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Die Traumfabrik
Aus der Praxis

Die Traumfabrik

Jugendkulturzentrum Heizhaus des Urban Souls e. V., Leipzig

veröffentlicht:
Bild: urban souls e. V. HEIZHAUS

Leipzig Grünau: Wir befinden uns in einer der größten Plattenbausiedlungen der DDR. In den 1980er Jahren ein Sehnsuchtsort für junge Familien, führen heute Arbeitslosigkeit und Existenzängste in den hochgeschossigen Bauten zu Motivationsverlust.

Von Kathrin Köller

Copyright: Bild: urban souls e. V. HEIZHAUS
Copyright: Bild: urban souls e. V. HEIZHAUS
Copyright: Bild: urban souls e. V. HEIZHAUS
Bild: urban souls e. V. HEIZHAUS

Mitten drin steht das Heizhaus, äußerlich nicht unbedingt eine Schönheit. Doch die Angebote, die das Jugendkulturzentrum seit mittlerweile zehn Jahren macht, finden großen Zulauf, auch über die Grenzen des Sozialraums hinweg. Denn es ist ein Ort, an dem Jugendliche wachsen.

Und das liegt durchaus auch an Äußerlichkeiten, bzw. an viel Raum und Zeit. Sieben Tage die Woche ist hier offen und Platz gibt es auch: eine 1.300 m² große Skaterhalle, Tanzräumlichkeiten bis zu 120 m², sowie ein Tonstudio, ein Instrumentenzimmer und einen Band-Proberaum. Die Außenwände bieten 500 m² besprühbare Fläche, die die Jugendlichen selbst mit Graffitis gestalten. Passend dazu gibt es viele Jugendkulturangebote im Bereich Rap und Beatboxing, Hip-Hop und Breakdancing und vieles mehr. Neben regelmäßig stattfindenden Workshops mit eher festen Gruppen ist dem Team des Heizhauses der Bereich der offenen Arbeit wichtig. „Wir entwickeln neben den fortlaufenden Kursen wöchentliche Angebote, die nicht teilnahmegebunden sind. Zum Beispiel Graffiti-, Slackline- oder Koch-Angebote. Und wir unternehmen gemeinsame Ausflüge in die Umgebung und schauen, wie wir dort aktiv werden können“, so Sven Bielig, Leiter vom Heizhaus. Jeden Tag und besonders an den Wochenenden wird das Jugendkulturzentrum von jungen Menschen aus dem Stadtteil besucht, die zunächst gar kein Interesse daran haben, sich längerfristig zu „committen“. Aber mal hineinschnuppern, was geht, das kann man ja schon mal machen. Da ist die Hürde nicht so hoch.

„Es gibt sehr viele junge Menschen bei uns im Umfeld, die die Schule verweigern. Perspektivlosigkeit am Übergang von Schule zu Beruf macht den Jugendlichen zu schaffen. Ganz viele Problemlagen haben wir auch mit dem Konsum von weichen Drogen, wie Alkohol“, berichtet Sven Bielig. „Viele Eltern haben mit Existenzängsten zu kämpfen, was sich bei den jungen Menschen in eigenen Existenzängsten widerspiegelt.“ Mit seinen Angeboten im Bereich Graffiti, Slackline und Kochen schafft das Team vom Heizhaus erste Anknüpfungspunkte.

Wenn ein junger Mensch aus einer Bedarfslage heraus mit einer Projektidee zu uns kommt, dann sehen wir zu, dass wir den Menschen dazu befähigen, dass er diese selbst umsetzt und wir die notwendigen finanziellen, materiellen oder personellen Ressourcen zur Verfügung stellen.

Sven Bielig

Was brauchst du?

Begegnungen in den offenen Angeboten sind die Grundlage, aus der heraus sich Einzelgespräche entwickeln. So wird es möglich, ganz individuell auf die Bedürfnisse der Einzelnen zu schauen und gleichzeitig auf die Ressourcen, die es unter den Jugendlichen selbst gibt. „Also, da ist zum Beispiel Swantje*, die sich an uns gewandt hat, weil sie Existenzängste hat, nicht weiß, was sie mit ihrem Leben anfangen soll und überlegt, von zuhause auszureißen“, erzählt Sven Bielig. Das Team vom Heizhaus versucht eine Bindung zu ihr aufzubauen und als Ansprechpartner für sie da zu sein. „Außerdem haben wir ihr vorgeschlagen, Boxen zu lernen. Dann gibt es Roman*, der bei uns angefangen hat, Sozialstunden zu leisten und Vorerfahrung im Boxtraining mitbringt. Wir haben die beiden Personen jetzt zusammengebracht. Er trainiert sie, leistet seine Sozialstunden, während sie sich körperlich betätigt. Beide bauen Selbstbewusstsein auf.“

