Direkte Demokratie von Anfang an
Preisträgerprojekt „future lab“ im MIXED UP Wettbewerb 2022, Peter Gläsel Stiftung, Detmold
Preisträgerprojekt „future lab“ im MIXED UP Wettbewerb 2022, Peter Gläsel Stiftung, Detmold
Von Kristina Simons
Das Thema Nachhaltigkeit ist im Schulalltag der Peter Gläsel Schule in Detmold fest verankert. „Gemeinsam mit den Kindern entwickeln wir künstlerische Lernformen und Ideen rund um unser (auch gesellschaftliches) Zusammenleben in der Zukunft“, sagt Josef Köhler. Er ist Mitgründer der einzügigen Grundschule mit gebundenem Ganztag in freier Trägerschaft.
Erst, wenn ich mich beteiligt fühle, meine Talente entdecken und zusammen mit anderen gemeinsam Lösungen finden darf, erlebe ich − ich nenne es − demokratische Findungsprozesse. Einfühlungsvermögen und Gemeinschaftssinn werden durch aktives Mitgestalten und Mitbestimmen immer weiterentwickelt und als Kompetenz genutzt.
Josef Köhler
Träger der Schule ist die Peter Gläsel Stiftung in Detmold. Seit mehr als zehn Jahren setzt sie sich dafür ein, dass unter dem Motto „gemeinsam Stärken bilden“ Menschen ihr kreatives Gestaltungspotenzial kooperativ nutzen und dadurch Demokratie und Partizipation gelingen kann. Im PRRITTI-Bildungsmodell, das die Schule verankert hat, ist Kulturelle Bildung ein Kernprinzip. Um das umzusetzen, setzt die Schule auf die Expertise von Partnern wie dem Künstlerkollektiv ART at WORK, der Ackerdemie Berlin und dem Filmhaus Bielefeld.
Sie alle arbeiten z. B. im Projekt „future lab“ zusammen, bei dem sich die Schüler*innen mit den 17 Zielen der Vereinten Nationen für eine nachhaltige Entwicklung auf ökonomischer, sozialer sowie ökologischer Ebene auseinandersetzen. Dabei bringen die Kooperationspartner ihre Schwerpunkte in die Zusammenarbeit ein, „die für alle Beteiligten einen Erfahrungsmehrwert darstellen. Von der Ausgestaltung der Idee bis zur Umsetzung wurden alle Kooperationspartner mit ihrer speziellen Expertise und Sichtweise einbezogen“, berichtet Josef Köhler.
Gemeinsam mit den Lernbegleiter*innen – so werden Lehrer*innen, Künstler*innen und andere Expert*innen hier genannt – haben die Kinder im „future lab“ u. a. einen Schulgarten angelegt. Die Ackerdemie hat sie dabei nicht nur professionell begleitet, sondern war auch schon in der Konzeptionsphase des Projekts mit an Bord. Der Verein aus Berlin unterstützt in ganz Deutschland Kitas und Schulen dabei, zusammen mit Kindern und Jugendlichen eigenes Gemüse anzubauen. Er liefert Saatgut und Jungpflanzen und vermittelt das nötige Wissen: „Da habe ich sehr viel gelernt“, sagt Josef Köhler, der das Projekt „future lab“ koordiniert.
Mit dem Künstlerkollektiv ART at WORK verwandeln die Kinder nach und nach das gesamte Außengelände der Schule in ein begehbares Kunstwerk aus nachhaltigen Materialien. Mithilfe der Medienpädagogin Katinka Sasse, die sowohl für die Peter Gläsel Schule als auch für das Filmhaus tätig ist, wird alles filmisch dokumentiert. Auch zum Thema Treibhauseffekt haben die Schüler*innen schon einen Film produziert. „Auf sie prasseln heute unheimlich viele negative Botschaften ein, allein was den Klimawandel angeht.“ Lösungen finden die Kinder und Jugendlichen z. B. in einem Theaterstück zum Thema Müll, das die ganze Schule vor drei Jahren entwickelt und aufgeführt hat. „Das hat ganz anders berührt als ein Vortrag mit erhobenem Zeigefinger“, so Josef Köhler.
