Die Transformation kultureller Muster als Schlüssel zu nachhaltiger Praxis
kubi im Gespräch mit Leopold Klepacki, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg
kubi im Gespräch mit Leopold Klepacki, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg
Leopold Klepacki arbeite an der Friedrich-Alexander Universität Erlangen-Nürnberg. Seine Arbeitsschwerpunkte sind kulturtheoretische Grundlagen der Pädagogik und Ästhetische Bildung. Er entwickelt theoretische Ansätze einer Bildung für nachhaltige kulturelle Praxis.
Leopold Klepacki: Hier kommt es auf einen weiten Kulturbegriff an, bei dem Kultur als das definiert wird, was unser Denken, Handeln und Wahrnehmen auf einer kollektiven Ebene organisiert und strukturiert. Denn im Hinblick auf Nachhaltigkeit geht es um die Art und Weise, wie wir handeln, denken und uns die Zukunft vorstellen. Das hängt stark mit kulturellen Traditionen zusammen und den Strukturen, in die wir über unsere kulturelle Alltagspraxis eingebunden sind. Für die kulturellen Bezüge innerhalb der Bildung für nachhaltige Entwicklung ist dieser Hintergrund also wichtig.
Das Besondere ist, dass sich Kulturelle Bildung in ganz vielseitigen Settings zeigen kann und es letztlich eine didaktische Frage ist, wie sie im Detail zu einer zukunftsorientierten nachhaltigen Praxis beitragen kann.
Leopold Klepacki
Leopold Klepacki: Für eine Bildung für nachhaltige Entwicklung braucht es einen Bildungsbegriff, der Kulturelle Bildung nicht allein mit ästhetischer oder künstlerischer Bildung gleichsetzt, sondern der Bildung als reflexive Transformation kultureller Muster versteht. Oft sind wir uns dieser Muster im Alltag nicht bewusst, denn wir fragen uns nicht: Warum denke ich so, warum habe ich diese Haltung? Warum gibt es bestimmte Normen und wodurch wurden meine Ziele geprägt? Kulturelle Bildung kann einen Beitrag dazu leisten, sich Kultur wirklich bewusst zu machen und zu reflektieren, wie man sich zu den vorherrschenden Strukturen und Praktiken verhält. Dadurch wird Kultur als etwas Veränderbares erfahrbar.
Leopold Klepacki: Es gibt im Bereich der Kunst, des Kultursektors oder auch der Kulturellen Bildung ganz viele Ansätze, wo versucht wird, Kultur und BNE zusammenzudenken. An dieser Stelle fragen sich Kulturinstitutionen, wie Theater oder Schulen, häufig, wie sie selber nachhaltig wirtschaften können, was definitiv auch ein sehr wichtiger Punkt ist. Aber worauf es mir besonders ankommt, ist, wie über eine reflexive kulturelle Praxis eine Sensibilität für Nachhaltigkeit entwickelt werden kann. Insofern sehe ich v. a. in einer Bildung für nachhaltige kulturelle Praxis eine geeignete Lösung, um Kulturelle Bildung und BNE zu verschränken. Beide Handlungsfelder haben viele Schnittmengen, wie den gemeinsamen Partizipationsgedanken oder die Förderung von Handlungs- und Imaginationsfähigkeit.
Leopold Klepacki: Der Nachhaltigkeitsbegriff basiert für mich zunächst auf dem klassischen Drei-Säulen-Modell der Nachhaltigkeit mit Ökologie, Ökonomie und dem Sozialen. Da ist Kultur in dem Sinne, wie ich es eben definiert habe, aktuell nicht systematisch vorhanden. Bei gesellschaftlichen Fragestellungen bezüglich dieser drei Säulen geht es aber immer um kulturell bedingte Werte, weshalb Kultur als vierte Dimension mitgedacht werden sollte. Die Nachhaltigkeitsthematik wirft in vielerlei Hinsicht auch ethische Fragen auf z. B. nach der Veränderbarkeit etablierter kultureller Muster und Praktiken: Ein Bewahren kultureller Traditionen muss nicht immer nachhaltig im Sinne der Eröffnung von Zukunftschancen sein. Nachhaltigkeit bedeutet also auch ein Umdenken und die Ermöglichung von Zukunft durch kontinuierliche Transformation in kollektiven Strukturen: Kulturell etablierte Muster können nicht nur von einem einzelnen Menschen durchbrochen werden. Wirklich nachhaltig wird es erst, wenn sich Menschen zusammen auf diesen Weg begeben.
