„Ganz Weimar ist unser Zirkuszelt!“
Kinder- und Jugendzirkus Tasifan, Weimar
Kinder- und Jugendzirkus Tasifan, Weimar
Kathrin Köller
Die Bühne – das ist im Sommer 2020 ein Garten, ein Park, eine Straße im Wohngebiet, eine Turnhalle. Zwischen 12 und 20 Kinder bespielen diese Bühnen mit Akrobatik und Jonglage und vollführen Halsbrecherisches auf Rollbrettern und Einrädern. Ihr Publikum: zwei Kameramenschen des Kinder- und Jugendzirkus Tasifan – und die Weite des digitalen Raums.
Manche der ganz Kleinen können sich zwischendurch einen ehrfurchtsvollen Blick in Richtung Kamera nicht verkneifen. Aber die meisten sind völlig bei der Sache, helfen einander beim Seiltanz oder überbieten sich gegenseitig beim Laufen auf Zirkusbällen. Und die als Fledermäuse Kostümierten faszinieren mit ihrer Sprungkraft so sehr, dass man sich problemlos vorstellen kann, wie sie nachts im Heuboden herumflattern.
Als die „Tasifanis“ im März die Kinder nach Hause schicken müssen, herrscht für ein paar Tage Ratlosigkeit. Ferienprojekte mit 150 Kindern, wie sie der Zirkus seit mehr als 20 Jahren anbietet, das scheint auf absehbare Zeit keine Option zu sein. „Jeden Morgen sitzen sie im Zirkuszelt, eng an eng und singen ein schönes Lied und mit dem Lied in der Seele gehen sie dann in ihre Workshops“, erzählt Dirk Wendelmuth, der pädagogische Leiter des Kinder- und Jugendzirkus in Weimar. „Das geht natürlich alles gerade nicht.“ Aber Zirkus wäre nicht Zirkus, würde er nicht improvisieren und ausgefallene Lösungen für ausgefallene Probleme finden.
Als erstes bringen Dirk Wendelmuth und seine Kolleg*innen ihre Geräte zu den Kindern. Nach dem Motto: „Wenn ihr nicht in den Zirkus kommen könnt, kommt der Zirkus halt zu euch.“ „Die Kinder konnten sich bei uns melden. Wir sind dann zu ihnen nach Hause gefahren und haben die Sachen vor die Tür gestellt. Im März und April sah man dann auf den Straßen Weimars überall Kinder mit ihren Eltern Einrad fahren üben.
Neben der Straße ist der einzige Ort, an dem sich während des Lockdowns etwas abspielt, das häusliche Wohnzimmer. Also legt sich auch der Zirkus vier Wände, eine Couch und einen großen Teppich zu. „Tasifan zu Hause“ nennt sich das Zirkus-Wohnzimmer im Netz, in dem wöchentlich immer andere Kursleiter*innen eintreffen und zu einem Zirkustraining der etwas anderen Art einladen. Immer vor dem Hintergrund, dass es nicht viel Platz gibt, unterrichten Maria, Max und Christina Einballjonglage und Dehnen mit Besen, es gibt ein schweißtreibendes Workout mit Bücherschinken und selbst Einradhüpfen auf ein paar Quadratmetern Teppich bringt die Kinder nicht aus dem Takt. Die Eltern der jungen Artist*innen hoffentlich auch nicht.
Als immer mehr Kinder wieder in Kitas und Schulen auftauchen, ist auch der Zirkus schnell wieder „runter von der Couch“. „Wir sind hingefahren und haben sehr schnell gelernt, wie wir unsere Angebote verändern können, damit wir wieder mit den Kindern arbeiten können“, erzählt Dirk Wendelmuth. „Wir haben die Gruppen kleiner gemacht, die Orte multipliziert und gelernt, alles immer schnell zu desinfizieren. So haben wir es im Sommer geschafft, mit 400 Kindern zu arbeiten“, berichtet der Zirkusleiter. Das Zelt ist die ganze Zeit eingepackt geblieben und öffentliche Aufführungen gab es auch keine. Stattdessen hat sich die Technikcrew in verschiedenste Programme hineingefuchst, die Aufführungen gefilmt, mit Musik unterlegt und in eine digitale Show verwandelt, die dann passwortgeschützt für die Familien online zur Verfügung gestellt wurde. „Das kam ziemlich gut an – und war ziemlich aufwendig“, fasst Dirk Wendelmuth die neue Erfahrung zusammen.