In sämtlichen Prozessen spielt Partizipation über direkte Beteiligung der Kinder eine zentrale Rolle. „Kinder sind Experten in eigener Sache und bestimmen bei uns alles direkt mit. Sie haben den Prozess von der Entwicklung bis zur Umsetzung mitgestaltet und alle unterschiedlichen Blickwinkel mit erlebt. Sie bringen ihre Erfahrungen, aber auch ihre Fantasie in den Prozess ein“, sagt der Projektkoordinator. „Sie sollen sich und Dinge ausprobieren können, sich entdecken und entfalten dürfen.“ Das Schulkonzept gebe ihnen die dafür nötigen Freiräume, die individuelles und partizipatives Lernen durch Erleben möglich machen. Die Lernbegleiter*innen moderieren die Prozesse nur an. Das erfordere viel Fingerspitzengefühl von ihnen und eine besondere Wahrnehmungsfähigkeit. „Vom ersten Schuljahr an fragen wir die Schüler*innen nach ihren Wünschen, nach ihren Ideen und wie sie sie umsetzen wollen. Kinder haben meistens sehr unmittelbare Bedürfnisse und wollen direkte Ergebnisse.“ Eine lediglich mittelbare Beteiligung beispielsweise über ein Schülerparlament komme deshalb nicht infrage. „Dadurch lernen sie, selbst Dinge zu gestalten, sich eigene Gedanken zu machen und ihre Bedürfnisse zu äußern. Das macht sie zu sehr selbstständigen Menschen“, ist Josef Köhler überzeugt.
Die Peter Gläsel Schule kooperiert daher auch nur mit Partnern, die ohnehin partizipativ mit Kindern und Jugendlichen arbeiten, sich auch auf diese direkte Mitbestimmung einlassen und damit umgehen können. So haben die Kinder z. B. beim Schulgarten selbst entschieden, wie er aussehen soll. Entstanden ist eine Art Sonne mit einem zentralen runden Beet in der Mitte und ovalen Beeten, die wie Strahlen davon abgehen. „Selbst beim Bau unserer Schule waren die Kinder maßgeblich beteiligt und haben über die Architektur mitentschieden.“ Natürlich falle es manchen von ihnen schwerer als anderen, eigene Ideen zu entwickeln. „Dann geben die Lernbegleiter*innen ihnen gerne die Orientierungshilfe, die jeweils sinnvoll ist.“ Wenn ein Kind aber z. B. eine Natursteinmauer bauen wolle und sich das auch zutraue, solle es das auch versuchen. „Wenn es dann merkt, dass es sich verrannt hat, ist das ja kein Problem“, betont Josef Köhler. Und weiter: „Erst, wenn ich mich beteiligt fühle, meine Talente entdecken und zusammen mit anderen gemeinsam Lösungen finden darf, erlebe ich − ich nenne es − demokratische Findungsprozesse. Einfühlungsvermögen und Gemeinschaftssinn werden durch aktives Mitgestalten und Mitbestimmen immer weiterentwickelt und als Kompetenz genutzt.“
In Bezug auf Zukunftsthemen sei Kooperation besonders wichtig, findet Josef Köhler: „Unser ganzes Bildungssystem beruht auf Konkurrenz, die die vermeintlich Stärkeren von den vermeintlich Schwächeren trennt. Doch was wir für die Zukunft lernen müssen, ist die Fähigkeit zu kooperieren.“ Es gehe darum, sich gegenseitig wertzuschätzen und miteinander Lösungen für die Zukunft zu finden. „Das Treibmittel dafür sind die künstlerischen Prozesse. Deshalb haben wir an unserer Schule Natur, Kultur und Zukunft miteinander verwoben. Für uns ist das eins.“ Über Kunst könne man sich vielen Themen einfacher nähern. Josef Köhler erläutert das am Beispiel Theater: „Wenn ich selbst einen Text entwickle und schreibe und nicht einfach einen aus einem Buch übernehme, ist das ein spannender Schritt. Wenn ich den Text dann auch noch auf der Bühne vor vielen Menschen ausprobiere, ist das eine ganz wichtige Erfahrung. Die Kinder lernen sich auszudrücken, sie verstehen, was sie da eigentlich vortragen, und sie verlieren die Angst, vor anderen zu sprechen.