Das Weltlabor in Aachen
Projekt „WORLD:LAB – 17 Ziele zur Nachhaltigen Entwicklung“, Bleiberger Fabrik, Aachen
Projekt „WORLD:LAB – 17 Ziele zur Nachhaltigen Entwicklung“, Bleiberger Fabrik, Aachen
Von Claas Greite
Kinder und Jugendliche kochen gemeinsam mit Künstler*innen Obst ein, lernen von Ernährungsexpert*innen, wie Gemüse haltbar gemacht werden kann und welche heilenden Kräfte in Pflanzen stecken. Andere junge Kulturbegeisterte erforschen mit professioneller Unterstützung die Tier- und Pflanzenwelt auf einer alten Bahnhofsbrache und gestalten ein riesiges Insektenhotel. Wiederum andere gestalten derweil mit viel Farbe eine Straßenunterführung neu. Szenen wie diese konnte sehen, wer sich im Sommer 2020 in die Umgebung des Moltkeparks im Aachener Osten begab. Sie waren Teil eines Großprojekts, bei dem die Bleiberger Fabrik federführend war, ein kulturelles Bildungszentrum ansässig in einem alten Werksgebäude.
Das Team der Bleiberger Fabrik widmete sich unter der Überschrift „WORLD:LAB – 17 Ziele zur Nachhaltigen Entwicklung“ jenen Zielen der Vereinten Nationen, die für die ganze Welt gelten sollen, und damit wohl auch für die Menschen in Aachen. Die Idee: Zu je einem dieser Ziele gestaltet ein Kooperationspartner aus der Stadt zusammen mit Künstler*innen einen einwöchigen Workshop für Kinder und Jugendliche: 17 Wochen angefüllt mit Projekten. Als Ort stand dafür das Kreativhaus im Moltkepark zur Verfügung, eine Außenstelle der Bleiberger Fabrik.
Es geht da ja um eine Veränderung unserer gesamten Kultur, um die grundlegende Frage, wie wir miteinander leben wollen.
Axel Jansen
Weshalb sich die Bleiberger Fabrik so intensiv den Nachhaltigkeitszielen widmete, erklärt Axel Jansen, Leiter der Jugendkunstschule: „Themen wie diese sind den Kindern und Jugendlichen in unserem Umfeld einfach unheimlich wichtig.“ Hinzu kamen auch persönliche Erfahrungen, die Axel Jansen während eines Aufenthaltes in Äthiopien gesammelt hatte. „Ich war damals zum ersten Mal im globalen Süden und habe verstanden, was es bedeutet, wenn es kein Trinkwasser gibt.“ So entstand die Idee zu WORLD:LAB. „Es war uns sehr wichtig, mit einem Projekt noch stärker zu Themen der nachhaltigen Entwicklung zu sensibilisieren. Denn die Tatsache, dass es in manchen Ländern kaum Trinkwasser gibt, hat ja auch etwas mit unserem Konsumverhalten zu tun“, erklärt er. Für diese Sensibilisierung sei die Kulturelle Bildung geradezu prädestiniert: „Es geht da ja um eine Veränderung unserer gesamten Kultur, um die grundlegende Frage, wie wir miteinander leben wollen.“
Anfang 2020 ging es dann an die Realisierung des Sommerprojekts. „Wir haben lokale Initiativen mit Künstler*innen zusammengekoppelt“, sagt Axel Jansen. So wurden etwa der lokale Ableger von Fridays for Future, das Frauennetzwerk Aachen oder die Christliche Arbeiterjugend zu Projektpartnern: „Der Grundgedanke war auch, diese Initiativen bekannter zu machen und für eine Vernetzung mit der Kunstszene zu sorgen. Denn vom Blick der anderen können alle Seiten sehr profitieren.“
Den Auftakt machte der Ernährungsrat Aachen, eine Initiative, in der u. a. pensionierte Lehrer*innen mitwirken. „Der Ernährungsrat setzt sich etwa an Schulen für gesundes Mensa-Essen ein oder macht Eltern Vorschläge, wie ein gesundes Pausenbrot aussieht“, erläutert Axel Jansen, warum dieser Partner unbedingt etwas zum Thema Nachhaltigkeitsziele in einem künstlerischen Projekt beizutragen hat.
Beim WORLD:LAB nahm sich der Ernährungsrat gemeinsam mit einer Künstlerin gleich zwei Sustainable Development Goals (SDGs) vor. „Kein Hunger“ (SDG 2) und „Gesundheit und Wohlergehen“ (SDG 3) wurden gemeinsam mit den Teilnehmer*innen besprochen und im Rahmen der Workshops vertieft, in dem es u. a. darum ging, Obst und Gemüse haltbar zu machen. Die Künstlerin zeigte den Jugendlichen auch, wie aus Naturmaterial Farben hergestellt werden.
Die alte Bahnhofsbrache in der Nähe des Moltkeparks schien den 10- bis 12-jährigen Teilnehmer*innen einer anderen Projektwoche ein guter Ort zu sein, um ein Insektenhotel zu eröffnen. Das gestalteten sie gemeinsam mit der Künstlerin Dina Bharucha. Aus Gips gegossene Insekten dienten als Verzierung. Mit den Expert*innen aus dem Fachbereich Umwelt der Stadtverwaltung nahmen die jungen Teilnehmer*innen auch die Tier- und Pflanzenwelt auf der Brache unter die Lupe.
In einem weiteren Workshop wurden schließlich alle 17 Nachhaltigkeitsziele in den Blick genommen. „Mitglieder des Partnerschaftsvereins Aachen-Kapstadt haben an einer Schule Vorträge gehalten und Filme über ihre Arbeit gezeigt. Dann ging es an die künstlerische Umsetzung“, erläutert Axel Jansen. Mit Unterstützung zweier Maler*innen haben die Schüler*innen einer nahe gelegenen Gesamtschule ein Wandbild entworfen, bei dem die Frage im Zentrum stand, „was unser Lebensstil mit den Problemen im Süden zu tun hat“. Das Bild wurde dann auf die Betonflächen der Straßenunterführung gemalt.
Nach diesen vielversprechenden Anfängen kam allerdings die nächste Welle der Corona-Krise. „Zum Herbst hin wurde die Arbeit wegen der steigenden Infektionsraten immer schwieriger. 17 Workshops waren nahezu durchgeplant, alle Partner gefunden. Aber letztlich fanden leider nur wenige Projekte statt“, sagt Axel Jansen. Die verbleibenden Workshops sollen aber nachgeholt werden. Und auch wenn noch nicht alle Projekte realisiert werden konnten – neue Beziehungen haben sie bereits jetzt gestiftet.
Das Thema Nachhaltigkeit beschäftigt die Bleiberger Fabrik auch über das WORLD:LAB hinaus. „Immer, wenn Entscheidungen anstehen, denken wir dieses Thema mit“, erzählt Axel Jansen. So verzichtet die Bildungseinrichtung bewusst auf ein eigenes Auto und nutzt Car Sharing-Dienste. 2016 wurde ein Lastenfahrrad angeschafft, das die Menschen aus dem Viertel nutzen können. Auf diese Weise will die Einrichtung in das Aachener Westparkviertel hineinwirken, ist deshalb auch Gründungsmitglied der dortigen Stadtteilkonferenz. Verschiedene Projekte der Bleiberger Fabrik laden Kinder und Jugendliche auch dazu ein, den Stadtteil besser kennen zu lernen und mitzuprägen. Ein Beispiel ist das Projekt „Augen auf im Westparkviertel“, bei dem Kinder gemeinsam mit Architekten den Stadtteil erkundeten. „Dabei haben die Kinder herausgefunden, dass früher einmal ein Bach durch das Viertel verlief, der heute nur noch unterirdisch fließt. Es kam dann die Frage auf, warum wir den nicht wieder offenlegen sollten“, beschreibt Axel Jansen das Interesse der Kinder und Jugendlichen.
Allen, die ein ähnliches Projekt wie WORLD:LAB realisieren möchten, rät er: „Seid offen für neue Formen der Kooperation, denn wir in der Kulturellen Bildung drehen uns manchmal ein bisschen um uns selbst. Und habt den Mut, euch auch mal an neue Fördertöpfe zu wagen.“
Der Beitrag ist erstveröffentlicht in: Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung e. V. (2022): Nachhaltigkeit – schaffen wir das, erschaffen wir was?, kubi – Magazin für Kulturelle Bildung. No. 22-2022. Berlin. S. 18 – 21.