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Digitalisierung als Beschleuniger
Interview

Digitalisierung als Beschleuniger

veröffentlicht:

Wir leben längst im digitalen Raum. Jeder Mensch kann beliebig eigene Inhalte produzieren und mit hoher Geschwindigkeit um den Globus schicken. Eine Chance für die Kulturelle Bildung, Kinder und Jugendliche durch den historisch gewachsenen und rasanten Medienwandel zu führen. Video Statement.

Von Tobias Börner

Tobias Börner hat Digitale Medienkultur an der Filmuniversität Babelsberg Konrad Wolf studiert. Neben seiner Tätigkeit als Inbound Marketing Manager arbeitet er seit 2017 als Redakteur für die digitale Bildungsplattform excitingedu beim Klett Verlag.

Video-Statement

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Video-Manuskript

Generell leben wir ja eigentlich schon im digitalen oder digitalisierten Raum. Ich glaube, diese Trennung zwischen „analog“ und „digital“ gibt es gar nicht mehr. Durch Smartphones in der Tasche, durch sämtliche Anzeigen, die wir sehen, sind wir immer schon Teil des Ganzen. Es ist eigentlich ein Raum, gar nicht mehrere Räume.

Ich glaube, dass sich so die kulturellen Kompetenzen, die Kulturtechniken anpassen. Es gibt inzwischen so Phänomene, dass viele Menschen gar nicht mehr lange schreiben können, weil sie es nicht mehr gewohnt sind, wenn man einfach Tastatur und Eingabepad gewohnt ist. Wenn man dann mal wieder eine Stunde handschriftlich schreiben muss, tut einem das Handgelenk weh. Ich glaube, dass viele Menschen dadurch immer mehr zu – man nennt das – Content-Produzent*innen werden. Dadurch, dass man mit sozialen Medien interagiert und selbst Inhalte schafft. Durch Posts, durch Videos etc. gibt es ein anderes Gespür und Gefühl, wie man medial damit umgehen kann. Ich glaube, da entstehen gerade eine ganze Reihe an neuen Kompetenzen, was auch in der Hinsicht dienlich ist, als dass viele von den jüngeren Menschen dadurch besser verstehen, wie diese Medien vielleicht manipuliert werden können.

Gleichzeitig sieht man aber auch jetzt während der ganzen Corona-Pandemie, dass beispielsweise die Verkäufe an Büchern nicht abgesunken sind – wie man erst dachte – etwa zum E-Book hin, sondern im Gegenteil, es wird noch mehr an haptischen Büchern gekauft. Ich glaube auch, da wird nicht das eine durch das andere ersetzt, wie man früher immer gedacht hat, wenn so ein neues Medium um die Ecke tanzte.

Ich glaube, dass gewisse Prozesse schneller werden, sei es Homeoffice, sei es die Kommunikation online, dass es habitualisierter ist, dass man viel eher nochmal einen Videochat macht und dass man vieles auslagert, auch hinsichtlich des Konsums. Aber, ich glaube insgesamt, dass da durchaus auch die Chance drin liegt, dass so communitybildende und aktivistische Formate mehr Zulauf bekommen. Wenn man sich z. B. „Fridays for Future“ etc., wenn man sich diese neuen Bewegungen anguckt, die sind quasi im Internet entstanden und haben innerhalb von kürzester Zeit so eine Schlagkraft und so einen Einfluss gewonnen, dass durchaus die Digitalität als Beschleuniger funktionieren kann. Greta Thunberg würde so gar nicht in dieser Geschwindigkeit zu einem Gesicht einer ganzen Bewegung geworden sein können, hätte es nicht Twitter, Facebook, Instagram etc. gegeben. Man sieht auch, dass es durchaus politisch und aktivistisch großen Einfluss hat.

Ich glaube, wir sind immer noch in einer Transformationsphase und dadurch, dass das Internet als Kommunikationstechnologie so viele Medien zusammenbringt und nicht nur eines ist, verunsichert das auf der einen Seite – auf der anderen tun sich ganz viele Chancen auf und es gibt ganz viele Schauplätze, die auf einmal davon betroffen sind, die sich nie irgendwie in diesem Maße Gedanken machen mussten, was so eine Transformation bedeutet. Es trifft verschiedenste Altersgruppen, verschiedenste Zielgruppen, das stellt, glaube ich, alle vor eine starke Beschleunigung, weshalb dann auch die Tendenzen entstehen, dass auf einmal wieder Entschleunigung ein Trendthema wird. Und ich glaube, da sind wir noch mittendrin.

Was es auf der einen Seite sehr spannend macht, weil es ganz viele Möglichkeiten gibt für Stimmen und Gruppen, die vielleicht vorher im Diskurs untergegangen sind, weil sie keine Repräsentationsmacht oder Form hatten, weil sie in klassischen Massenmedien nicht abgebildet wurden. Da sieht man ganz viel bei der LGBT*-Bewegung, bei Black Lives Matter dass das einfach gehört wird, dass sozusagen Repräsentation stattfindet.

