Der Blick über den Tellerrand
Kulturelle Bildung als Baustein demokratiestärkender Bildungslandschaften
Kulturelle Bildung als Baustein demokratiestärkender Bildungslandschaften
Antje Materna ist Projektleiterin für die Fachstelle Kulturelle Bildung im kommunalen Bildungsmanagement der Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung (BKJ).
© BKJ | Andi Weiland
Kulturelle Bildung wird oft unterschätzt, weil ihr Nutzen schwer messbar ist – sie schafft keine sofort sichtbaren ‚Ergebnisse‘ wie in den Naturwissenschaften oder der Ökonomie. Doch gerade hier liegt ihre Stärke: Sie fördert Kreativität, kritisches Denken und Empathie – die Schlüsselkompetenzen des 21. Jahrhunderts. Wer Kulturelle Bildung vernachlässigt, übersieht, dass sie die Grundlage für gesellschaftlichen Zusammenhalt und innovative Lösungen bildet. Ohne sie fehlt uns der Blick über den Tellerrand!
Chat GPT, Januar 2025, Warum ist Kulturelle Bildung wichtig und welche Rolle spielt sie in unserer Gesellschaft?
Kulturelle Bildung ist in vielerlei Hinsicht ein Querschnittsbereich. Das Spektrum reicht von formalen über non-formale bis zu informellen Bildungskontexten. Schulisch-curriculare Ansätze stehen außerschulischen gegenüber und die Bandbreite reicht dabei von alltagsästhetischen, laienkünstlerischen bis zu professionellen pädagogischen und künstlerischen Bildungs- und Vermittlungsangeboten in den unterschiedlichsten Kunstsparten.
Die eine allgemeingültige und verbindlich festgelegte Definition von Kultureller Bildung gibt es also nicht. Sie hat viele Facetten zwischen Alltags-, Sub- und Hochkultur. Sie ist lebenslanges und lebensbegleitendes Lernen mit den Künsten und in den Künsten, der Zugang zu ihr ist gemäß Artikel 27 der UNESCO Menschenrechtskonvention allgemeingültiges Menschenrecht. Kulturelle Bildung ist Allgemeinbildung, die die vielfältigen Zugangsweisen zur Welt umfasst und jedem Menschen ein Leben lang Entfaltung und Teilhabe an sowie aktive Mitgestaltung von Gesellschaft ermöglichen soll (vgl. Wibbing/Stute 2014).
Kulturelle Bildung ist somit ein offener Terminus, der kontextbezogen definiert werden muss. Für die Gestaltung von kommunalen Bildungslandschaften ist das besonders wichtig. Denn der Verweis auf ein umfangreiches und vielfältiges Engagement in Projekten, Initiativen oder Institutionen genügt hier nicht. Damit Kulturelle Bildung als „Grundlage für gesellschaftlichen Zusammenhalt und innovative Lösungen“ wirksam werden kann, darf sie nicht nur auf punktuellen Maßnahmen beruhen. Sie braucht strukturelle kommunale Verankerung als eigenständiger, aber vernetzter Bildungsbereich, eine längerfristige strategische Planung sowie die entsprechende Ressourcenausstattung.
Ein kontextbezogenes Verständnis von Kultureller Bildung ist jedoch kein statisches, sondern wandelt sich gemäß den gesellschaftlichen Veränderungen. Gegenwärtig sind Kommunen zunehmend gefordert, sich mit den Auswirkungen eines Rechtsrucks und der damit einhergehenden Entdemokratisierung auseinanderzusetzen. Mehr denn je ist hierfür ein Bildungssystem gefragt, das über die Vermittlung schulischen Wissens hinaus eben jene Fähigkeit fördert, sich kritisch mit der Welt auseinanderzusetzen, aktiv an ihrer Gestaltung mitzuwirken und dabei Mehrdeutigkeiten zu integrieren. Denn „aufgeklärte Demokratie ist wesentlich anstrengender, muss sie doch andauernde Spannungen, Ambivalenzen und Widersprüche aushalten“ (Quent 2024: 13).
Hierfür rückt eine besondere Stärke Kultureller Bildung in den Fokus: Die Mehrdimensionalität von Kunst, in der es kein pauschales ‚Richtig‘ oder ‚Falsch‘ gibt. Von und mit Kultureller Bildung „kann man lernen, mit differenzierteren Unterscheidungen umzugehen, sie auf die Entwicklung der eigenen Person und der Gesellschaft anzuwenden. Wo ‚Richtig‘ und ‚Falsch‘ keine verlässlichen Kategorien sind, muss das eigene Tun immer wieder kritisch befragt werden, um sich der eigenen Position zu versichern“ (Rossmeissl 2019: 81).
Kulturelle Bildung eröffnet damit kreative Freiräume für neue Lösungswege und alternative Handlungsoptionen. „Diese Fähigkeit, sich in Alternativen zu denken, sich selbst, das eigene Urteil und den eigenen Standpunkt immer wieder infrage zu stellen, ist nicht nur Voraussetzung einer demokratischen Gesellschaft, sondern auch Überlebensqualität in einer sich verändernden Welt“ (Rossmeissl 2019: 83). Kulturelle Bildung und ihre (Erfahrungs-)Räume sind somit von unschätzbarem Wert für die Demokratie. Sie ermöglichen Begegnungen sowie die Aushandlung gesellschaftlicher Normen, Werte und Widersprüche – und zwar durch Erleben, Ausprobieren, Reflektieren und Agieren. Kulturelle Bildung kann in diesem Sinne einen wesentlichen Beitrag zur Demokratiebildung leisten – indem sie der Demokratie Räume bietet (vgl. Hilliges 2024).
