Was treibt einen Menschen dazu an, einen Bundesfreiwilligendienst (BFD) im Amateurtheater zu absolvieren? Carina Ibsch sprach mit Michael Szych. Seit dem 15. Mai 2019 ist der 57-Jährige beim Theater der Erfahrungen als Bundesfreiwilliger im Rahmen der Frühpension in Berlin im Einsatz.
Carina Ibsch ist Studentin der Kulturwissenschaften. Sie absolvierte ein Praktikum im Bereich Öffentlichkeitsarbeit beim Bund Deutscher Amateurtheater e. V.
Herr Szych, wie sind Sie eigentlich zum BFD Kultur und Bildung beim BDAT gekommen?
Ich habe 40 Jahre bei der Deutschen Post gearbeitet und bekam dann die Möglichkeit, zehn Jahre vorher in einen „engagierten Vorruhestand“ zu gehen. Es hieß: „Wenn Sie sich ein Jahr im Bundesfreiwilligendienst sozial engagieren oder aber 1.000 soziale Stunden innerhalb von drei Jahren bei einem Träger absolvieren, dann lassen wir Sie zehn Jahre früher in die Pension gehen.“
Es ist eine großartige Chance, zehn Jahre früher aus dem Berufsleben rauszukommen und das zu machen, was ich gerne machen möchte, gleichzeitig aber auch noch den Bundesfreiwilligendienst wahrzunehmen. Zum einen, um mal in ein soziales Projekt reinzugucken. Zum anderen, etwas ganz anderes zu machen und da meine Kompetenzen einzubringen. So bin ich zum Theater gekommen und zum Bundesfreiwilligendienst. Ich habe mich wirklich intensiv damit befasst, in welchen Bereich ich gehen möchte und wo ich diese Zeit ableisten will. Dabei war mir besonders wichtig, dass auch ich etwas davon habe. Ich wollte die Zeit nicht irgendwo verbringen und ableisten, sondern selbst etwas davon mitnehmen. Das hat super funktioniert! Es war und ist genau die richtige Stelle für mich. Das Theater der Erfahrungen ist ein wunderbares Theater mit einer großartigen Theaterleitung. Ich habe so viel Glück gehabt und bin ganz begeistert!
Hat der Theaterbereich Sie schon länger interessiert?
Der Theaterbereich interessiert mich schon sehr lange. Ich habe selbst vor vielen Jahren mal eine kleine Theatergruppe gegründet. Die Gruppe hieß „Kleine Amrumer Bühne“. Zu der Zeit habe ich auf der kleinen Nordseeinsel Amrum gelebt. Dort haben wir etwa zehn Jahre gespielt, bis ich von Amrum weggegangen bin. An diese schöne Zeit habe ich nochmal angeknüpft und gedacht, dass es interessant wäre, mit dem Theater jetzt wieder anzufangen. So bin ich dann auf den BDAT gekommen und habe mal nachgefragt.
Wie genau sind Sie auf den BDAT gekommen?
Die Information, dass es beim BDAT den Bundesfreiwilligendienst gibt, habe ich im Internet gefunden. Dann habe ich Frau Haase (Pädagogische Referentin und Koordinatorin des Bundesfreiwilligendienstes beim BDAT, Anm. d. Red.) angerufen und mit ihr locker geplaudert. Meine Situation fand sie gleich spannend und sagte, dass sie das richtige Theater für mich hätte.
Hatten Sie schon Berührungen mit dem Bundesfreiwilligendienst, bevor Sie eigene Erfahrungen sammeln konnten?
Ich kannte niemanden in meinem Bekannten- und Freundeskreis, der das gemacht hat und hatte mich bis dahin auch noch nicht mit Freiwilligenengagement befasst. Auch in meinem Umfeld war es kein Thema. Wenn ich jetzt aber über den Bundesfreiwilligendienst erzähle, sind immer alle sehr interessiert und hören gespannt zu, um zu erfahren, was ich dort mache.
Sie kennen sicherlich auch die Bezeichnung BUFDI, wie nehmen Sie diese „Betitelung“ vor dem Hintergrund Ihres beruflichen Werdeganges wahr?
