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Frei-Raum im Ganztag – mit Kultureller Bildung und durch Kooperation!

Frei-Raum im Ganztag – mit Kultureller Bildung und durch Kooperation!

Forum, 22. November 2018 in Kiel

veröffentlicht:

Kinder und Jugendliche brauchen Freiräume, um die Welt zu entdecken und zu erobern, um Erfahrungen zu sammeln und sich zu entfalten. Das ist die Überzeugung der BKJ. Und was können Kulturelle Bildung und kulturelle Bildungskooperationen tun, damit es diese Räume gibt?

Frei-Räume – Ein jugendpolitischer Auftrag

Bereits in seiner Begrüßung setzte Alexander Luttmann, Vorstandsmitglied der BKJ und Geschäftsführer der LKJ Schleswig-Holstein, den Rahmen und Anspruch: Die mit dem Forum verbundene Frage ist ein zutiefst kinder- und jugendpolitischer Auftrag: Wie gelingt es in der Kulturellen Bildung, Kindern und Jugendlichen Räume zu ermöglichen, die sie nicht nur selbstbestimmt nutzen können, sondern die sie das sein lassen können, was sie sind, nämlich junge Menschen mit ganz eigenen Bedürfnissen, die sich auf die Suche begeben, die Erfahrungen sammeln wollen, die neugierig sind, für die die eigene Peer-Group wichtig sind, die Verantwortung übernehmen wollen, die sich ausprobieren und beweisen wollen?

Frei-Räume – Ein Grundbedürfnis und eine Herausforderung

Warum Frei-Räume bedeutend sind, verdeutlichte Alexander Wenzlik von PA /Spielkultur e. V. München in seinem Grundsatzimpuls. Das Bedürfnis nach Freiräumen sei besonders existentiell und aktuell, weil viele Menschen sich immer öfter gestresst fühlen, unter Druck, mit vielfältigen Erwartungen, Anforderungen, Aufgaben und Pflichten konfrontiert. Der 15. Kinder-und Jugendbericht habe herausgearbeitet, dass die Gesellschaft mit ihren hohen und komplexen Anforderungen an das Aufwachsen von Kindern und Jugendlichen, mit ihrer zunehmenden Verzweckung und Orientierung am Leistungsprinzip und einer weitreichenden Verschulung die Freiräume von jungen Menschen zunehmend einschränkt. Dabei geht es nicht um temporäre Nischen im räumlichen, zeitlichen, inhaltlichen Sinne, sondern vielmehr um die Forderung nach einer grundlegenden Veränderung der Gesellschaft: weg vom Leistungs- und Wachstumsprinzip, hin zu einer Gesellschaft, die mehr Raum lässt für individuelle Erfahrungen, Ausprobieren, Brüche, Umwege, freie Gestaltung. Das macht das Thema Freiraum zu einer der zentralen gesellschaftlichen Herausforderungen, zu deren Bewältigung die Kulturelle Bildung und auch die Schule und vor allem Schule und Kulturelle Bildung in der gemeinsamen Gestaltung von Ganztagssettings einen Beitrag leisten können.

Frei-Räume – Eine definitorische Annäherung

In seinen weiteren Ausführungen beschrieb Alexander Wenzlik Freiheit als eine wesentliche Dimension von Freiräumen: frei sein im Tun, im Denken, im Fühlen, frei sein von Autorität und Angst, „Raum, in dem man sein kann, wie man ist oder wie man sein will“. Damit verknüpft sind Wahlmöglichkeiten im Sinne von Bewegungs-, Entscheidungs- und Handlungsspielräume, d. h. beispielsweise, dass es verschiedene Optionen gibt, zwischen denen gewählt werden kann, und verschiedene Positionen, die eingenommen werden können. Damit verbunden ist eine (selbst gewählte!) Begrenzung, die durch das Setting, das gewählt und gestaltet wird, die genannten Spielräume einschränkt. Dies kann – durch den freiwilligen und selbst gewählten Charakter – dennoch zu neuen Verhaltensmustern führen und damit zu Veränderungen im Erleben und Verhalten. Das setzt voraus, dass Freiräume selbst gestalt- und veränderbar sind und dass sie Prozesse mit offenem, ungewissem Ausgang ermöglichen.

