Skip to main content
home
chevron_right
Magazin
chevron_right
„Da bin ich dabei!“ Was brauchen junge Erwachsene, um sich zu beteiligen?
Interview

„Da bin ich dabei!“ Was brauchen junge Erwachsene, um sich zu beteiligen?

Im Gespräch mit Olivia Peter, Frida Fiona Peter, Florian Hecht, Estera Sara Stan

veröffentlicht:

Wo und warum bringen sich junge Menschen ein, wo sehen sie Potenzial für Veränderung und wo wünschen sie sich mehr Raum für Mitbestimmung? Estera, Florian, Olivia und Frida engagieren sich in ihrer Freizeit für Kultur und bringen ihre Themen aktiv selbst voran.

Bild (v.l.n.r.): Jana Kießer, Fabian Raabe, privat

Warum beteiligt ihr euch?

Estera Sara Stan: Als ich nach Deutschland kam, wusste ich nicht viel über mich selbst. Und dann habe ich angefangen in einem Kinder- und Jugendzentrum Theater zu spielen. Wir haben etwas auf der Bühne erzählt, was nicht so oft erzählt wird, und zwar die Geschichte der Roma und Sinti. Ich habe dann auch in den Projekten mitgemacht. Motiviert haben mich Roma und Sinti, die den zweiten Weltkrieg überlebt haben, auch Aktivist*innen und Menschen, die etwas erreicht haben.

Florian Hecht: Ich dachte mir, ich möchte etwas anpacken. Und dann habe ich mit dem FEZ gesprochen, mir Verbündete gesucht und nach und nach sind unsere Anliegen in diesem großen Haus durchgekommen. Mir ist aufgefallen, dass man sich als Jugendlicher immer erstmal durch diese adultistische Welt kämpfen muss. Wichtig ist, sich mit anderen Jugendlichen auszutauschen und etwas zu verändern, weil sonst macht das irgendwie keiner.

Olivia Peter: Als ich jünger war, war der Hauptgrund, dass die Freunde mitmachen. Da war das Thema egal. Später, als ich politischer wurde, habe ich eher geschaut, ob mich das Thema interessiert, z. B. Feminismus.

Welches Projekt oder welches Format war für euch ein Highlight?

Olivia Peter: Frida und ich haben einen Workshop über Feminismus gegeben. Es ist wirklich ein tolles Gefühl, wenn du bei den Kindern siehst, dass sie mitdenken und verstehen. Und vor allem beim Thema Feminismus, welches umstritten ist, von der Definition bis zur Auslebung. Wie es dann bei den jungen Mädchen, von sechs bis zehn, gerattert hat, sie sich gefreut haben und immer mehr wissen wollten – das war eines meiner Highlights.

Estera Sara Stan: Als Trainerin gegen Antiziganismus gehe ich in Schulen oder Jugendclubs und gebe Workshops zum Thema. Letztens bei einer Jugendveranstaltung in Görlitz sind so viele zu uns gekommen und haben Danke gesagt, weil es ein echt tolles Thema ist und sie davon nichts wussten.

Florian Hecht: Für mich ist ein großes Highlight gewesen, dass wir es geschafft haben, in einem so großen Veranstaltungshaus wie dem FEZ Berlin reinzukommen und etwas aufzubauen. Wenn man sieht, dass man angenommen wird, dann ist das natürlich eine sehr große Erfüllung. Und natürlich die Presseresonanz. Daran sehen wir auch, dass wir gehört werden.

Was hattet ihr für Forderungen?

Florian Hecht: Das FEZ ist sehr bekannt, v. a. für seine Angebote für Kinder. Wir wollten aber mehr Beteiligungsarbeit, insbesondere mehr Angebote für Jugendliche. Außerdem war unsere Forderung, ein großes Treffen aller Beteiligungsgruppen zu schaffen, denn es gibt sehr viele kleine Beteiligungsgruppen in Berlin, welche im Prinzip nur für sich selbst kämpfen, statt sich gemeinsam stärker zu machen. Ein anderes Beispiel ist das „Augenblick mal! Festival“ − eigentlich ein Festival für junges Publikum. Wir haben bemerkt, die Stücke werden nur von erwachsenen Kurator*innen ausgesucht, aber die Stücke sollen ja das widerspiegeln, was Kinder und Jugendliche interessiert und was sie auch wollen. Wir haben also gefordert, mehr die jungen Perspektiven ins Festival reinzuholen.

Was ist bei diesen Projekten richtig gelaufen? Welche Rahmenbedingungen haben dafür gesorgt, dass ihr da gerne mitgemacht habt?

Frida Peter: Für mich ist wichtig, dass man ein gutes Ziel hat und es alles nicht so chaotisch abläuft, dass man sich auch in der Gruppe wohlfühlen kann. Und dass es eine Gruppe ist, die andere nicht ausgrenzt.

Olivia Peter: Was für mich eine wichtige Rahmenbedingung ist, dass man als erstes Leute hat, auf die man sich verlassen kann und die das gut organisieren und eine Stütze sind.

Estera Sara Stan: Also ich finde Kommunikation sehr wichtig, wenn man eine Gruppe gebildet hat und festlegt, wer etwas sagt oder wer anfängt und das Schlusswort bildet. Und alles auch so zu erklären, dass es verständlich rüberkommt.

Florian Hecht: Man muss merken, wenn man mit Erwachsenen zusammenarbeitet oder generell auch der Impuls von ihnen kommt, dass diese nicht versuchen wollen, die Führung zu übernehmen. Darum ist es wichtig, dass man Begleiter hat. Man merkt auch immer sehr schnell, wenn es nur eine Scheinbeteiligung ist und man eigentlich nur das „Beteiligungssiegel“ sein soll.

