Was sind die rechtlichen Grundlagen für kulturelle Teilhabe? Und was hat es mit der Leitkultur auf sich? Verlangt diese nach Schutz – durch uns alle?
von Max Fuchs
Prof. Dr. Max Fuchs war bis Ende 2013 Direktor der Akademie Remscheid und Präsident des Deutschen Kulturrats. Er ist Ehrenvorsitzender der BKJ und des Instituts für Bildung und Kultur. Er lehrt Allgemeine Pädagogik und Kulturpädagogik an der Universität Duisburg-Essen.
Kriege und Bürgerkriege in Nordafrika, in Syrien, im Libanon, im Irak und in Afghanistan haben zu der größten Fluchtbewegung nach dem Zweiten Weltkrieg geführt. Millionen von Menschen ergriffen die Flucht, weil in ihrer Heimat massiv gegen ein zentrales Menschenrecht, nämlich das Recht auf körperliche Unverletzlichkeit und Integrität, verstoßen wird: Sie waren sich ihres Lebens nicht mehr sicher. Mit ihrer Flucht haben sie nicht nur ihre Heimat aufgegeben: Sie gingen wegen der Unsicherheit der Fluchtwege ein sehr hohes Risiko ein, für das sie zudem kriminellen Schlepperbanden enorme Summen bezahlen mussten. Ihr Ziel waren europäische Länder, vor allem Mitgliedsländer der Europäischen Union, von denen sie glaubten, dort sicher und mit einem gewissen Auskommen leben zu können.
Womit sie nicht rechneten, war, dass die Länder der Europäischen Union und die Europäische Union selbst nicht so human reagierten, wie es etwa in Sonntagsreden über eine „europäische Wertegemeinschaft“ oder wie es in der Europäischen Grundrechtecharta formuliert wird. Es formierte sich vielmehr ein erheblicher Widerstand gegen Geflüchtete und Asylsuchende in allen betroffenen Ländern, der quer durch alle sozialen Schichten ging. In vielen Ländern erhielten rechtspopulistische Parteien, deren einziges politisches Ziel die Abwehr von Zuwanderung war, bei Wahlen bzw. bei Umfragen ausgesprochen hohe Zustimmungswerte. Die große Zahl der aufzunehmenden Geflüchteten stellte zudem auch insofern ein Problem dar, als es zunächst keine geeigneten Infrastrukturen – vor allem auf kommunaler Ebene – gab. Trotz erheblicher Widerstände öffnete die deutsche Bundesregierung die Grenzen (Angela Merkel: „Wir schaffen das!“). Viele Fachkräfte sowie Träger und ihre Organisationen im Bereich der Jugend-, Bildungs- und Kulturpolitik reagierten schnell auf diese Herausforderung mit entsprechenden Angeboten und einem enormen Engagement.
Allerdings erfuhr diese anfängliche Offenheit aufgrund eines erheblichen Gegendrucks sowohl auf nationaler Ebene als auch im europäischen Kontext durch andere Mitgliedsländer der EU nach und nach deutlichen Restriktionen. Dabei hätte man gerade in Deutschland aufgrund seiner Geschichte ein größeres Verständnis für Geflüchtete erwarten können (Aust/Burgdorf 2003). Die Schließung der Balkanroute, über die die meisten Geflüchteten nach Mitteleuropa kommen wollten, war die drastischste Reaktion der Europäischen Union. Dies führte zu der aktuellen Situation, dass mittlerweile die ersten ausgebauten kommunalen Notunterkünfte wieder geschlossen werden und der Innenminister mit wahrnehmbarer Zufriedenheit von einem dramatischen Absinken der Flüchtlingszahlen spricht. Dies wäre in der Tat ein zu feiernder Erfolg, wenn der Rückgang der Zahlen darauf zurückzuführen wäre, dass sich die Situation in den Heimatländern der Geflüchteten erheblich verbessert hätte. Da dies definitiv nicht der Fall ist und weiterhin eine große Zahl Geflüchteter unterwegs ist und sich vermutlich gefährlichere Fluchtwege sucht, allerdings nunmehr ohne in Deutschland Aufnahme zu finden, besteht überhaupt kein Anlass zur Zufriedenheit oder sogar zur Freude über die reduzierten Aufnahmezahlen.
Im Folgenden will ich an die rechtlichen Grundlagen im Umgang mit Geflüchteten erinnern, ich werde auf einige relevante Diskurse eingehen und insbesondere die Möglichkeiten und Grenzen einer ästhetischen Praxis beschreiben.
Rechtliche Grundlagen
Die zentrale Grundlage dafür, wie Menschen mit sich umgehen sollen, ist das System der Menschenrechte. Diese wurden in zum Teil jahrhundertelangen Kämpfen gegen erhebliche Widerstände durchgesetzt und sind inzwischen in zahlreichen Pakten und Konventionen niedergelegt. Eine entsprechende Sammlung solcher Regelungen und Vorgaben (Bundeszentrale 2004) enthält 54 einschlägige Dokumente. Das erste dieser Dokumente ist die Charta der Vereinten Nationen, die am 26. Juni 1945 in San Francisco verabschiedet wurde. Im ersten grundlegenden Satz dieses Dokumentes ist von Grundrechten des Menschen die Rede, von der Würde und dem Wert der menschlichen Persönlichkeit, der Gleichberechtigung von Mann und Frau sowie von allen Nationen. Es ist von Gerechtigkeit, von sozialem Fortschritt und einem besseren Lebensstandard die Rede. Später (Art. 55) verpflichtet man sich auf die allgemeine Achtung und Verwirklichung der Menschenrechte und Grundfreiheiten für alle ohne Unterschied der Rasse, des Geschlechts, der Sprache oder der Religion. Diese erwähnten Menschen- und Grundrechte wurden in der am 10.12.1948 verabschiedeten Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte präzisiert. Es geht um das Recht auf körperliche Integrität, es geht um das Recht auf Gesundheit, Kultur, Bildung, Wohnung, Arbeit und vor allen Dingen um Selbstbestimmung.
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Dieser Text ist ein Auszug aus „Flucht, Zuflucht und Kulturelle Bildung – Anmerkungen zu Möglichkeiten und Grenzen einer ästhetischen Praxis“ von Prof. Dr. Max Fuchs. Den gesamten Text finden Sie auf der Wissensplattform Kulturelle Bildung Online (https://www.kubi-online.de/artikel/flucht-zuflucht-kulturelle-bildung-anmerkungen-moeglichkeiten-grenzen-einer-aesthetischen)
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