anschlussfähigkeit ihres pädagogischen Verständnisses (angelehnt an die freie Jugendhilfe) aus den Kooperationen mit Schulen zurückziehen. Ebenso könnten auch die Kooperationszeiten die Zusammenarbeit mit Ganztagsschulen für kulturelle Bildungspartner erschweren.
Schließlich ist auch denkbar, dass die Kooperationspartner – Ganztagsschule einerseits und kulturelle Kinder- und Jugendbildung andererseits – in ihren institutionellen Settings und ihrem professionellem Verständnis so weit auseinanderliegen, dass Kooperationen in diesem Feld von beiden Seiten als zu aufwendig und wenig gewinnbringend angesehen werden. Sollte dies der Fall sein, müssten beiden Kooperationspartnern verstärkt Anreize für die Zusammenarbeit dargeboten werden.
Den Akteuren der Kulturellen Bildung und potentiellen Kooperationspartnern von Ganztagsschulen bleibt in diesem komplexen Feld der möglichen Ursachen somit nicht viel anderes übrig, als situationsbezogen und individuell die Landschaft der Kulturellen Bildung im schulischen Ganztag aufmerksam zu beobachten und kritisch auf die Ursachen von gelingenden und misslingenden Kooperationen hin zu befragen. Als Reflexionshilfen können dafür die Instrumente der Werkzeugbox zur Unterstützung von Kulturkooperationen im BKJ-Fachportal „Kultur macht Schule“ herangezogen werden. Im Vordergrund sollten immer eine aktive Beziehungspflege zum Kooperationspartner und eine Kooperation der Anerkennung stehen.
Arbeitsstelle „Kulturelle Bildung in Schule und Jugendarbeit NRW“
Fachportal „Kultur macht Schule“: Werkzeugbox „Kulturkooperationen“
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