Copyright: BKJ | Timo Wilke
Copyright: BKJ | Timo Wilke
Copyright: BKJ | Timo Wilke
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BKJ | Timo Wilke

Frei-Räume – Eine Notwendigkeit in der Ganztagsbildung

Ein Grund, warum gerade in Ganztags(schul)kontexten Freiräumen eine so große Bedeutung zukommt, ist, dass Kinder und Jugendliche einen zunehmend großen Teil ihrer Zeit in Schule und anderen Institutionen verbringen und ihre Möglichkeiten der autonomen, individuellen und freien Gestaltung ihrer Zeit, stark schrumpfen. Zu unterscheiden seien:

  • Freiräume, außerhalb von formalen und non-formalen Kontexten, also Freiräume in gänzlich informellen Kontexten, in Peergruppen und der Freizeit, die vollständig frei sind von jeglichen institutionellen, pädagogischen Vorgaben, Regeln, Bedingungen und auf die Erwachsene und Autoritäten keinen Einfluss haben.
  • Freiräume innerhalb von formalen und non-formalen (Bildungs-)Settings, z. B. in Ganztagsbildungskontexten, die von den jeweiligen Institutionen und Akteuren geschaffen und ermöglicht werden.

Es gibt, so Alexander Wenzlik, dabei einen Widerspruch zwischen der potentiellen Möglichkeit und der tatsächlichen Realisierung von Freiräumen in der Ganztagsbildung: Einerseits bestehe in diesen Kontexten in konzeptioneller, zeitlicher und räumlicher Hinsicht ein großes Potenzial, Freiräume zu schaffen, z. B. durch die Zusammenarbeit unterschiedlicher Akteure. Andererseits werde die Schaffung von Freiräumen gerade im Ganztag und in der Zusammenarbeit mit Schule oftmals strukturell und organisationsbedingt be- und verhindert.

Schulräume partizipativ gestalten

Dass Frei-Räume auch davon geprägt sind, welche räumlichen Möglichkeiten Kindern und Jugendlichen z. B. in der Schule geboten werden, in denen sie ihren Bedürfnissen entsprechend lernen, begegnen, ausruhen und aktiv sein können – in denen sie sich demnach auch wohlfühlen können – verdeutlichte André Heukamp, Architekt aus Berlin (Bauereignis Sütterlin Wagner), in seinem Grundsatzimpuls. Bauereignis nutzt Projekte, um Schulräume umzugestalten. Die Kinder und Jugendlichen werden nicht nur an der Entwicklung von Ideen und der konkreten Konzeption der Räume beteiligt, sondern bauen die Möbel selbst bzw. nehmen die Umbauten selbst vor.

In einer Arbeitsgruppe vertiefte er diese Ausführungen. Ergänzt wurde seine Perspektive durch Ute Reeh, Freie Künstlerin aus Düsseldorf mit ihrem Projektkonzept Schulkunst. Sie verfolgt ebenso einen sehr partizipativen Ansatz und folgt in ihren Projekten den Impulsen der Schüler*innen. Und zwar zunächst allen Impulsen und Ideen, denn nichts sei als unerwünscht auszuschließen. Oftmals sei es zudem so, dass nicht die Gesamtvision, sondern einzelne Aspekte umgesetzt werden, was eine Form der Begrenzung, aber auch eine Auseinandersetzung mit Rahmenbedingungen darstellt. Auch dies ist eine besondere Form des Frei-Raums, schließt es doch jeden Moment die Möglichkeit des Scheiterns ein und eine Arbeitsweise, die sich nicht davon einschränken oder abschrecken lässt. Scheitern produktiv zu nutzen – das war den Teilnehmer*innen der Arbeitsgruppe ein wichtiges Anliegen.

Steht zu Beginn der Arbeit von Ute Reeh zunächst ein Raum und künstlerische Sichtweisen, ergeben sich daraus fast immer größere Prozesse in Richtung Schulentwicklung: Schüler*innen erkennen, dass Dinge umgesetzt und anders gemacht werden können, und Lehrer*innen erkennen, dass sie Schüler*innen Dinge zutrauen und zumuten können. Dies ist eine Form der Anerkennung, die nicht immer gegeben wird, wenn z. B. nicht alle Betroffenen ausreichend informiert und einbezogen werden.

Gefragt nach der Wirkung von gestalteten Räumen auf Schüler*innen wurde festgehalten: Es gebe konkrete Auswirkungen wie eine konzentriertere Arbeitsatmosphäre, aber auch weichere Faktoren wie eine höhere Identifikation mit dem Ort und damit ein höheres Wohlbefinden sowie die Hoffnung, dass von solchen Räumen die Zuversicht vermittelt wird, selbst etwas bewirken zu können.