Was lässt sich verbessern?

Florian Hecht: Es ist generell sehr schwierig geworden, Jugendliche zu erreichen. Durch Vollzeitschule, durch Hobbies. In der Berliner Beteiligungsszene z. B. sind immer die gleichen Gesichter zu sehen. Und das ist ein Problem. Wir müssen versuchen, mehr Jugendliche durch direktes, gezieltes Ansprechen zu erreichen.

Olivia Peter: Mich hat bei politischen Themen oder Projekten immer abgeschreckt, wenn es dort schon eine voreingenommene Meinung gibt. Ich finde, es ist immer ganz wichtig, dass man wirklich unparteiisch ist und es keine festgelegte Richtung gibt, die dieses Projekt hat.

Florian Hecht: Was mich immer abschreckt, sind die Finanzierungsfragen. Für Jugendbeteiligungsprojekte ist es extrem schwer, auch mal etwas mehr zu bekommen. Wenn es um große Sachen geht, dann braucht man immer Träger, was schon eine Hürde ist. Und dann die Antragsformulare. Das ist alles komplex und kompliziert. Es müssten unbedingt auch Antragssysteme für Jugendliche geschaffen werden.

Was brauchen Jugendliche, um nicht nur teilzunehmen, sondern ein Projekt auch zu leiten?

Olivia Peter: Ein Projekt zu leiten, das war für mich schon ein komischer Schritt. Da denkt man sich: Okay, kann ich das? Was mich da motiviert hat, ist, dass ich bei einer Gruppe eingestiegen bin, mit der ich vorher als Teilnehmerin gearbeitet habe. Da konnte ich lernen, wie es ist, zu leiten. Und das ist, was auch viele Jugendliche brauchen: Sicherheit. Gewohnheit gibt immer Sicherheit und aus Sicherheit kann dann was gutes Neues werden. Finanzielle Sicherheit, Sicherheit im Ort, Sicherheit in der Gruppe, Sicherheit in der Planung.

Estera Sara Stan: Unterstützung ist auch sehr wichtig, dass man weiß, ich kann mich auf diese Personen verlassen. Viele brauchen zur Motivation erstmal ein Vorbild.

Was könnten noch Hürden sein, um an Projekten teilzunehmen?

Olivia Peter: Die Gruppengröße. Mir ist aufgefallen, dass man sich in Gruppen mit weniger Teilnehmer*innen intensiver auch mit den Einzelnen befassen kann. Sie laufen insgesamt besser als große Gruppen, wo immer viele untergehen.

Florian Hecht: Beteiligungsarbeit ist keine Massenarbeit, sondern es ist vielmehr diese kleinere Gruppenarbeit. In der großen Gruppe kann man sich zurückhalten. In kleineren Gruppen merkt man dann, dass Leute, die sich sonst nicht trauen mitzumachen, sich hervorheben und ihre Meinung einbringen. Wir müssen es auch schaffen, die Vielfalt in die Beteiligungsszene einzubinden und alle miteinander zu verbinden, also alle an den selben Tisch zu holen.

Estera Sara Stan: Es ist gut, das Gefühl zu haben, die eigene Meinung kann auch etwas bewirken. Ich wünsche mir immer für meine Projekte, dass da Platz ist für meine Probleme. Ich möchte als Jugendliche dort offen reden können und wenn ich ein Problem habe, brauche ich dort jemanden, mit dem ich darüber sprechen kann und der dafür auch Zeit hat. Wir müssen mehr Orte des Zuhörens schaffen.

Estera Sara Stan ist 19 Jahre alt. Sie ist in Rumänien geboren und Teil der Sinti- und Roma-Community. In der Gruppe „Wir sind hier aktiv“ der Selbstorganisation RomaTrial gibt sie als Peer-Trainerin Workshops in Schulen und Jugendclubs über die Geschichte der Sinti:zze und Rom:nja. Die Gruppe zeigt außerdem Forumtheater-Stücke, bei denen Estera und ihre Schwester dabei sind. Estera schreibt auch ihre eigenen Theaterstücke.

Florian Hecht ist 19 Jahre alt. Er hat gerade die Schule abgeschlossen. Im Kinder- und Jugendfreizeitzentrum FEZ Berlin organisiert er mit anderen zusammen verschiedene Veranstaltungen wie interaktive Live-Streams, das Jugendfestival „youthCON“ oder Projekttage für Schulklassen. Außerdem engagiert sich Florian als Vertreter für junge Perspektiven beim Kinder- und Jugendtheaterfestival „Augenblick mal!“.

Olivia und Frida Peter engagieren sich gemeinsam u. a. im „SISTERQUEENS“-Projekt in einem interkulturellen Frauenzentrum. Sie drücken ihre Meinung durch feministisch-politischen Rap aus und wurden dafür auch mit Preisen ausgezeichnet.

Das Interview wurde geführt von: Diana Valeeva, Freiwillige im FSJ Kultur bei Stiftung Jugend forscht, und Anja Schütze, BKJ, bei der Fachtagung „Kultur macht stark?! Potenziale der Kulturellen Bildung für eine selbstbestimmte Generation“ im Rahmen von „Künste öffnen Welten“ am 5./6. Juli 2022 in Berlin.

Das Interview ist eine Langfassung zum Beitrag „Bemerken. Beteiligen. Bewirken. Wie geht echte Partizipation? Diese Jugendlichen zeigen es.“ in kubi – Magazin für Kulturelle Bildung No. 23 „Beteiligung – ein Recht, in echt!“, S. 18–21.