Fernrohr und Spiegel
Jugend- und Fachkräfteaustausch mit Partnern aus Ländern des Globalen Südens
Jugend- und Fachkräfteaustausch mit Partnern aus Ländern des Globalen Südens
von Volkmar Liebig und Rolf Witte
Volkmar Liebig ist seit 2017 Referent im Projekt „jugend.kultur.austausch global“ der Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung (BKJ). Zuvor arbeitete er für den Deutschen Entwicklungsdienst und als Kulturprogrammkoordinator beim Goethe-Institut Mexiko.
Rolf Witte leitet seit 1996 den Bereich Kulturelle Bildung International der BKJ. Seit Ende 2019 ist er Vorsitzender von IJAB – Fachstelle für internationale Jugendarbeit.
Die Formulierung klingt, als sei er sehr weit weg. Als bräuchten wir ein Fernrohr, um ihn in den Blick zu nehmen: den Globalen Süden. Dabei haben wir täglich mit ihm zu tun. Wir kaufen zum Beispiel Kleidung, die in den Ländern des Globalen Südens hergestellt wurde. Dann werfen wir sie recht bald in Altkleider- Container, deren Inhalt zu einem gewissen Teil wieder in anderen Ländern des Globalen Südens landet. Für fast alle Lebensbereiche könnten unmittelbare wirtschaftliche, politische und gesellschaftliche Bezüge aufgezählt werden. Alle gesellschaftlichen Bereiche sind von dem, was wir Globalisierung nennen, erfasst. Alle Bereiche? Was ist mit Jugendarbeit, Jugendbildung und Jugendpolitik?
Wie wir aktuell jeden Freitag auf den Straßen und Plätzen in vielen Ländern sehen können, sind zahlreiche Jugendliche bereits mit einem deutlich globaleren Bewusstsein ausgestattet, als so mancher Akteur im weiten Feld der Jugendarbeit. Wir sollten bei einem ehrlichen Blick in den Spiegel erkennen, dass sich Verantwortliche der Jugendarbeit, Jugendbildung und Jugendpolitik vielmals wie die Bewohner*innen des berühmten kleinen gallischen Dorfs verhalten: Den Palisadenzaun schön geschlossen halten und die Römer*innen bloß nicht reinlassen!
Dabei sehen wir oft nicht, dass in vielen Ländern des Globalen Südens gerade die jungen Menschen eine große und wichtige Rolle für die Entwicklung und den gesellschaftlichen Fortschritt spielen, da sie häufig den weitaus größten Teil der Bevölkerung bilden. Vor allem: Sie wollen eigentlich alle ihre (bessere) Zukunft möglichst selbst in die Hand nehmen. Sollten und könnten wir dabei nicht besser ihre Partner sein, anstatt nur zuzusehen, wie sich viele von ihnen auf den lebensgefährlichen Weg über das Mittelmeer nach Norden machen?
Spätestens seit der Verabschiedung der Agenda 2030 durch die Generalversammlung der Vereinten Nationen als Vertretung der politischen Weltgemeinschaft, ist klar, dass alle Länder dieser Welt in einem neuen Sinne ‚Entwicklungsländer‘ sind. Wir müssen unsere Lebensweisen und Gesellschaften alle aufeinander abgestimmt weiterentwickeln, wenn wir unserem Planeten und den kommenden darauf lebenden Generationen eine Chance geben wollen. Spätestens dieser Paradigmenwechsel im Jahre 2015 hin zu einer Schicksalspartnerschaft aller Länder und ihrer Bewohner*innen, ist auch ein Aufruf an alle Akteure der Jugendarbeit, Jugendbildung und Jugendpolitik weltweit, ein überholtes entwicklungspolitisches Verständnis der Zusammenarbeit hinter sich zu lassen. Schlicht und einfach die jungen Menschen selbst, deren Zukunft und gelingendes Leben – egal in welchem Land – gemeinsam in den Blick zu nehmen, ist das Gebot der Stunde in der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit. Insbesondere gilt es hier, ihnen die Möglichkeit der aktiven Mitgestaltung zu verschaffen und sich darüber auszutauschen, was und wie jede*r zu Veränderungen beitragen kann. Egal ob mit dem jeweiligen Nachbarland oder mit Partnern von anderen Kontinenten.
Die in der Agenda 2030 ausformulierten Ziele zur nachhaltigen Entwicklung (SDGs) bieten bei einem solchen Ansatz der partnerschaftlichen Zusammenarbeit eine ausgezeichnete Grundlage, um mit den jungen Menschen aus den daran beteiligten Ländern über für sie wirklich Wesentliches ins Gespräch zu kommen. Themen wie Umweltschutz, lebenswerte Städte, Armut, hochwertige Bildung und andere sind für sie aktuell von höchster Relevanz und es ist auch ein Auftrag von Jugendarbeit, mit dafür zu sorgen, dass diese Themen im Zuge des ‚Erwachsenwerdens‘ nicht wieder in den Hintergrund treten, weil es in der ‚Gesellschaft der Erwachsenen‘ angeblich vor allem um persönlichen Erfolg, einen gut bezahlten Arbeitsplatz und wachsenden Wohlstand geht.