In meinem „früheren Leben“ habe ich natürlich etwas ganz anderes gemacht, aber ich habe mit diesem Begriff überhaupt kein Problem. Im Gegenteil, ich kultiviere ihn und sage: „Ich bin hier der Theater-BUFDI und freue mich, wenn ich euch unterstützen und helfen kann!“ So werde ich auch wahrgenommen, als Helfer beim Theater.
Nehmen Sie im Rahmen Ihres Bundesfreiwilligendienstes auch an Fortbildungen vom BDAT teil?
Ich hatte mehrere Fortbildungen. Es gab im letzten Jahr ein Freiwilligentreffen im unterfränkischen Sömmersdorf und es war wunderbar, andere Freiwillige* aus Deutschland dort kennenzulernen. Ich war außerdem beim europäischen Seniorentheater-Forum in Vierzehnheiligen und habe einen Tanzworkshop mitgemacht. Der wurde in non-verbaler Kommunikation von einem gehörlosen Tänzer geleitet. Das war auch sehr interessant und hat mir sehr gut gefallen.
Sind außer Ihnen weitere Freiwillige* im Theater der Erfahrungen aktiv?
Das Theater beschäftigt derzeit keine anderen Freiwilligen*, aber Praktikant*innen. Ich habe außerdem einen ehemaligen Kollegen von der Post, der jetzt seinen Bundesfreiwilligendienst in einer Senioreneinrichtung macht. In diesem Zusammenhang gab es auf meinen Vorschlag hin schon eine wunderbare Kooperation. Das Theater der Erfahrungen hat bereits zweimal in der Einrichtung gespielt. Das kam supergut an! Es war ein großer Erfolg und die Zusammenarbeit mit der Einsatzstelle soll auch weitergehen.
Warum haben Sie sich für das Theater der Erfahrungen als Ihre Einsatzstelle entschieden?
Das hat mir Sigrid Haase vorgeschlagen und dann erinnerte ich mich, dass ich vor zehn Jahren schon eine Vorstellung von genau diesem Theater gesehen habe. Die Aufführung, in der damals eine 80-jährige Bekannte von mir mitspielte, hatte mich sehr beeindruckt. Um eine Entscheidung zu treffen, schaute ich mir noch eine aktuelle Vorstellung an. Anschließend war mein Entschluss klar. Auch in einem Gespräch mit der Theaterleitung wurden wir uns schnell über meine Mitarbeit einig.
Können Sie bei Ihren vielfältigen Einsatzbereichen im Theater auch Kenntnisse oder Erfahrungen aus Ihrem vorherigen Beruf mit einbringen?
Natürlich bringe ich auch Kompetenzen ein, die ich in meinem Berufsleben erworben habe. Das Theater der Erfahrungen begeht dieses Jahr sein 40-jähriges Theaterjubiläum. Dazu wollte ich einen Beitrag leisten und brachte einen Vorschlag ein, der auch auf Zustimmung stieß. Für das Theaterjubiläum konzipierte ich eine Briefmarke mit dem Namen des Theaters und den Daten des Jubiläums. Die Jubiläums-Briefmarke wurde auch produziert und wird jetzt für eigene Versande genutzt. Außerdem steht sie dem allgemeinen Verkauf zur Verfügung, sodass auch die Spieler*innen sie kaufen können. Das finden sie großartig, weil viele von ihnen gar nicht so viel mit dem Internet unterwegs sind, sondern Briefe schreiben.
Welche Aufgaben übernehmen Sie konkret beim Theater der Erfahrungen und wie gestaltet sich Ihre Zusammenarbeit mit den Aktiven?
Ich bin regelmäßig bei der Probenvorbereitung und bei den Proben dabei, mache Regieassistenz, Auftrittsbetreuung, Auf- und Abbau der Requisiten und habe dabei ganz viel mit den Spieler*innen zu tun. Das gefällt mir sehr gut.
