Skip to main content
home
chevron_right
Magazin
chevron_right
Bildungslandschaften: Herausforderung und Chance für Kommunen
Interview

Bildungslandschaften: Herausforderung und Chance für Kommunen

Interview mit Markus Lindner, Deutsche Kinder- und Jugendstiftung

veröffentlicht:

Von der Idee bis zur Etablierung einer Bildungslandschaft ist es ein weiter Weg. Dabei spielen personelle und finanzielle Ressourcen ebenso eine große Rolle wie die Analyse der Ausgangssituation und das Formulieren von Handlungszielen.

Werden unterschiedliche Akteure eingebunden und öffnen sich die Kommunen einer ressortübergreifenden Zusammenarbeit, dann bieten sich viele Chancen, aber auch neue Herausforderungen für alle Beteiligten.

Markus Lindner ist Leiter der „Transferagentur für Großstädte“ bei der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung. Sie unterstützt Kommunen dabei, Gesamtstrategien für Bildung zu entwickeln und ressortübergreifende Strukturen aufzubauen, um Bildungs- und Chancengerechtigkeit zu verbessern.

Warum überhaupt Bildungslandschaften?

Das Ziel einer Bildungslandschaft ist es, allen Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen Zugang zu guter Bildung zu ermöglichen – unabhängig von Herkunft und sozialem Status. Im Zentrum der Arbeit einer Bildungslandschaft stehen daher die Bildungs- und Lebensbiografie der Menschen vor Ort sowie deren jeweilige Bedarfe und Bedürfnisse. Es gibt auf kommunaler bzw. regionaler Ebene viele Akteure, die sich dieser Aufgaben annehmen, die unterschiedliche Angebote und eine unglaubliche Vielfalt an Ideen und Konzepten mitbringen. Oft werden diese jedoch voneinander entkoppelt geplant und umgesetzt. Die Idee einer Bildungslandschaft ist es daher, durch systematische Koordinierung Akteure und Maßnahmen besser aufeinander abzustimmen. Ziel ist es, die tatsächlichen Bedarfe vor Ort zu erfassen, z. B. durch ein datenbasiertes Bildungsmanagement, und passgenaue Angebote zu entwickeln bzw. Zugänge zu diesen zu ermöglichen.

Wir haben ein Bildungssystem, das strukturelle Benachteiligung eher verfestigt als ihr entgegenwirkt. Eine Bildungslandschaft allein kann das nicht auflösen. Bestenfalls kann sie dazu beitragen, bestehende Ungleichheiten abzumildern bzw. mit diesen umzugehen.

Markus Lindner, Deutsche Kinder- und Jugendstiftung

Der Begriff Bildungslandschaft wurde entscheidend durch die Deutsche Kinder- und Jugendstiftung (DKJS) mitgeprägt. Was sind die Grundlagen für diesen Begriff und dieses Konzept?

Um es vorsichtig zu formulieren: Es gibt kein allgemein gültiges Konzept für die Bildungslandschaft. Der Begriff kann vieles umfassen – das ist gleichzeitig seine Stärke und Schwäche. Kommunale Ausgangslagen sind vielfältig, insofern können auch Bildungslandschaften in ihrer Umsetzung sehr unterschiedlich sein. In Anlehnung an die Definition der DKJS sind lokale Bildungslandschaften langfristige, professionell gestaltetet, auf gemeinsames, planvolles Handeln abzielende, kommunalpolitisch gewollte Netzwerke zum Thema Bildung. Klarer Bezugspunkt ist also ein definierter lokaler Raum. Im nächsten Schritt kommen Kooperation, Koordination und Steuerung ins Spiel. Das meint v. a. die Aktivitäten der Akteure stringent zu koordinieren, arbeitsfähige Strukturen und Prozesse zu etablieren und übergeordnete Ziele zu definieren. Um all das umzusetzen, ist es notwendig, personelle und finanzielle Ressourcen bereitzustellen. Mit Programmen wie „Lernen vor Ort“ oder „Bildung integriert“ wurde bzw. wird ganz bewusst versucht, Kommunen mit diesen Ressourcen dabei zu unterstützen, ein datenbasiertes Bildungsmanagement aufzubauen, um diese Kooperations-, Koordinations- und  Steuerungsaufgaben umsetzen zu können. Ein Bildungsmonitoring kann dabei eine wesentliche Grundlage sein, um möglichst bedarfsorientierte bildungspolitische Entscheidungen treffen zu können. Das Ganze braucht aber auch immer wieder eine Anbindung an die politische Ebene, um das Zusammenspiel aus Verwaltung, Akteuren der Zivilgesellschaft, Trägern der Kinder- und Jugendhilfe, Schulen usw. zusammenzuhalten bzw. zu legitimieren.

Wie hat sich dabei die Rolle der Kommune entwickelt?

Den Kommunen als Lebensorte der Bürgerinnen und Bürger kommt eine besondere Rolle zu. Und Bildung hat als kommunale Gestaltungsaufgabe in den letzten Jahren stetig an Bedeutung gewonnen, so wurden auch Kommunalverwaltungen wichtiger. Genau dort hat sich sehr viel getan, viele Kommunen wollen das Bildungsgeschehen vor Ort aktiv mitgestalten. Als wesentliche Standortfaktoren sind längst nicht mehr nur wirtschaftliche Aspekte bedeutsam, sondern u. a. auch gute Ausbildungs- und Bildungsmöglichkeiten, ein attraktives Kultur- und Freizeitangebot. Wenn Kommunen möchten, dass sich Familien und Fachkräfte wohlfühlen, ansiedeln und da bleiben, dann braucht es ein entsprechend breites Bildungs- und Betreuungsangebot vor Ort. Daher haben viele Kommunen Strukturen und Prozesse eines kommunalen Bildungsmanagements aufgebaut bzw. weiterentwickelt. Dabei geht es darum, diese Querschnittsaufgaben der Koordination und Kooperation – und zwar sowohl innerhalb der Verwaltung als auch mit anderen relevanten Akteuren – umzusetzen.