Copyright: BKJ | Timo Wilke
Copyright: BKJ | Timo Wilke
Copyright: BKJ | Timo Wilke
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BKJ | Timo Wilke

Sozial- und Bühnenräume in Kultureller Bildung nutzen

Raus aus Schule, rein in die Bildungslandschaft – diesen Aspekt griff eine weitere Arbeitsgruppe auf. Das Projekt „fair…rappt!“ der Jugendhilfe Essen gGmbH, so Martin Stichler, nutzt nicht nur Rap als jugendkulturelles Medium, um Jugendliche zu erreichen und mit ihnen über Politik zu reden. Vielmehr führen sie das Projekt in verschiedenen Formen durch, wie z. B. durch Workshops in der außerschulischen Arbeit, in der Schule aber auch als Kooperation mit Schule an einem dritten Ort. Dabei fällt auf, wie sehr die Arbeit von außerschulischen Räumen profitiert, indem Jugendhäuser mit ihren räumlichen Möglichkeiten und ihrer Offenheit wichtige Wohlfühlorte darstellen.

Dania Hohmann vom St. Pauli Theater und Lisa Stahlberg von der Stadtteilschule am Hafen mit Standort St. Pauli in Hamburg gehen auf das „St. Pauli Theater Projekt“ ein, das sich an alle Klassenstufen der Schule wendet. Für das jährliche klassische Theaterstück gehen auch sie „raus aus der Schule“ ins St. Pauli Theater und benutzen die dortigen Räume und die Bühne. Klassiker spiegeln wichtige Themen für Jugendliche. Als junge Schauspieler*innen bietet ihnen die Bühne als Freiraum eine sichere Parallelwelt. Dieser geschützte und besondere Freiraum hilft dabei, Jugendliche zu gewinnen und zu begeistern.

Sozial- und Bühnenräume helfen den Kindern und Jugendlichen dabei, so wird in der anschließenden Diskussion deutlich, dass sie sich – wie eingangs bereits von Alexander Wenzlik beschrieben – neu entdecken und Verhaltensmuster verändern. Diese Selbstwirksamkeit motiviert junge Menschen, selbst Initiative zu ergreifen oder auch ihren Sozialraum durch vielfältige Begegnungen mit Menschen und Orten zu erweitern, Das macht die Projekte wirksam und nachhaltig.

Eine Brücke hierzu schlug eine weitere Arbeitsgruppe: Projekte in der bzw. mit einer Schule scheinen eine „Landebahn“ für die Belange im Stadtteil zu sein. Themen aus dem Stadtteil werden durch Aktionen wieder in den Stadtteil hineingetragen.

Freiräume im Ganztag durch Kooperationen ermöglichen

Jörg-Thomas Alvermann von der Generationenwerkstatt Düsseldorf und Klaus Banaszak vom Projekt „Angekommen in deiner Stadt Dortmund“ beschäftigten sich damit, inwieweit Kooperationen Frei-Räume ermöglichen.

Im Rahmen der Generationenwerkstatt wird beispielsweise die Frage aufgeworfen, inwieweit Freiräume in der Schule möglich sind. Rahmenbedingungen – das hatte bereits Alexander Wenzlik erwähnt – wie die schulische Aufsichtspflicht stehen dazu im Konflikt. Durch außerschulische Netzwerke, zum Beispiel soziale Initiativen, können Schüler*innen mit Ressourcen und Expertise unterstützt werden. Netzwerke liefern auch Handlungswissen, dass den Akteur*innen bei der Umsetzung ihrer Projekte und deren Implementierung innerhalb der Schule helfen kann. Außerschulischen Partner, in dem Fall dem Keywork-Verein, sind Veränderungen an der Schule wichtig, weswegen sie sich auch ehrenamtlich engagieren. Das Projekt „Angekommen in deiner Stadt Dortmund“ bietet sowohl vormittags in Schulen als auch nachmittags außerhalb von Schulen Projekte für geflüchtete Kinder und Jugendliche an. Die Vormittage werden zum Kennenlernen genutzt und nachmittags weiterführende Angebote unterbreitet. Besonders lohnend sind dabei der offene Blick von Künstler*innen und ihre Methoden, die neue kreative Räume schaffen.

In der anschließenden Diskussion wird die Frage aufgeworfen, wo die Grenzen von Freiräumen liegen oder liegen sollten. Auch werden Bedenken geäußert, dass Schule durch verstärktes Engagement außerschulischer Akteure aus der Verantwortung genommen werden. Es wird hinsichtlich von Freiräumen auch die Frage nach der Bewertung künstlerischer Produkte gestellt, denn die Frage der Anerkennung ist eine wichtige. Doch wie gehen die Durchführenden mit dem Wunsch von Schüler*innen um, Noten zu bekommen?

