Das Modell TaschengeldPlus: Damit ein Freiwilligendienst für alle möglich ist
TaschengeldPlus im FJ Beteiligung, Demokratie & Dialog e. V., Berlin
TaschengeldPlus im FJ Beteiligung, Demokratie & Dialog e. V., Berlin
270 Euro zum Taschengeld dazu: Das ist das TaschengeldPlus. „Für mich war das TaschengeldPlus die einzige Möglichkeit, einen Freiwilligendienst zu leisten“, berichtet Marcel, Freiwilliger bei openPetition in Berlin. Dem jungen Aachener gefiel die Vorstellung, Großstadtluft zu schnuppern. Ein „cooles Match“ nennt Marcel sein Freiwilliges Jahr Beteiligung in der politischen Arbeit. Ermöglicht wurde es durch das Modellprojekt TaschengeldPlus, das der Freiwilligendienstträger Demokratie & Dialog e. V. für die Freiwilligen im FJ Beteiligung ins Leben gerufen hat.
Marcel ist im Jahrgang 2022/2023 einer von drei Freiwilligen, die vom TaschengeldPlus profitieren. Im Jahrgang 2023/2024 bieten sieben Einsatzstellen TaschengeldPlus an. Das Konzept leuchtet ein: Jede*r im Freiwilligendienst bekommt monatlich ein Taschengeld, das je nach Bundesland meist zwischen 300 und 400 Euro beträgt. Die gesetzlich vorgeschriebene Höchstgrenze liegt bei 438 Euro. „Ein Freiwilligendienst ist kein Job, sondern ein Ehrenamt“, betont Fabian Wolf, Geschäftsführer beim Träger Demokratie & Dialog e. V., „doch es müssen Rahmenbedingungen gegeben sein, die dieses Engagement möglichst vielen interessierten Menschen ermöglichen.“ Das reguläre Taschengeld wird für die Freiwilligen schnell knapp, sollte finanzielle Unterstützung vom Elternhaus fehlen und ein Umzug und Miete bezahlt werden müssen. Hier setzt das TaschengeldPlus an: Die Einsatzstelle erklärt sich dazu bereit, den Freiwilligen zusätzlich zu ihrem Taschengeld ein Plus von 270 Euro zu zahlen, um sie finanziell zu entlasten. Aktuell bieten sieben Einsatzstellen im FJ Beteiligung einen oder mehrere solcher Plätze an, darunter Organisationen wie openPetition oder OpenKnowledgeFoundation.
Für mich war das TaschengeldPlus die einzige Möglichkeit, einen Freiwilligendienst zu leisten.
Marcel, Freiwilliger im FJ Beteiligung 2022/2023
„Studien zu Freiwillligendiensten zeigen, dass Freiwillige meist aus sozioökonomisch ressourcenstarken Haushalten kommen“, sagt Fabian Wolf, „es gibt sehr viele Menschen, für die der Freiwilligendienst gar keine Option ist, weil sie ihn sich nicht leisten können.“ Mit dem TaschengeldPlus soll der Freiwilligendienst zugänglicher gestaltet und eine möglichst große Zielgruppe angesprochen werden. Die zusätzliche Förderung ermöglicht es Freiwilligen wie Marcel, eigene Wege jenseits des Elternhauses zu gehen und gleichzeitig am gesellschaftlichen Leben teilhaben zu können. „Ich konnte über das Jahr gut leben“, berichtet Marcel, „ohne mir ständig Gedanken darüber zu machen, ob ich mir den Kinobesuch oder den nächsten Einkauf leisten kann. Das wäre ein Stress gewesen, den ich kein Jahr hätte aushalten können oder wollen.“
Marcel ist bei openPetition vor allem in den Bereichen Öffentlichkeits- und Kampagnenarbeit sowie Public Affairs tätig. Er berät Petent*innen bei Fragen, verfasst Newsletter und tauscht sich mit verschiedenen Petitionsausschüssen aus. Als „willkommene Abwechslung zum Arbeitsalltag“ bezeichnet Marcel die Bildungstage, an denen alle Freiwilligen teilnehmen. In den Seminaren des FJ Beteiligung wurden meist politische Themen wie Diskriminierung und Privilegien, Partizipation und Geschlechtergerechtigkeit behandelt. „Darüber hinaus haben wir aber auch viele Möglichkeiten zum Austausch und zur Reflexion untereinander bekommen“, ergänzt Marcel, „was definitiv dazu beigetragen hat, dass wir uns alle super gut verstanden haben.“
Die tatsächliche Bewerbung für das TaschengeldPlus soll möglichst zugänglich und unkompliziert verlaufen. Bescheinigungen wie ein Wohngeldbescheid oder eine Bescheinigung der BAFöG-Höchstförderung werden für den Anspruch auf TaschengeldPlus akzeptiert. Doch nicht immer liegen diese Bescheide vor oder haben die Freiwilligen Zugriff auf sie. „Dann ist es eben auch möglich, ein formloses Schreiben zu verfassen, in dem glaubhaft geschildert wird, dass die eigene Situation jemanden dazu berechtigt, das TaschengeldPlus zu beziehen“, erklärt Daisy Vu, pädagogische Koordinatorin im FJ Beteiligung. Marcel erinnert den Bewerbungsprozess als „unglaublich unkompliziert“. In einem Gespräch zwischen ihm und dem Träger schilderte er seine Situation: „Ich war echt froh, dass sie mir diesen Vertrauensvorschuss gegeben und sich einfach auf mein Wort verlassen haben. Das war sehr wichtig, denn zu dem Zeitpunkt hätte ich keine Bescheinigungen oder ähnliches aus meinem Elternhaus bekommen.“
Ich war vor einem Jahr unglaublich unsicher, was ich machen will. Und jetzt stehe ich hier am Ende meines FSJ und ich habe tatsächlich einen Plan, wie es weitergeht.