Trotz dieser hohen Anschlussfähigkeit werden die beiden Bereiche Kulturelle Bildung und Demokratiebildung in kommunalen Bildungslandschaften bislang jedoch vorwiegend innerhalb des eigenen Handlungsfeldes bzw. Ressorts diskutiert und gestaltet. Dabei kommt gerade der lokalen Ebene eine zentrale Bedeutung zu, denn sie ist der Ort alltäglich erfahrbarer Demokratie. Um dieses Potenzial einzulösen, braucht es im Zusammenspiel der beiden Bereiche auf kommunaler Steuerungsebene mehr Austausch, Vernetzung und die gemeinsame Entwicklung von Strategien.
Das Konzept der Bildungslandschaften bezieht sich jedoch nicht nur auf institutionelle Strukturen, es nimmt auch lebensweltorientierte Kontexte und eine sozialräumliche Perspektive in den Blick. Hier bringt Kulturelle Bildung eine weitere ihrer Stärken ein. Denn auch wenn Kulturelle Bildung sich an konkreten Orten lokalisiert, liegt eines ihrer Potenziale darin, keinen exklusiven Ort zu haben und sowohl institutionell als auch lebensweltlich geformt sein zu können (vgl. Mack 2012: 734). Kulturelle Bildung kann in diesem Sinne auch begriffen werden „als Option, neue Sozialräume zu erschließen“ (Mack 2012: 735), sich an den spezifischen lokalen Bedarfen und Herausforderungen auszurichten, für Demokratiebildung einen direkten Bezug zur Lebenswelt herzustellen und dazu beizutragen, „eine starke und resiliente Demokratie zu fördern“ (Hilliges 2024).
Um kommunale Bildungslandschaften mit Kultureller Bildung konsequent so zu gestalten, dass sie eine Stärkung der Demokratie fördern, bedarf es jedoch besonderer Anstrengungen. Eine große Herausforderung liegt darin, wie die unterschiedlichen Ansätze zusammenwirken können, ohne dass sie zu einem einzigen Ansatz werden. Denn „Kooperation ist sinnvoll, weil es Unterschiede gibt, die sich ergänzen und [in] ihrer Kopplung einen Mehrwert bilden“ (Schorn 2019: 161). Es geht also nicht um das Ob, sondern um das Wie von Kooperationen und Netzwerkbildung.
Für Kommunen bedeutet das, ihr Profil unter Einbezug aktueller Herausforderungen zu schärfen, sich in der Bandbreite von Kultureller Bildung und Demokratiebildung zu verorten, Schnittstellen zu identifizieren und diese in Bildungsleitbilder sowie Handlungskonzeptionen zu integrieren. Ebenso müssen Ansätze zur kommunalen Steuerung, wie das datenbasierte kommunale Bildungsmanagement (DKBM) unter Beteiligung möglichst aller relevanten kommunalen Akteuren weiterentwickelt werden, um ein breites Wissens- und Erfahrungsspektrum einzubeziehen und zivilgesellschaftliche Bottom-up-Prozesse aufgreifen zu können. Denn eine alltäglich erfahrbare lebendige Demokratie braucht eine aktive Zivilgesellschaft und die breite Beteiligung der Bevölkerung.
Sie braucht darüber hinaus verfügbare öffentliche Orte, wie Dritte Orte, die leicht erreichbar und barrierearm sind. Bildungsräume außerhalb von Institutionsgrenzen, in denen Menschen sich begegnen können, die offen sind für Engagement, Beteiligung und Positionierungen. Für eine mit Kultureller Bildung gestaltete demokratiestärkende Bildungslandschaft sind diese Orte und kreativen Freiräume, wo Bestehendes in Frage gestellt, Neues ausprobiert und Fehler gemacht werden können, unverzichtbar und wichtiger denn je (vgl. Wimmer 2021: 14).
Sowohl die Bildungslandschaft als auch Kulturelle Bildung und Demokratiebildung müssen kontextbezogen an die spezifischen lokalen Herausforderungen angepasst sowie aufeinander bezogen werden, um unter der gemeinsamen Klammer von Demokratiestärkung wirksam sein zu können. Es gibt daher weder das eine allgemeingültige Konzept noch das eine Best-Practice-Beispiel, das auf den eigenen Standort übertragen werden kann. „Kommunale Bildungslandschaften sind keine Inseln, sondern Erlebnisräume und Übergänge in immer neue Bereiche, die mit der Perspektive derer wachsen, die sich darin bewegen“ (Rossmeissl 2019: 82).
Bildungslandschaften durchlaufen einen kontinuierlichen Entwicklungsprozess und die Verschränkung mit Kultureller Bildung und Demokratiebildung kann dazu beitragen vor Ort einen Raum der Auseinandersetzung und der Erprobung innovativer Ansätze zu schaffen. Bildungsbüros können so zum Experimentierraum für die Weiterentwicklung von Verwaltung und Kommunen zum Labor des gesellschaftlichen Zusammenlebens werden. Das braucht zweifelsohne Zeit, Geduld sowie die Bereitschaft zum Perspektivwechsel und Erproben. Es braucht zudem ein schrittweises Vorgehen bei der Entwicklung und den Vorstellungsraum dafür, wie ein erster kleiner Schritt ganz konkret aussehen kann. Denn Veränderungen fangen im Kleinen an und in der ganz konkreten Praxis vor Ort – in der Kommune und mit der Kommune.
Die Kurzfassung dieses Beitrags ist erstmals erschienen im Newsletter „Wissen – Transfer – Zukunftskieze“ (Schwerpunkt: Kulturelle Bildung und Demokratiebildung, März 2025) des Programms „Zukunftskieze – Bildung in Quartieren kooperativ planen und gestalten“ der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung und kann hier mit freundlicher Genehmigung genutzt werden.