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Bildungslandschaft jugendorientiert denken!
Interview

Bildungslandschaft jugendorientiert denken!

Interview mit Prof. Dr. Stephan Maykus

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Jugendarbeit bietet enorme Potenziale, dass Kinder und Jugendliche Partizipation erfahren und sich selbst positionieren. Prof. Dr. Stephan Maykus: Eine strukturelle Einbindung von Jugendarbeit in Bildungslandschaften auf mehreren Ebenen trägt dazu bei, dass jugendgerechtes Aufwachsen möglich wird.

Prof. Dr. Stephan Maykus, Studiendekan der Hochschule Osnabrück, lehrt in den Masterprogrammen „Soziale Arbeit: Lokale Gestaltung sozialer Teilhabe“ an der Hochschule Osnabrück sowie Bildungs- und Erziehungswissenschaft an der Universität Hamburg. Aktuelle Forschungsfelder sind die…

Jugendarbeit und Bildungslandschaften: Wie geht das zusammen?

Wenn wir Bildungslandschaften als Räume unterschiedlicher Bildungspartner und Institutionen denken, bereichert Jugendarbeit mit ihren Angeboten das jugendorientierte Lernen und Aufwachsen junger Menschen. Bildung in und durch Jugendarbeit zielt auf ein breites Verständnis kognitiven, sozialen, künstlerischen Lernens in vielfältigen Situationen, unterschiedlichen Gruppen und an den Interessen der Jugendlichen orientiert. Eine solche lebensweltliche Bildung ist besonders wichtig, damit sich Bildungslandschaften den Kernherausforderungen des Jugendalters – wie es auch der 15. Kinder- und Jugendbericht formuliert – stellen. Stichworte: Qualifizierung in Schule und Ausbildung, Verselbstständigung und Selbstpositionierung. Dazu braucht es Gelegenheiten, Räume und Begegnungen. Wenn wir Bildungslandschaften ohne Jugendarbeit denken und umsetzen, reduzieren wir Netzwerke einseitig auf Bildungsprozesse, v. a. der Schule. Erfahrungen in Vereinen, Verbänden, Jugendhäusern, Jugendaktionen und Initiativen, der Kulturellen Bildung sowie in den ganztägigen Angeboten sollten aber eine konzeptionelle Einheit bilden. Jugendarbeit und Bildungslandschaften gehen dann zusammen, wenn die Eigenarten und Vorzüge der Jugendarbeit anerkannt werden und – umgekehrt – sie ihre Potenziale in andere Bildungsgelegenheiten einbringen.

Jugendarbeit und Bildungslandschaften gehen dann zusammen, wenn die Eigenarten und Vorzüge der Jugendarbeit anerkannt werden und – umgekehrt – sie ihre Potenziale in andere Bildungsgelegenheiten einbringen.

Prof. Dr. Stephan Maykus

Was kann Jugendarbeit in Bildungslandschaften einbringen?

Offene und verbandliche Jugendarbeit steht für themenbezogene, selbst organisierte, partizipative und an den Eigeninteressen anknüpfende Lebensbildung junger Menschen. In den Jugendhäusern, Häusern der offenen Tür oder Jugendzentren liegt ein Schwerpunkt auf den freier gestaltbaren Räumen und Angeboten, in Vereinen kommt die Erfahrung der Mitgliedschaft, des Ehrenamtes und der möglichen eigenen Anleitung von Jugendgruppen hinzu, z. B. als Übungsleiter in einem Jugendverein des Sports. Das ist „Gesellschaftsbildung im Kleinen“: Ideen entwerfen, Interessen austauschen, sich in Gruppen beraten und abstimmen, Regeln eingehen und durchsetzen, mit Aktionen öffentlich werden und somit auch eine politische, Interessen vertretende Position einnehmen, mit Wirkung auf die Lebensführung, das Engagement, Solidarität und Offenheit im eigenen Persönlichkeits- und Lebensentwurf. Bildungslandschaften untermauern ihr weites Bildungsverständnis, wenn sie Jugendarbeit als tragende Säule des Netzwerkes vor Ort ansehen. Entsprechend gilt für Bildungslandschaften: Über Schulen hinausdenken, Bildung weit verstehen und als Lebensbildung junger Menschen in den Kommunen denken, lokale Akteure, Institutionen und Partner einbeziehen und den Maßstab an der Lebensphase Jugend ausrichten.