Auf der anderen Seite gibt es natürlich immer noch viele Ängste, die teilweise begründet sind, was auch mit Unternehmensstrukturen zu tun hat. Man sieht, dass es „die großen Vier“ gibt – Google, Amazon, Apple und Facebook – die dann scheinbar fast wie Monopolisten die Daten alle beherbergen und auf der anderen Seite ganz viel Kreativität.

Und ich glaube, dass das häufig noch viele verunsichert und auch dadurch zu Ängsten führt, die dann mitunter noch künstlich geschürt werden. Aber eigentlich sind wir meines Erachtens nach schon längst drin in der Digitalität. Viele dieser Diskussionen und Fragen und Warnungen sind eigentlich schon vorbei, weil es schon Teil des Alltags ist und jetzt geht es nur noch darum: Wie gestalten wir das in einem Sinne, der für die meisten Menschen noch positiv ist und nicht zu negativ und nicht mit zu vielen negativen Auswirkungen behaftet?

Ich glaube, es braucht ein gewisses Level an Medienkompetenz bei Kindern und Jugendlichen, damit sie wirklich selbstbestimmt mit digitalen Medien und den dazugehörigen Endgeräten umgehen können. Dazu gehört, einschätzen zu können, welche Daten sie denn da freigeben, wer auch auf Eigentümerseite dahintersteckt. Auf der einen Seite: Wer hat mein Smartphone produziert? Welche Software benutzte ich da? Welche Social-Media-Plattform und was passiert mit meinen Daten?  Dass selbst ein Schnappschuss, der über Snapchat oder der über Instagram an eine vermutlich kleinere Gruppe kommuniziert wird, auch ein Langlebigkeitsrisiko hat, nämlich dass er gespeichert wird und in einem anderen Kontext auf einmal wieder auftauchen kann.

Dazu gehört auch, wenn man in den Medienkonsum direkt reingeht, die Fähigkeit, Quellen bewerten zu können und Quellen hinterfragen zu können: Woher stammen Informationen? Wer wird darin abgebildet? Wer wird darin nicht abgebildet, welche Position? Wie genau ist die zustande gekommen? Und ein bisschen ein Wissen zu haben, wie auch gerade digitalen Medien manipuliert werden können oder de facto manipuliert werden.

Ich glaube, all das sind wichtige Kenntnisse und Fakten, die helfen, auch einen selbstbestimmten Umgang mit Digitalität und digitalen Medien herzustellen. Generell glaube ich, man sollte das ganze Thema zwar natürlich kritisch sehen, dennoch mit einem gewissen Optimismus. Ich finde, es begegnet einem viel Negativität in der Diskussion rund um Social-Media-Plattformen, das Internet und vor allem bei „das Internet und junge Menschen“ – wie es dann immer heißt. Dann gibt es immer dieses Phantasma, dass die alle negativ beeinflusst werden von den bösen Influencer*innen.  Da wird immer so getan, als hätten die dem gar nichts entgegenzusetzen, als wären die irgendwie keine mündigen Mediennutzer*innen.

Ich glaube, dass viele junge Menschen einfach sehr viel gezielter und kompetenter digitale Medien nutzen, als viele derjenigen, die behaupten, dass sie dies nicht tun würden und dass man von denen eigentlich ziemlich viel lernen kann. Und dass das auch in der Kulturellen Bildung mehr zu einem Austausch führen sollte, von der Anwender*innen-Perspektive zu der lehrenden Perspektive, weil ich glaube, das ist, was die große Chance ist, dass man in diesem Diskurs tritt, wo auf beiden Seiten auch noch was Neues mit dazu gelernt wird.

Wenn man sich, wie gesagt, „Fridays for Future“ oder so anguckt, dann denk ich mir immer: Wow, die haben diese Kanäle verstanden! Die benutzen die auf eine Art und Weise, die so zielgerichtet ist und so gut funktioniert, da kann ich nicht sagen, das Internet hat die verdorben.

Das ist immer diese alte Angst von einem neuen Medium, das kommt, das erste Mal so beschrieben wird, wie: „Das Fernsehen, das macht unsere Kinder dumm und die Augen viereckig“.Und dann sieht man aber, dass es genau das Gegenteil gebracht hat,  die gehen ganz anders damit um, viel selbstverständlicher, aber ohne dass es bedeutet, dass sie da nicht mit einer gewissen Selbstgewissheit reingehen. Kinder und Jugendliche bekommen auf einmal Zugang zu Wissen und Fertigkeiten, denen sie im normalen Unterricht vielleicht gar nicht begegnen könnten, weil sie einfach darüber hinausgehen und können am Ende Musik produzieren oder Videos oder auch programmieren – was auch wichtige Kenntnisse sind – und nehmen das auch an, was da ist und suchen aktiv nach diesen Inhalten.

Dementsprechend bietet es auch die Fähigkeit, dass da eine Art Weiterbildung stattfindet, außerschulisch, die so vielleicht gar nicht im Diskurs betrachtet wird, die aber dazu führt, dass wir inzwischen viele haben, die an die Universitäten gehen und schon gewisse Fähigkeiten mitbringen, von denen man gar nicht wusste, dass sie entwickelt wurden, weil sie nicht auf dem Lehrplan stehen.