Selber wieder träumen

Gerade die Jugendlichen, die schon viele negative Erfahrungen gesammelt haben, brauchen Zeit, bis sie dazu kommen, wieder eigene Träume zu entwickeln und auch an deren Umsetzung zu glauben. Das Heizhaus gibt ihnen diese Zeit und steht im Hintergrund zur Verfügung: „Wenn ein junger Mensch aus einer Bedarfslage heraus mit einer Projektidee zu uns kommt, dann sehen wir zu, dass wir den Menschen dazu befähigen, dass er diese selbst umsetzt und wir die notwendigen finanziellen, materiellen oder personellen Ressourcen zur Verfügung stellen“, erläutert Sven Bielig den Ansatz seines Teams. Und dann erzählt er von Ken, der irgendwann angefangen hat, an einem Tanzkurs teilzunehmen. Später trainierte er in den Räumlichkeiten alleine weiter. Nach vier Jahren wuchs der dringende Wunsch, ein Urban Dance Battle zu veranstalten, bei dem sich Akteur*innen aus ganz Mitteldeutschland treffen. Gesagt, getan. Das Heizhaus unterstützt Ken bei Konzeptentwicklung, Layout und dem Stellen von Förderanträgen – lässt ihn aber seine eigenen Ideen umsetzen. Es wird eine erfolgreiche Veranstaltung. Aber vielleicht das Wichtigste ist, dass Ken in dieser Zeit gelernt hat, in sich hineinzuhorchen und Zukunftsvorstellungen zu entwickeln. Zurzeit absolviert er ein Praktikum im Heizhaus, als Teil seiner Ausbildung zum Sozialpädagogen.

Okay. Macht mal.

Auch das Jugendkulturzentrum selbst wächst an den Wünschen der jungen Menschen. Gab es ursprünglich nur Tanzkurse im Bereich Hip-Hop, so kamen irgendwann fünf 14- bis 15-jährige Tänzerinnen, die einen Raum suchten, um zu K-Pop zu tanzen. „Macht mal“, sagte das Heizhaus-Team. Vier Jahre später leiten alle fünf Mädchen verschiedene K-Pop-Kurse im Heizhaus für ca. 70 Jugendliche. „Jetzt sind wir auf einmal die Hochburg für K-Pop in Sachsen“, erzählt Sven Bielig – immer noch ein bisschen erstaunt. „Im Moment schauen wir, wie wir die Dozierenden qualifizieren, damit sie als Vermittelnde dauerhaft tätig werden können. Am Ende kann das in Richtung berufliche Perspektive gehen. Oder auch nicht. Das ist ihre Entscheidung.“

Langfristige Perspektiven

Es gäbe noch weitere nachhaltige Erfolgsgeschichten aus dem Heizhaus zu erzählen. Sie alle eint, dass hier individuell und flexibel auf die Bedürfnisse der jungen Menschen geschaut und Zeit und Raum zur Entfaltung gegeben wird. Das Jugendkulturzentrum selbst könnte ebenfalls ein bisschen Nachhaltigkeit gebrauchen. Bislang müssen stets neue langwierige Projektförderungen beantragt werden, was die Planung schwierig macht. „Gerade jetzt in der Phase der finanziellen Auswirkungen von Corona, haben wir als Verein sehr große Existenz-Fragezeichen“, gesteht Sven Bielig. „Ich rede jetzt nicht von 2021/2022, da gibt es ja die Unterstützung der Bundesregierung, aber es werden jetzt schon Stimmen laut, die sagen, wir müssen das ganze Geld ja auch wieder einspielen. Da kann so eine Projektförderung auch schnell mal runtergefahren werden.“ Es wäre dem Heizhaus zu wünschen, dass auch das Land und die Kommunen so nachhaltig lernen wie die Jugendlichen und sie das Heizhaus, das in den nächsten Jahren mindestens so dringend gebraucht wird wie bisher, auf sichere Füße stellen.

*Pseudonym

Der Beitrag ist erstveröffentlicht in: Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung e. V. (2021): Unverzichtbar – Orte Kultureller Bildung kubi – Magazin für Kulturelle Bildung. No. 20-2021. Berlin. S. 42 – 45.

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