Gerade jetzt, in der Corona-Zeit, werde ich oft gefragt: „Was machst du denn jetzt eigentlich, wo es keine Proben gibt?“ Ich habe seit Ausbruch der Pandemie ganz viel telefonischen Austausch mit den Spieler*innen. Ich rufe sie regelmäßig an, wir tauschen uns aus und es gibt auch Telefonkonferenzen. Es ist ja nicht so, dass nichts passiert derzeit. Es werden durchaus Projekte bearbeitet. Beiträge für die Website kommen von den Spieler*innen in Form von Gedichten, Geschichten, Songs, Bildern und vieles mehr. Gucken Sie mal auf die Website vom Theater der Erfahrungen, da finden Sie ganz viel, was von den Spieler*innen in dieser Zeit kommt.
Welche neuen Ideen gibt es beim Theater der Erfahrungen in Zeiten von Corona, haben sich die Tätigkeiten verändert?
Es gibt aktuell ein Liedprojekt, für das die älteren Spieler*innen einen Song zum Corona-Thema umgedichtet haben und diesen alle zu Hause einsingen. Dazu spielt ein Musiker Gitarre und letztendlich wird alles zusammengeschnitten.
Es wird auch an Szenenerweiterungen gearbeitet, die wir dann in vorhandene Theaterstücke oder Stücke, die noch geschrieben werden, einbringen können. Es gibt mittlerweile schon eine große Materialsammlung von den Spieler*innen. Es wird sehr viel produziert, das verarbeitet werden kann. Das Theater der Erfahrungen ist ja kein Theater, das irgendetwas nachspielt, kein Shakespeare oder sonst was. Die Spieler*innen bringen ihre eigenen Lebenserfahrungen ein und setzen sie um. Und das ist wirklich das Oberspannende. Es gibt so viele Themen von Alter oder auch Einsamkeit, Armut, Zivilcourage, Sexualität im Alter und Tod und Sterben. Da gibt es ganz viel, was die Spieler*innen einbringen und das ist jetzt nicht vorbei, nur weil gerade Corona ist. Die Spieler*innen haben weiter etwas einzubringen und zu sagen. Sie sind unser Potenzial.
Auch ich konnte Ideen einbringen und umsetzen. Ich hatte früher beruflich viel mit der Gestaltung von Werbebriefen zu tun. Diese Erfahrung konnte ich jetzt gut anwenden. Ich habe einen Werbebrief für die Zeit nach Corona gestaltet, mit dem wir den Institutionen, wie beispielsweise Kindergärten, anbieten, dort aufzutreten. Dafür haben wir das Stück „Linamanno und die alten Freunde“ im Repertoire. Mit dem Mailing können wir dann zeitnah informieren, unter dem Motto: „Die Ausgehbeschränkungen der letzten Monate sind jetzt vorbei. Möchten Sie ihren Kindern mal wieder etwas ganz Besonderes bieten? Das Theater der Erfahrungen kommt zu Ihnen in die Kita oder Sie kommen zu uns ins Theater!“.
Was ist aus Ihrer Perspektive besonders schwierig in dieser Pandemie-Zeit?
Die größte Herausforderung bei einem Seniorentheater mit älteren Spieler*innen ist im Moment, die Isolation der Spieler*innen zu überwinden. Die Senior*innen sitzen allein in ihren Wohnungen und brauchen ein offenes Ohr, Ermutigung und das Gefühl, nicht allein zu sein. Ich will ein Gefühl von Gemeinsamkeit erzeugen. Es geht um die Begleitung der Spieler*innen meinerseits.
Mein Job ist, mit den Leuten zu sprechen. Viele unserer Aktiven sind den Umgang mit den sozialen Medien nicht gewohnt, aber ein Telefon haben sie alle. Das ist die große Stärke. Die 70 bis 90-jährigen Spieler*innen freuen sich auf ein Telefongespräch.
Es gibt auch nicht-muttersprachlich deutsche Teilnehmer*innen in den Gruppen, türkisch- oder spanischsprechend. Bei Texten für die Website eines spanischsprechenden Spielers helfe ich und übersetze für ihn. Das hilft sehr weiter.
Das klingt alles sehr engagiert und ich finde es super, dass niemand allein gelassen und aufgegeben wird, sondern kreativ umgedacht wird.