Marcel, Freiwilliger im FJ Beteiligung 2022/2023
Aktuell, so berichten Daisy Vu und Fabian Wolf, machen nur wenige junge Menschen davon Gebrauch, sich auf einen TaschengeldPlus-Platz zu bewerben. Der Bedarf ist aber da, sind sich beide sicher. Allein, dass es möglich ist, derlei Plätze in Anspruch zu nehmen, ist noch wenig bekannt oder üblich. Auf jeden Fall braucht es mehr Einsatzstellen, die am TaschengeldPlus-Programm teilnehmen: Seit Anlaufen des Programms im vergangenen Jahr haben sich schon mehr Einsatzstellen angeschlossen, doch da das zusätzliche „Plus“ ausschließlich durch die Einsatzstellen selbst gezahlt wird, fehlen im Einsatzstellenangebot weiterhin Institutionen, die mit ihrem Budget einen TaschengeldPlus-Platz anbieten können. Die Initiator*innen des noch sehr jungen Programms setzen auf Öffentlichkeits- und Netzwerkarbeit, vor allem aber auch auf Zeit: „Ehrlicherweise fände ich es gut, wenn es zukünftig ein staatliches Programm gäbe, das das, was wir im Kleinen machen – mehr Menschen für den Freiwilligendienst zu erreichen – im Großen macht und sagt: ‚Wir wollen die Zielgruppe erweitern und dafür sind wir bereit, eine Förderung aufzulegen.‘“, so Fabian Wolf.
Auch Marcel wünscht sich eine breitere Bekanntheit des TaschengeldPlus-Modells: „Wenn ich mir überlege, wie viele Möglichkeiten man anderen geben könnte, die ebenfalls nicht den entsprechenden finanziellen Background haben, in eine andere Stadt zu ziehen und einen Freiwilligendienst zu machen, dann ist das doch sehr schade, dass nur so wenige vom TaschengeldPlus wissen.“ Marcel bleibt nach seinem Freiwilligendienst sogar weiterhin bei openPetition tätig. Für seine nun frei werdende Stelle als Freiwilliger stehen bereits zwei Nachfolgerinnen fest, beide jedoch ohne den Anspruch auf TaschengeldPlus. Das sei auch in Ordnung, so Marcel, dennoch bleibt die Bemühung groß, explizit Freiwillige unterstützen zu wollen, die einen TaschengeldPlus-Platz benötigen.
Ob Marcel Tipps für zukünftige Bewerber*innen hat? „Man sollte es probieren, egal wie gruselig das am Anfang aussieht. Das Jahr hat mir unglaublich viel gegeben. Ich war vor einem Jahr unglaublich unsicher, was ich machen will. Und jetzt stehe ich hier am Ende meines FSJ und ich habe tatsächlich einen Plan, wie es weitergeht: Ich möchte Politikwissenschaften studieren.“
Text: Johanna Brodmann
Das FJ Beteiligung ist ein Angebot im Rahmen der Freiwilligendienste Kultur und Bildung der Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung (BKJ). Freiwillige engagieren sich im FJ BEteiligung in und um Berlin in den Bereichen Partizipation, Bildung und Demokratie, machen ihren Freiwilligendienst in Schulen, gemeinnützigen Organisationen und politischen Einrichtungen. Träger des FJ Beteiligung ist der Demokratie & Dialog e. V.
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