Unter welchen Bedingungen würden Sie eine größere Beteiligung der freien und öffentlichen Träger der Jugendarbeit an Bildungslandschaften empfehlen, wann würden Sie abraten?

Nicht immer wird Jugendarbeit sofort mitgedacht, manchmal muss sie sich in die kommunalen Strukturen der Bildungssteuerung „reinkämpfen“, wird dann aber oft anerkannt und als wichtiger Partner erfahren. Stößt Jugendarbeit aber nicht auf diese Bereitschaft sie einzubeziehen oder sogar auf offene Ablehnung, sollte sie Abstand nehmen. Nicht um jeden Preis kann sie Teil einer Bildungslandschaft werden, z. B. dann, wenn die gemeinsame kommunale Steuerung und Planung von Bildung, Schule und Jugendhilfe fehlen.

Kinder und Jugendliche ins Zentrum: Sind Bildungslandschaften Ihrer Ansicht nach jugendgerecht?

Leider sind Bildungslandschaften überwiegend Expertennetzwerke. Und: Der Begriff „jugendgerecht“ ist meiner Ansicht nach falsch, kommen doch im Zweifelsfall Perspektiven der Fachkräfte oder Auftraggeber vor den Stimmen der Jugendlichen. Sie sollen also den Jugendlichen angemessen, ihrer Situation gerecht werdend vermittelt werden. „Jugendorientiert“ trifft es eher: Die Themen, Interessen und Aktivitäten der Jugendlichen werden wahrgenommen, gespiegelt und ihnen Resonanz verliehen, beraten und entschieden, sie werden öffentlich sichtbar und Teil des Zusammenlebens der Jugendlichen und Erwachsenen. Jugendorientiert ist konsequenter, lebensweltorientiert und mit dem Aufbau von Gelegenheiten verbunden, in denen die Themen der Jugendlichen geäußert werden können und Eingang finden.

Bildungslandschaften untermauern ihr weites Bildungsverständnis, wenn sie Jugendarbeit als tragende Säule des Netzwerkes vor Ort ansehen.

Prof. Dr. Stephan Maykus

Leisten Bildungslandschaften einer Institutionalisierung und Pädagogisierung von Kindheit und Jugend Vorschub?

Das kann passieren, wenn sich Bildungslandschaften als einengende Kette von Angeboten verstehen, die junge Menschen entlang eines normativ gedachten Verständnisses „guter Entwicklung“ lückenlos fördern will. Bildungsnetzwerke sollten aber die vielfältigen Bildungswege und -entscheidungen fördern, zulassen und nicht insgeheim abwerten. Statt von dem ebenso einengenden Begriff der „Pädagogisierung“ möchte ich von einer „Rückgewinnung des Pädagogischen“ in Bildungslandschaften sprechen. Das bedeutet, dass Bildungslandschaften mit einem breiten Bildungsverständnis, einer lebensweltbezogenen Jugendorientierung und Partizipation einhergehen müssen. Das zielt auf eine öffentliche Auseinandersetzung über die Pädagogik des Sozialen in Stadtteilen. Und es steht für einen sehr konkreten, fachlich fundiert begründeten Weg der Vernetzung in Kommunen. Bildungslandschaften, die das beherzigen, laufen damit weniger Gefahr, den Regeln eines sehr technokratisch geratenen Projektmanagements zu unterliegen. Dann steht die Organisation des Netzwerkes schon für einen Erfolg, der noch gar nicht im Hinblick auf Bildungsziele, pädagogische Konzepte und Vorstellungen von Kindheit und Jugend hin von allen Beteiligten erörtert wurde.

Die lebensweltorientierte Pädagogik der Partizipation und Demokratiebildung bietet Bildungslandschaften einen Kern des Vorgehens, eine Zielmarke für die Vernetzung und weist der Jugendarbeit dabei einen erkennbaren Stellenwert zu. Hier ist Bildungs- und Jugendpolitik gefragt, förderliche Entscheidungen zu treffen. Selbst eine gelungene, strukturell intensivierte, mit einem klaren Konzept unterstützte Vernetzung bleibt unzuverlässig, wenn nicht auch die Beziehungen zwischen Schul- und Jugendhilfesystem reformiert werden.

Das Interview ist erstveröffentlicht in der Arbeitshilfe „Bildungslandschaften. Perspektive Kinder- und Jugendarbeit“ der Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung (2019):

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