Außerschulische Akteure stehen, auch im Zuge des Ausbaus des Ganztags, vor der Herausforderung, ihre Zielgruppen zu erreichen und setzen daher weiterhin stark auf Kooperationen. Potenziell können in diesen Freiräume geschaffen werden, wenn Schule und Kooperationspartner sich als lernende Organisationen verstehen und gemeinsam hinderliche Rahmenbedingungen überwinden.

Ländliche Räume beleben

Ländliche Räume – besondere Räume!? In einer weiteren Arbeitsgruppe wurde reflektiert, inwieweit diese Frage durch Kulturelle Bildung beantwortet werden kann. Das Spannungsgeld reichte von spezifischen Potenzialen bis hin zu besonderen Herausforderungen, von mobiler aufsuchender Arbeit (Meike Straub-Jensen, musiculum MOBIL) bis hin zu am Ort ansässigem Engagement (Uta Berghöfer, Moortheater).

Den Inputgeber*innen und Teilnehmer*innen war besonders wichtig, den Blick nicht auf den Mangel zu lenken, sondern positiv darauf zu richten, was alles „auf dem Land“ vorhanden ist: Was vorhanden ist bzw. sein sollte, ist z. B. der persönliche Bezug, der sich oft auch in einer engen Vernetzung zeigt und die Grundlage für gute Projekte in ländlichen Räumen bildet. Ein weiteres wichtiges Element ist die Begeisterung für die Region oder für eine Besonderheit vor Ort. Diese Begeisterung und Identität drücken sich unter anderem darin aus, dass Kulturpädagog*innen und Künstler*innen selbst vor Ort leben. Wenn dies nicht der Fall ist, braucht es enge und vor allem persönliche Kontakte. Viele der Projekte beziehen Landschaft und Umgebung mit ein (so beispielsweise auch „Hidden Places“ in Brandenburg), was zu interdisziplinären Ansätzen führt – z. B. Naturpädagogik.

In jedem Fall sind alle vor Ort bestehenden Strukturen einzubeziehen und zu nutzen – so werden Kulturprojekte bzw. kulturelle Bildungsprojekt zu einem Teil der Gemeinschaft im ländlichen Raum. Freiwillige Feuerwehren und Fußballvereine sind beispielsweise sehr gute Bündnispartner. Vorhandene Strukturen sind aber auch Einzelpersonen und (ihre) kleinen Unternehmen. Aus diesen Netzwerken ergibt sich ein gemeinschaftliches Engagement für Projekte, das dazu beiträgt, dass sich diese Projekte verstetigen.

Mit persönlichen Kontakten gilt es aber nicht nur, Netzwerke zu pflegen, sondern auch Beziehungen zu den Teilnehmer*innen zu gestalten. Schulen und Kindertageseinrichtungen sind der wichtigste Anlaufpunkt für Zielgruppen. In ihnen gibt es, das pädagogische Personal und die Leitungen zu überzeugen.

In ländlichen Räumen, so die Überzeugung der dort Aktiven, gebe es viel Freiraum und die Möglichkeit, sich in diesem auszuprobieren. Viele Leerstellen laden dazu ein, sich bespielen zu lassen. Das Moortheater nutzt ein verlassenes Gasthaus oder ein Segelboot am Steg für Aufführungen.

Das Forum „Frei-Raum im Ganztag“ hat stattgefunden in Kooperation mit dem BKJ-Mitgliedsverband

Logo Landesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung Schleswig-Holstein

Die Landesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung (LKJ) Schleswig-Holstein ist geprägt von einer Vielfalt an Erscheinungsformen und Wirkungsfeldern. Sie vertritt die Interessen von landesweit tätigen und ehrenamtlich geführten Mitgliedsverbänden und Bildungsstätten. Die großen Mitgliedsverbände, darunter viele Landesarbeitsgemeinschaften, sind ihrerseits Dachverbände für viele bis in kleine örtliche Strukturen hinein wirkende Gruppen und Vereine mit zahlreichen Mitgliedern. In der LKJ sind nahezu alle Sparten vertreten und der Angebotsumfang der großen Verbände erstreckt sich von der Basis- bis zur Spitzenförderung, von der Anfängerschulung bis zum Übergang in die semiprofessionelle Kulturszene.

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