Ganztag ist keine schulische Erweiterung, sondern ganzheitlich gestalteter Lebensraum
Interview mit Daniela Biebl
Interview mit Daniela Biebl
Daniela Biebl ist Vorstandsmitglied der Landesvereinigung Kulturelle Bildung Bayern e.V. (LKB:BY). Diese vernetzt, berät und unterstützt Praxis und Theorie, außerschulische Bildung und Bildungsinstitutionen, Politik und Verwaltung zur Stärkung der Kulturellen Bildung in Bayern.
Mich – und ein Kongress in Bayern im März hat gezeigt, dass es auch in der Breite so ist – interessiert das Thema der Kooperation. Nicht nur die Augenhöhe zwischen den Akteuren und Einrichtungen ist relevant, also wie kommunizieren Lehrkräfte und außerschulische Fachkräfte, sondern auch die Augenhöhe der Fächer. Welche Schwerpunkte werden im Ganztag gesetzt: Sind das mathematische Fächer, die am Nachmittag nochmal gefördert werden oder geht es wirklich darum, einen Freiraum zu schaffen? Mich interessiert, welche interessanten Antworten es dafür in der einen oder anderen Kommune oder in einem anderen Bundesland gibt.
Auch die Frage nach der Steuerung von kulturellen Bildungsprozessen scheint mir äußerst interessant. Welche Konstrukte haben wir, um die mit Kultureller Bildung verbundenen Ziele zu erreichen? In München etwa wird gerade die Gesamtkonzeption Kulturelle Bildung fortgeschrieben. Verschiedene Strukturen sind hier in einen umfassenden Beteiligungsprozess einbezogen. Die freie Szene und verschiedene städtische Referate kommen damit in einen Austausch und Aushandlungsprozess über Inhalte und Strukturen, was die Perspektiven auf allen Seiten weitet.
Das kann ich ganz schwer sagen. Ich habe lediglich einen Eindruck. Aus der Perspektive der kulturellen Akteure heraus passiert recht viel, vor allem bei den Musikschulen und Jugendkunstschulen, die mit Schulen zusammenarbeiten. Auch Schulen öffnen sich zunehmend. Sie schauen auf eigene Arbeitsstrukturen, Kommunikationsweisen und Fortbildungsmöglichkeiten des eigenen Personals. Schulleitungen sind oft sehr bemüht, Kulturräume und Begegnungsräume zu schaffen abseits der tatsächlichen Stunden im Ganztag, wo sich Lehrkräfte und Kulturvermittler*innen austauschen können. Strukturell ist es aber weiterhin schwierig, weil dafür keine finanziellen Mittel vorgesehen sind. Es gibt keine zusätzlichen Stunden, um Kooperationen zu besprechen, Absprachen zu treffen, die für Kooperationen notwendige Kommunikation zu führen. Die finanzielle Ausstattung für die Personen, die von extern an die Schulen kommen, ist außerdem nicht zufriedenstellend. Es gibt selten einen Stunden- oder Tagessatz, der für freischaffende Personen angemessen ist. Den Lehrkräften ist oft nicht bewusst, in welchen Arbeitsverhältnissen sich Externe bewegen, dass sie keine Festanstellung haben und womöglich unter prekären Bedingungen leben. Es gibt in Bayern sicher viele Plattformen, die viel angestoßen haben, aber da ist noch nicht genug getan. Und das hängt häufig mit Rahmenbedingungen zusammen.
Das Land müsste einen „guten“ Ganztag befördern, der beinhaltet, dass er entsprechend flexibel aufgebaut ist. Es braucht mehr Lehrkräfte und Personal und vor allem müssen die Bedürfnisse von Kindern, Jugendlichen und Eltern berücksichtigt werden. Dass der Ganztag entsprechend ihrer Wünsche ausgestaltet werden kann und nicht nur ein Format wird, wo Eltern ihre Kinder unterbringen können, weil sie nicht wissen, wie sie sie anderweitig über den Tag hinweg betreuen können. Es braucht inhaltlich gute Angebote mit guten Räumlichkeiten und einer gewissen Flexibilität. Die Empfindung, dass Ganztag gleich Schule ist, muss aufgelöst werden. Und Freiwilligkeit ist ein wichtiger Aspekt. Manche Kinder genießen es, mit ihren Freunden den Tag zu verbringen, aber es gibt auch Kinder, die im Ganztag bleiben müssen. Sie sehen wie andere nach Hause gehen oder ihre Freizeit selbst gestalten. Sie empfinden den Ganztag womöglich als Schule mit einem fixen Programm, an dem sie teilnehmen müssen. Teilweise ist unter den Schüler*innen sogar die Rede von „Opferklassen“.
Wichtig ist meiner Meinung nach, dass man den Ganztag nicht nur als schulische Erweiterung sieht, sondern als Lebensraum, der ganzheitlich gestaltet wird – von allen Beteiligten.
Das Interview ist anlässlich der Fachtagung der BKJ „Perspektiven wechseln. Chancen schaffen“ am 17. März 2018 in Remscheid aufgenommen und im Nachhinein verschriftlicht worden.
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