“ Das Medium Kunst schaffe eine interdisziplinäre Verbindung, die man in einzelnen Fächern so nicht habe. Die Kinder könnten darüber viele verschiedene Talente entdecken, „z. B. lernen sie über das Tanzen nicht nur, sich körperlich auszudrücken. Sie lernen auch, wie sie sich mit vielen anderen gleichzeitig auf der Bühne bewegen und wann sie sich selbst mal zurücknehmen.“
Im Projekt „future lab“ gehören das Theaterspielen, der Kunstpavillon und das -gemüsebeet, Filme drehen und schneiden zu den Bildungsangeboten, die sich die Kinder für einen Zeitraum von sechs Wochen auswählen konnten. Andere Angebote im Ganztag sind „Podcasts erstellen“, „Programmieren lernen“, „Kunst und Philosophie“ oder auch Yoga. Rechnen, Lesen, Schreiben lernen die Kinder dabei wie nebenbei. „Als wir den Schulgarten geplant haben, haben wir erst mal gemeinsam ausgerechnet, wie viel Erde und wie viele Steine wir für die Umrandung benötigen oder was ein Oval ist und wie man das beweist.“ Alles habe immer Praxisbezug. Die Lernangebote finden in altersgemischten Gruppen statt. „Dadurch lernen die Kinder auch voneinander“, sagt Josef Köhler. Wer z. B. schon lesen könne, helfe anderen dabei, es ebenfalls zu lernen. „Wir versuchen, den Kindern den Weg zum selbstständigen Lernen in allen möglichen Facetten zu ermöglichen.“
„future lab“ ist Preisträger im MIXED UP Wettbewerb für kreative Kooperationen 2022 in der Kategorie „Partizipation und Demokratie“.
Das sagt die Jury:
Wir sind überzeugt: zum einen von der Kooperation, denn jeder Partner bringt sich mit seiner künstlerischen, umweltpädagogischen, filmischen oder schulischen Expertise ein. In der Schule wirkt das Kollegium zudem aktiv mit. Zum anderen überzeugt, wie Partizipation von der Konzeption des Projekts bis zur Umsetzung gelebt wird. Die Kinder und Jugendlichen konzipieren und entwickeln mit, sie haben den Verlauf des Projektes in der Hand. Dabei werden politische und Alltagsthemen in den Fokus gerückt, künstlerisch bearbeitet und im öffentlichen Raum sichtbar gemacht. Eine überaus gelungene und partizipative Verbindung von Kultureller und Politischer Bildung!
MIXED UP Jury
Der MIXED UP Preis wird seit 2005 gemeinsam vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend und der Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung ausgelobt. Er zeichnet kreative Projekte und regelmäßige Angebote Kultureller Bildung für Kinder und Jugendliche aus, die durch ein Kooperationsteam umgesetzt werden. Kulturelle Bildungseinrichtungen, Schulen, Kulturinstitutionen, Kindertagesstätten, Jugendgruppen, Künstler*innen, Kulturvereine, Elterninitiativen, Kommunalverwaltungen etc. eröffnen zusammen Räume oder finden neue Wege, um sich mit den Fragen und Interessen der jungen Generation auseinanderzusetzen. Der Wettbewerb zeigt damit auch, wie Kunst, Kultur, Spiel oder Medien das kinder- und jugendgerechte Aufwachsen unterstützen. Dotiert ist der Preis mit einem Preisgeld in Höhe von je 5.000 Euro. www.mixed-up-wettbewerb.de
Projektwebsite | www.pgschule.net |
Projektträger | Peter Gläsel Stiftung |
Kooperationspartner | ART at WORK e. V. GemüseAckerdemie Berlin Filmhaus Bielefeld |