Ganz besonders spannend wird es für alle Beteiligten, wenn diese Zukunftsfragen mit jungen Menschen be- und verhandelt werden können, die sehr unterschiedliche Lebenswelten und damit auch Perspektiven haben. Diese Möglichkeit bieten in ganz besonderer Weise Formate des internationalen Austauschs mit Partnern aus Ländern des Globalen Südens. In einer Jugendbegegnung von Partnergruppen aus Deutschland und zum Beispiel Tansania drängen sich ganz automatisch andere Fragestellungen in den Vordergrund als beispielsweise mit Partnern aus Frankreich oder Polen. Dieser starke Perspektivwechsel ermöglicht einerseits ganz neue Sichtweisen auf die globalen Themen und Herausforderungen, mit denen sich die jungen Menschen während ihres Begegnungsprogramms beschäftigen. Andererseits erleben die Teilnehmenden – egal ob Jugendliche oder Fachkräfte – eine intensive Begegnungssituation über Kontinente hinweg immer auch als einen Blick in den Spiegel. Denn in kaum einer anderen Lebenssituation wird man vom Gegenüber so nachdrücklich hinterfragt und hinterfragt daher auch sich selbst, den eigenen Lebensstil oder den eigenen oft eindimensionalen Blick auf die Welt und ihre Zusammenhänge.
Klar ist gleichzeitig auch, dass sich selbst um faire Partnerschaften bemühte Organisationen der Jugendarbeit aus Deutschland und aus den Ländern des Globalen Südens mit einem nicht wegzudiskutierenden Machtgefälle konfrontiert sehen. Wichtig ist hier vor allem, sich dessen gemeinsam bewusst zu sein, dies offen miteinander anzusprechen und nach gangbaren Schritten und Wegen zu suchen, die unter den gegebenen Umständen eine möglichst faire Zusammenarbeit zulassen.
An diesem Punkt ist jedoch ganz wesentlich auch die Jugendpolitik in allen beteiligten Ländern gefordert, die die Rahmenbedingungen für Jugendarbeit, Jugendbildung und Jugendaustausch zu gestalten hat. Hier ist eine Zusammenarbeit mit den in den Ländern des Globalen Südens für Jugendfragen zuständigen Ministerien wichtig, um auch auf dieser Ebene den Paradigmenwechsel der Agenda 2030 hinzubekommen. Dies ist eine viel größere Herausforderung, als einfach durch einseitig vom Globalen Norden initiierte Förderprogramme jungen Menschen noch mehr Austausch auf der Praxisebene zu ermöglichen. Eine wirklich partnerschaftliche Auseinandersetzung über jugendpolitische Konzepte, Strukturen und Angebote zwischen Deutschland und interessierten Partnerländern in die Wege zu leiten und zu intensivieren, steht dringend auf der Agenda. Denn ganze Staaten mit ihren Bevölkerungen im Sinne der Definition der ehemaligen Kolonialmächte als ‚Entwicklungsländer‘ zu sehen, ist spätestens seit dem Beschluss zur Agenda 2030 nicht mehr möglich. Auch Länder im Globalen Süden aufgrund vermeintlicher Gefahrenlagen und anderer aus westlicher Verwaltungssicht festgelegter Kriterien für eine Zusammenarbeit im Jugendbereich per se auszuschließen, entspricht nicht dem Geist dieser Vereinbarung. Und somit sollte auch klar sein, dass hier neben einem ‚Entwicklungsministerium‘ die Zuständigkeit für die Zusammenarbeit mit diesen Staaten auch bei anderen Akteuren liegen muss.
In bewährter partnerschaftlicher Zusammenarbeit sollten sich alle Akteure der Jugendarbeit, der Jugendbildung, der Jugend-, Entwicklungs- und der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik in Deutschland einmal über ihre gemeinsame Rolle und Verantwortung bei der Arbeit an den globalen Zielen zur nachhaltigen Entwicklung austauschen, Zuständigkeiten neu definieren und sich mit einem gemeinsamen Konzept zeitgemäß aufstellen. Die Intensivierung der persönlichen Begegnung von jungen Menschen aus verschiedensten Lebenswelten auf diesem Globus wird dabei sicherlich eine wichtige Rolle spielen, da sie auf sehr nachhaltige Weise beide Funktionen erfüllt: die eines Fernrohrs und die eines Spiegels.
Dieser Beitrag ist Teil eines Themenschwerpunkts zum Austausch mit Ländern des Globalen Südens, der im IJAB journal (2/2019) erschienen ist: