Europefiction: Visionen für ein demokratisches und solidarisches Europa
Ein Kulturprojekt mit jungen Menschen aus sechs Ländern
Ein Kulturprojekt mit jungen Menschen aus sechs Ländern
Auf dem Gelände des Consol Theaters Gelsenkirchen ist es bunt. Das liegt an zwei großen Zirkuszelten, die auf der Wiese vor der ehemaligen Zeche Consolidation aufgebaut sind. Und daran, dass 140 Jugendliche und junge Erwachsene aus sechs verschiedenen europäischen Ländern in farbenfrohen Outfits über das Gelände laufen. Sie sind angereist, um neun Tage lang gemeinsam Theater zu spielen, an einem umfangreichen Workshop-Programm teilzunehmen und um sich über Fragestellungen rund um Europa auszutauschen.
Das Camp im Sommer 2019 bildet den feierlichen Abschluss des „Europefiction“-Projektjahres. Jugendgruppen aus Dortmund, Bochum, Hamm, Herne und Gelsenkirchen haben zuvor bei bilateralen Jugendbegegnungen mit je einer Jugendgruppe eines Theaters aus Rotterdam, Paris, Bologna, Budapest und Liverpool zusammengearbeitet.
So trafen sich im Januar 2019 Jugendliche vom Kinder- und Jugendtheater (KJT) Dortmund und vom französischen Theater La Transplanisphère in Le Raincy bei Paris. Wie und in welchem Europa wollen wir leben, und was sind wir bereit dafür zu tun? Mit Blick auf diese Leitfrage und unterstützt durch je drei Teamer*innen aus jedem Land diskutierten 21 junge Teilnehmer*innen ihre Visionen von sozialer Gerechtigkeit, Solidarität und den Vorteilen und Chancen einer globalisierten Welt. Während der sechstägigen Begegnung entwickelten sie verschiedene Rollenspiele und ein Theaterstück. Ziele der Begegnung waren der persönliche und künstlerische Austausch sowie die Sensibilisierung für Fragen des Zusammenlebens in Europa. Die Jugendlichen sollten mehr von der Lebensrealität der anderen Teilnehmer*innen erfahren, ihre eigene Wahrnehmung reflektieren und bei der inhaltlichen Auseinandersetzung mit Transnationalität und Transkulturalität in Europa gemeinsam an ihren künstlerischen Kompetenzen arbeiten.
Täglich fand eine Sprachanimation mit Sprachspielen, deutsch-französischen Übungen und Aktivitäten statt, um Sprachbarrieren und Berührungsängste in der Gruppe abzubauen. Die Sprachanimation war ein wichtiger Bestandteil des Austauschs, der die Gruppendynamik positiv beeinflusste und das Gemeinschaftsgefühl stärkte. Mit den künstlerischen und zwischenmenschlichen Erfahrungen dieser ersten Begegnung „im Gepäck“ ging es dann zum großen Zusammentreffen in Gelsenkirchen.
Urbaner Tanz, Graffito, Musikimprovisation, Chorgesang, nachhaltige Mode und Konstruktion – das sind nur einige der Bereiche, an denen die Jugendlichen im Sommercamp gemeinsam mit renommierten Künstler*innen arbeiten. Aus den Ergebnissen dieser Workshops stellen Manuel Moser und Inga Sponheuer, die künstlerische Leitung von Europefiction, eine große Abschlussshow zusammen.
„Die Abschlussshow ist ein wichtiger Bestandteil des gesamten Camps, weil alle Jugendlichen gemeinsam auf der Bühne stehen und die Möglichkeit bekommen, als große Gruppe gemeinsam etwas zu kreieren und die Dinge künstlerisch zu verarbeiten, mit denen sie sich in den vergangenen Tagen beschäftigt haben.“
Manuel Moser, Regisseur
In der rund einstündigen Show reicht das künstlerische Spektrum von einer bewegenden Chorsequenz über das Besprühen eines riesigen Banners bis hin zu einem Catwalk, auf dem die Jugendlichen ihre selbstgeschneiderte Mode präsentierten.
Zuvor haben sie sich mit nachhaltiger Mode und Kunst auseinandergesetzt – aber auch mit persönlicher Individualität und Verletzlichkeit. Gemeinsam mit den Künstler*innen vom freien Performancekollektiv Chicks* arbeiteten die Europefiction-Teilnehmer*innen zum Beispiel daran, wie Zuschreibungen von Geschlechterrollen funktionieren.
Nicht nur inhaltlich, auch körperlich zeigte sich in der Abschlussshow, wie sich die Teilnehmer*innen mit Gemeinschaftlichkeit, Unterstützung und Solidarität auseinandergesetzt haben: Eine menschliche Brücke aus Körpern bildete eines der finalen Bilder der großen Show. Ein Sinnbild dafür, wie sehr all die jungen Menschen aus Bochum, Bologna, Budapest, Dortmund, Gelsenkirchen, Hamm, Herne, Liverpool, Paris und Rotterdam zusammengewachsen sind. Als sich am Tag nach der Show die Wege trennen, ist der Abschiedsschmerz groß – und wäre wohl noch größer ausgefallen, hätten die Teilnehmer*innen und Organisator*innen geahnt, dass es das vorerst letzte Treffen dieser Art gewesen ist.
Wann endlich wieder „echte“ Begegnungen möglich sein werden, sei es bilateral zwischen den Gruppen aus jeweils zwei Länder oder gar multilateral bei einem weiteren Europefiction-Sommercamp, das ist derzeit noch offen. Aber Europefiction lebt trotz Pandemie weiter: Aktuell arbeiten das KJT Dortmund und das La Transplanisphère mit ihren Jugendgruppen an interaktiven Audiowalks durch Dortmund und Le Raincy. Die Audiowalks werden bis Herbst 2021 in einem hybriden Begegnungsprojekt entstehen, also in einem Mix aus analogen Arbeitsphasen der beiden Gruppen in Dortmund und Le Raincy sowie aus digitalen Begegnungsphasen der beiden Gruppen. Mithilfe einer kostenlosen Smartphone-App sollen die Audiowalks es jedem Menschen ermöglichen, sich Dortmund und Le Raincy zu „erlaufen“ – jeweils auf Französisch und auf Deutsch.
Website des Gesamtprojekts „Europefiction“
Infos zur deutsch-französischen Zusammenarbeit auf der Website des Theater Dortmund
Die deutsch-französischen Begegnungen im Rahmen des Projektes „Europefiction“ wurden und werden von der BKJ begleitet und mit Mitteln des Deutsch-Französischen Jugendwerks gefördert. Weitere Unterstützer und Förderer von „Europefiction“ sind das Ministerium für Kultur und Wissenschaft NRW, die Stiftung Mercator, der Regionalverband Ruhr und die Europäische Union im Rahmen von Erasmus+.
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