Wir sind ein fester Punkt in dem Bildungsplan, den die Kinder sich außerhalb von Schule stricken.
Dirk Wendelmuth
Das flexible Reagieren des Kinder- und Jugendzirkus hat sicherlich auch viel damit zu tun, dass Tasifans Magie auch schon vor Corona an ganz verschiedenen Orten entstand. Seit 1997 arbeitet der Zirkus schwerpunktmäßig mit aufsuchenden Angeboten. Da ist der rote Zirkusbus, der jeden Wochentag an einem anderen Ort in Weimar aufschlägt. Aber das regelmäßig. „Wir sind ein fester Punkt in dem Bildungsplan, den die Kinder sich außerhalb von Schule stricken. Der Reiz ist, glaube ich, dass die Kinder selbst entscheiden, was sie interessiert und dass am Ende immer etwas Vorzeigbares entsteht. Egal wie viel jemand kann, auch wenn es nur das Werfen eines Balls ist, du kannst damit immer eine Geschichte erzählen und das Ganze dann einem Publikum vorführen – auch wenn das in diesen Tagen sehr kleine Publikumsgruppen sind – das macht Zirkus für Kinder sehr wertvoll.“ Und zwar für alle. Auch für die Kinder, die nicht von alleine in die etablierten Kultureinrichtungen kommen und für diejenigen, die sich nach der Schule eigentlich gar nicht mehr konzentrieren können. Mit ihnen wird erst mal besprochen, was sie brauchen, um nicht auszurasten, erklärt Dirk Wendelmuth. „Manche müssen sich dann eben erst mal auf der Sprossenwand ganz oben hinsetzen und dann lässt man sie fünf Minuten in Ruhe.“ So würden alle Kinder einen rücksichtsvollen Umgang miteinander lernen, was auch den gemeinsamen Schulalltag positiv verändert.
Was den Zirkus selbst stärkt, ist eine Netzwerkstruktur, die auf Kooperation und Solidarität ausgelegt ist. „Wir haben gute Kontakte zum Beispiel zum Städtischen Sportamt und zu Kultureinrichtungen, sodass wir große Räume und Turnhallen auch unentgeltlich nutzen dürfen.“ Darüber hinaus ist der Zirkusleiter überzeugt, dass viel gewonnen ist, wenn man sich gemeinsam auf die Suche nach Lösungsansätzen macht. Und er erzählt von ihrem Versorgungsproblem im Sommer, als sie nicht wussten, wie das mit dem Essen klappen sollte, für die vielen kleinen Ferienworkshops in der Stadt und für ihre Küche, in der man unter Corona-Bedingungen nicht arbeiten konnte. „Wegschmeißnahrung“ kam für die Truppe nicht in Frage, hatte doch die Jugendgruppe gerade ein Stück zum Klimawandel erarbeitet. „Und dann haben wir mit einem Hotelbetreiber gesprochen, der in einem Gebäude eine Küche frei hatte. Die durften wir dann nutzen. Unsere Köche haben dort gutes Essen gekocht und dieses Essen haben wir dann als mobiles Catering an die verschiedenen Standorte gebracht.“ Diese Idee aus der Not geboren funktioniert für alle Seiten so gut, dass sie auch für die nächsten Workshops etabliert wird. „Das ist schon ein super Gefühl, zu merken, dass wir gute Antworten finden auf diese Situation“, sagt Dirk Wendelmuth und hofft, dass wir auch als Gesellschaft die Kraft finden, nicht nur das Negative zu sehen, sondern auch Positives zu entdecken und uns gemeinsam auf die Suche nach neuen Lösungen zu machen.
Der Beitrag ist erstveröffentlicht in: Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung e. V. (2021): Unverzichtbar – Orte Kultureller Bildung kubi – Magazin für Kulturelle Bildung. No. 20-2021. Berlin. S. 20 – 23.
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