Wo liegen die größten Herausforderungen oder Hürden für die Kommunen?

Eine große Herausforderung ist, dass viele Kommunalverwaltungen strukturell nicht darauf ausgerichtet waren, bereichsübergreifend zu arbeiten. Aber genau darum geht es: Zuständigkeits- und Professionsgrenzen zu überwinden. Akteure mit unterschiedlichen Aufträgen, Zielen, Haltungen und Professionen für eine Zusammenarbeit zu gewinnen. Das war und ist ein großer Lernprozess für alle. Eine nachhaltige Kooperation aufzubauen und umzusetzen, ist eine sehr anspruchsvolle Aufgabe, denn sie fordert alle beteiligten Akteure auf, sich auf etwas einzulassen und gegebenenfalls von etwas Bestehendem loszulassen. Hier muss ein Bewusstsein dafür entstehen, dass permanente Aushandlungs- und Kommunikationsprozesse dazugehören. Das kann große Konfliktpotenziale beinhalten. Schließlich ist es eine große Herausforderung, die Anfangseuphorie dauerhaft aufrechtzuerhalten und die Arbeit kontinuierlich fortzusetzen. Denn eine Bildungslandschaft ist kein Projekt mit klar definiertem Anfang und Ende. Vielmehr geht es darum, eine Haltung zu entwickeln, die kommunales Bildungsmanagement als Daueraufgabe begreift – mit flexiblen Strukturen und neuen Arbeitsweisen, das auf dynamische Entwicklungen, neue Herausforderungen und sich verändernde Rahmenbedingungen angemessen reagieren kann.

Mit welchen personellen Ressourcen wird die Entwicklung einer Bildungslandschaft begleitet und wie herausfordernd ist das?

Abhängig von der Größe einer Kommune oder eines Landkreises braucht es Menschen, die sich um die Bildungslandschaft „kümmern“, also die organisatorischen, steuernden und koordinierenden Aufgaben übernehmen. Zudem braucht es auch fachliche Impulse und einen regelmäßigen Austausch mit anderen. All das ist häufig eine Herausforderung, da kommunale Ressourcen knapp sind und solche Aufgaben häufig „on top“ kommen. Unsere Erfahrung aus der Transferagentur für Großstädte zeigt jedoch, dass diese Aufgaben Kommunen immer wichtiger werden und man daher versucht, bestimmte Aufgaben auch in die Regelstrukturen zu überführen, Arbeitsweisen zu verändern oder neue Stellen zu schaffen. Dies ist ein langwieriger Prozess, weil auch immer sehr genau darauf geachtet wird, wie das Kosten–Nutzen-Verhältnis einzuschätzen ist.

Inwieweit haben sich in den Bildungslandschaften aus Ihrer Sicht die Versprechen für Bildungs- und Teilhabegerechtigkeit eingelöst?

Mit Bildungslandschaften sind sehr hohe normative Erwartungen verknüpft. Ob die sich einlösen lassen, ist wissenschaftlich noch nicht belegt. Die Idee der Bildungslandschaft und die entsprechende Haltung der Akteure können aber aus unserer Sicht einen wichtigen Beitrag zum Abbau von Bildungsungleichheit oder Benachteiligung leisten. Wir haben jedoch ein Bildungssystem, das strukturelle Benachteiligung teilweise eher verfestigt als ihr entgegenwirkt. Und eine Bildungslandschaft allein kann das nicht auflösen, d. h. kann keine strukturelle Benachteiligung abbauen. Bestenfalls kann sie dazu beitragen, bestehende Ungleichheiten abzumildern bzw. mit diesen umzugehen.

Was zeichnet aus Ihrer Sicht eine gute und funktionierende Bildungslandschaft aus?

Sie sollte sowohl nach außen als auch nach innen klar erkennbar sein und ein politisches Mandat haben. Es sollte klar sein, wofür die Bildungslandschaft steht, also welche Ziele die Bildungslandschaft verfolgt. Das findet sich häufig in Leitbildern oder strategischen Zielen, teilweise in einem gemeinsamen Prozess vieler Akteure entwickelt. Dies schafft eine hohe Identität und Verbindlichkeit. Entscheidend ist auch, dass die zentralen Akteure, z. B. die politische Spitze oder Schlüsselakteure der Zivilgesellschaft, hinter der Bildungslandschaft stehen und diese vorantreiben. Schließlich zeichnet eine gute und funktionierende Bildungslandschaft aus, dass alle Menschen vor Ort von ihr profitieren.

Das Interview ist erstveröffentlicht in der Arbeitshilfe „Bildungslandschaften. Perspektive Kinder- und Jugendarbeit“ der Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung (2019):

Dieser Text ist urheberrechtlich geschützt. Wenn Sie Interesse an einer Nutzung haben, melden Sie sich gerne unter redaktion@bkj.de.