Wenn die Kulturelle Bildung eines eröffnen kann, dann ist das ein Blick, eine Perspektive darauf, wie Medienwandel passiert ist und wie Medien ineinander aufgegangen sind und miteinander und voneinander transportieren sozusagen.

Wenn man dieses Fenster hat, kann man damit spielen, dann kann man auch filmische Ästhetik beispielsweise von Méliès nehmen und kann die dann in moderne TikTok-Videos verpacken. Das ist ja alles da. Das eine schließt das andere ja nicht aus. Und ich finde, die Kulturelle Bildung kann da eine Kategorisierung mitunter vornehmen, kann sagen: „Hier, dieses TikTok-Video ist schön, aber guckt euch mal an – das folgt eigentlich der Logik, die ist schon 150 Jahre alt.“ Und kann dann auch Kontexte schaffen. Ich glaub, das ist ganz wichtig, da wird auf der einen Seite gelernt und gelehrt daran, aber wenn ich einen Kontext habe und auch sehe, was in diesem Kontext schon entstanden ist und wie ich es jetzt benutze, dann entstehen da, glaube ich, ganz viele neue Verknüpfungen und auch Möglichkeiten, sowohl sich auszudrücken als auch sich kritisch und selbstkritisch mit dem eigenen Tun zu befassen.

Wenn man sich z. B. viele der großen Influencer*innen-Accounts so anguckt, dann sieht man, dass die häufig einer Werbefotografie-Ästhetik der 1980er oder 1990er Jahre folgen. Das fand ich beim ersten Mal z. B. total überraschend. Ich hab mir eine Influencerin angeguckt, die hat etwa zweieinhalb Millionen Follower*innen und ich dachte: Das sieht aber aus wie Modefotografie der frühen 1990er! Das war für mich neu, weil ich gedacht habe, da wird mit neuen Formsprachen gearbeitet, das ist es aber nicht, sondern es ist etwas, das es schon gab, was eben dann über einen neuen Kanal inszeniert wird. Wenn man das dann historisch und auch die Spuren des ganzen verdeutlichen kann, sie fast schon medienarchäologisch belegen kann, dann entsteht da, glaub ich, ganz viel Neues und auch ein Resonanzraum, der sehr inspirierend sein kann.

Ich glaube, die Medienbiografien werden interessant beeinflusst durch die Interaktion mit verschiedenen Formaten. Ich habe das selbst auf Instagram gemerkt, wird man inspiriert vielleicht eigene Inhalte zu kreieren und mit anderen in Austausch zu treten. Also ich poste beispielsweise relativ viel über Bücher, weil ich gerne lese und dadurch ist so eine Community entstanden, dass man sich regelmäßig, fast wie in einer Art digitalem Lesekreis, austauscht, mit Leuten, die aber meinetwegen in Malaysia sitzen, die dasselbe gelesen haben. Und dann kommt es richtig zu einer Resonanz. Und das ist ja das, was Kulturelle Bildung schließlich im besten Falle machen kann oder erreichen kann oder fördern kann. Dass ein Austausch besteht, dass nicht nur was reingegeben wird, sondern sich über verschiedenste kulturelle Artefakte vielleicht auch gestritten wird auf unterschiedlichsten Ebenen. Und ich glaube, dass das nach wie vor existiert – nur vielleicht nicht mehr in den klassischen Kanälen, denen das noch so zugeschrieben wird, wie dem „Literarischen Quartett“ oder klassischen Podiumsdiskussionen, sondern viel auch in Kommentarfunktionen, Kommentarspalten, in verschiedenen WhatsApp-Gruppen. Das ist alles meines Erachtens nach noch da, es ist einfach nur in anderen Kanälen. Ich glaube, dass gerade verbandlich organisierte Kulturelle Bildung den Vorteil hat, dass sie viel feingliedriger vorgehen kann und viel mehr mit individuellen Partner*innen vor Ort und Kooperationen Programme und auch Projekte auf den Weg bringen kann und da in einem ganz anderen Austausch steht, gerade wenn es um das Spezifische geht, um Sachen, die vielleicht für eine große Marke zu nischenhaft wären, als dass es dann interessant wäre.

Da schlägt die Wichtigkeit von den Verbänden hinsichtlich der Kulturellen Bildung, weil viele kulturelle Themen sehr wichtig sind und, wenn sie in der richtigen Aufbereitung auf Schüler*innen treffen, wahnsinnig einflussreich sind im positiven Sinne. Sie sind aber auch schwerer vermittelbar und brauchen dementsprechend eine gut durchdachte Betreuung. Und das ist, finde ich, auf der Verbandsebene etwas, was geleistet werden kann, weil da nicht das monetäre Interesse im Vordergrund steht und sich da sehr individuell darauf vorbereitet werden kann. Da finde ich, ist das eine sehr wichtige Kompetenz.

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