Ja, das ist uns ganz wichtig, weil es ohne die Spieler*innen einfach nicht geht. Sie sind unser Potenzial! Uns ist auch wichtig, dass sie weitermachen und aus der Isolation rauskommen. Die Isolation zu überwinden ist jetzt ein ganz wichtiges Thema für die älteren Spieler*innen. Dafür müssen wir etwas tun und das tun wir auch. Es hilft ungemein den Kontakt zu halten.
Würden Sie Ihren neuen Lebensabschnitt als eine Neu-Orientierung beschreiben?
An meinem ersten Tag ging es gleich anspruchsvoll los, indem ich zum Sterbeprojekt mitgenommen wurde. Das ist ein sehr interessantes Projekt. Eine Seniorentheatergruppe, „die Spätzünder“, erarbeiteten zusammen mit den Mitarbeiter*innen von einem Hospiz in Berlin ein Theaterstück zum Thema Tod und Sterben. Das war schon harter Tobak für den ersten Tag. Ich gehe oft ganz berührt und mit einer Gänsehaut nach Hause. Das habe ich in 40 Jahren bei der Deutschen Post kein einziges Mal erlebt. Und beim Theater erlebe ich das jeden Tag. Mehrfach.
Es ist eine supertolle neue Erfahrung, die ich mit den Senior*innen mache. Diese Erfahrung bringt mich ein Riesenstück weiter im Leben, weil es nochmal etwas ganz anderes ist. Ich bin sehr glücklich, dass ich den Bundesfreiwilligendienst hier gemacht habe und ich werde auch um zwei Monate verlängern! Ab August ist die Sommerpause und bis dahin werde ich noch reichlich beim Theater gebraucht.
Also verbinden Sie den Bundesfreiwilligendienst vor allem mit positiven Eindrücken?
Ausschließlich mit positiven Eindrücken! Ausschließlich! Auch wenn meine Zeit als Bundesfreiwilliger irgendwann vorbei ist, werde ich mich trotzdem weiter für das Theater engagieren. Ich bin gefragt worden, ob ich in den Vorstand vom Förderverein gehen will und ich habe zugesagt. Von daher werde ich dem Theater auch nach meiner BFD-Zeit weiterhin sehr eng verbunden bleiben und für Projekte jederzeit offen sein, bei denen ich mitmachen könnte.
Mit dem neuen Stück vom Sterbeprojekt haben sich schon neue Kontakte mit dem Hospiz ergeben. Dort werde ich mich vielleicht auch als ehrenamtlicher Sterbebegleiter engagieren. Mich haben viele Themen sehr berührt beim Theater und mein Engagement geht auf jeden Fall weiter. Ich bin sehr froh, dass ich das mache!
Vielen Dank für diesen spannenden Einblick in den Bundesfreiwilligendienst.
Weitere Informationen
Informationen zum Bundesfreiwilligendienst beim BDAT e. V. gibt es auf der Website .
Informationen zum Theater der Erfahrung gibt es auf der Website.
Das Interview ist als Praxisbericht im Mai 2020 entstanden und wird hier mit freundlicher Erlaubnis vom BDAT e. V. verwendet.
Quelle: Engagiert im Ruhestand // Interview
Das Interview ist von BKJ-Mitglied:
Der Bund Deutscher Amateurtheater (BDAT) vertritt als öffentlich anerkannter und geförderter Dachverband das deutsche Amateurtheater auf nationaler und internationaler Ebene in Kunst, Kultur, Politik und Gesellschaft. Der BDAT versteht sich als Repräsentant und Förderer der vielfältigen Ausdrucksformen der Darstellenden Künste und seiner unterschiedlichen Zielgruppen.
Den Mitgliedsverbänden und angeschlossenen Mitgliedsbühnen werden zahlreiche Fort- und Weiterbildungsprogramme, ein breites Serviceangebot sowie Fördermöglichkeiten für internationale Spielbegegnungen im In- und Ausland offeriert. Der BDAT ist Träger des BFD Kultur.
Lützowplatz 9
10785 Berlin