Leopold Klepacki: Wenn wir uns nachhaltig verhalten möchten, gilt es, in unserem gegenwärtigen Handeln gleichzeitig schon Verantwortung für die Zukunft zu übernehmen. Das bedeutet, den künftigen Generationen die Verfügung über die nötigen Mittel zu ermöglichen, ihre Zukunft ebenfalls jederzeit neu bewerten und gestalten zu können. Der Anspruch Kultureller Bildung könnte deshalb sein, herauszufinden, was das Zukunftsfähige in unserem Handeln ist und darüber in einen experimentellen Modus der Erkundung kultureller Möglichkeiten zu kommen, der für Kulturelle Bildung und ihre ästhetischen Verfahren ja sehr bedeutsam ist. In diesen Angeboten können Utopien gedacht und Visionen entwickelt werden, wie wir die Zukunft gestalten möchten.
Leopold Klepacki: Das Besondere ist, dass sich Kulturelle Bildung in ganz vielseitigen Settings zeigen kann und es letztlich eine didaktische Frage ist, wie sie im Detail zu einer zukunftsorientierten nachhaltigen Praxis beitragen kann. Das gelingt, wenn z. B. eine Theateraufführung zu bestimmten Reflexionsprozessen anregt und entsprechende Fragestellungen aufwirft. Aber auch interkulturelles Kochen kann Kulturelle Bildung sein, wenn darüber bestimmte kulturelle Prägungen wie der Geschmack thematisiert und kulturelle Muster der Ernährung reflektiert werden. Auch bei einer Stadtführung könnten Prozesse hinsichtlich nachhaltiger kultureller Praxis angestoßen werden, wenn z. B. Fragen der Tradierung und Transformation von Wohnkultur thematisiert werden. Ich finde es persönlich immer ein bisschen schade, wenn Kulturelle Bildung gegenständlich auf die Künste reduziert wird.
Leopold Klepacki: Ich sehe eine Grenze, die aber nicht nur in der Kulturellen Bildung, sondern in sämtlichen pädagogischen Strukturen vorhanden ist: Was machen die Menschen mit ihren Reflexionserfahrungen, wenn sie aus dieser Situation draußen sind? Möchten wir, dass ein Übertrag in den Alltag stattfindet, sollten wir alltagskulturelle Dinge direkt befragen wie unsere Ernährungskultur, Wohnkultur oder Esskultur? Kulturelle Bildung kann das wunderbar performativ und ästhetisch-sinnlich aufgreifen und tut es an vielen Stellen auch bereits. Für eine nachhaltige Praxis könnte sie sich aber noch etwas mehr öffnen und diesen fragenden Modus mehr für sich reklamieren. Wobei ich keinesfalls in Abrede stellen möchte, dass in vielen Kontexten der Kulturellen Bildung dahingehend bereits sehr komplexe und differenzierte Perspektiven vorhanden sind.
Für Bildung für nachhaltige Entwicklung braucht es einen Bildungsbegriff, der Kulturelle Bildung nicht allein mit ästhetischer oder künstlerischer Bildung gleichsetzt, sondern der Bildung als reflexive Transformation kultureller Muster versteht.
Leopold Klepacki
Leopold Klepacki: Wenn auf einer Diskursebene ein Hype um einen Begriff entsteht, zeigt es, dass ein Thema eine große Relevanz hat. Gleichzeitig neigen solche „Megabegriffe“ aber auch dazu, selber inhaltsleer zu werden. Der Transformationsbegriff wird für alles Mögliche verwendet, von der digitalen Transformation der Industrie bis hin zur Bewusstseinstransformation durch Meditation usw. Das Wort Wandel oder Veränderung würde hier aber nicht weit genug greifen, deshalb macht es auf jeden Fall Sinn, den Begriff Transformation zu verwenden, solange er auf den jeweiligen Punkt gebracht wird: Kulturelle Transformation meint dann die Veränderung derjenigen Muster, die menschliche Praxis organisieren und die durch menschliche Praxis überhaupt erst erzeugt werden. Transformation als Begriff wird damit inhaltlich konkret und hoch anschlussfähig an Fragen der Bildung.
Der Beitrag ist erstveröffentlicht in: Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung e. V. (2022): Nachhaltigkeit – schaffen wir das, erschaffen wir was?, kubi – Magazin für Kulturelle Bildung. No. 22-2022. Berlin. S. 42 – 45.