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„Beteiligung ist nichts, was man nebenbei macht“
Interview

„Beteiligung ist nichts, was man nebenbei macht“

kubi im Gespräch mit Tamino Knetsch, LKJ Thüringen, und Katharina Bluhm, Bildungsstätte Schabernack und LAG Medien MV

veröffentlicht:

Beteiligung ist mehr als das reine Abfragen von Feedback. Um die Stimmen von Kindern und Jugendlichen in kulturelle und politische Diskurse aufzunehmen und in Entscheidungen einzubeziehen, braucht es bei allen Beteiligten vor allem Mut, Zeit – und einen Perspektivwechsel.

Tamino Knetsch studierte Soziologie mit Schwerpunkt Nachhaltigkeit und gesellschaftliche Transformation in Jena. Neben der Ausbildung von Ersthelfer*innen, organisiert er freiberuflich Events, u. a. im Thüringer Klima-Pavillon. Er ist Feuerkünstler und Jugendkoordinator in der…

Katharina Bluhm ist ehrenamtliche Vorsitzende der Landesarbeitsgemeinschaft Medien Mecklenburg-Vorpommern e. V. und Referentin in der Bildungsstätte Schabernack e. V.

Was begeistert junge Menschen für Beteiligung?

Tamino Knetsch: Junge Menschen begeistert, wenn sie gefragt und gehört werden und selbst in die Diskussion einsteigen können. Grundlegende Prämisse dafür ist, dass es einen Raum gibt, in dem sie wahrgenommen und anerkannt werden. Wenn dann im Diskurs Ergebnisse herauskommen und diese im besten Fall umgesetzt werden, können Kinder und Jugendliche Selbstwirksamkeitserfahrungen sammeln. Es zeigt sich ihnen, dass sie etwas bewegen können, dass ihre Meinung zählt. Ihr Handeln hat nicht nur Auswirkungen auf sie selbst, sondern auch auf ihr Umfeld. Mit diesen besten Erfahrungen engagieren sich Jugendliche häufig auch in ihrem weiteren Leben.

Demokratie ist kein einfacher Prozess, der kann sehr, sehr langwierig sein.

Tamino Knetsch

Katharina Bluhm: Alles selbst machen zu können, das begeistert. Ich kann als Jugendliche*r selbst organisieren und kriege die Hilfe dabei, aber es sagt mir niemand, wie ich etwas machen muss oder macht es für mich. Wenn es gelingt, der eigenen Stimme Gehör zu verschaffen und es dann auch tatsächlich Punkte in die Stadt-, Landes-, oder Kommunalpolitik, in den größeren gesellschaftlichen Raum schaffen können, dann kann es auch gelingen, dass Jugendliche Selbstwirksamkeit erfahren. Und positive Erfahrungen führen zu weiteren positiven Erfahrungen.

Muss Beteiligung „gelernt“ sein?

Katharina Bluhm: Kinder und Jugendliche müssen Beteiligung zwar lernen, da sie diese häufig aus ihrem Lebensumfeld nicht kennen, doch muss ihnen Beteiligung nicht im besten Sinne beigebracht werden. Wir müssen sie eher zur Beteiligung ermutigen – sie nach ihrer Meinung fragen, ihre Ideen anhören und diese ernsthaft mit in die Diskussion und den Aushandlungsprozess nehmen. Beibringen müssen wir Beteiligung eher uns Erwachsenen: die Macht abzugeben, loszulassen, Prozessen zu vertrauen, nicht das Ergebnis schon vorneweg zu denken. Meist entscheiden am Ende doch Erwachsene, was umgesetzt wird.

Tamino Knetsch: Für ihre eigenen Belange sind Kinder und Jugendlichen die Expert*innen, das sollten Erwachsene anerkennen. Manchmal brauchen junge Menschen ein bisschen mehr Motivation, ihre Meinung zu äußern. Je nach Themenkomplex braucht es dann einen Safe Space, in dem Kinder und Jugendliche sich wohlfühlen und keiner Form von Diskriminierung oder Ähnlichem ausgesetzt sind. Demokratie ist kein einfacher Prozess, der kann sehr, sehr langwierig sein. Man muss sich mit vielen Meinungen auseinandersetzen, was auch sehr anstrengend sein kann. Hier eine Grenze zu ziehen, wenn die Diskussion beginnt, nicht mehr auf der demokratischen Grundordnung zu stehen, dafür braucht es Erfahrung.

Was wären Beispiele für gelungene Beteiligungsformate in der (kulturellen) Jugendarbeit?

Tamino Knetsch: Dazu zähle ich insbesondere Jugendgremien und Jugendparlamente bzw. -kongresse sowie Kreisschülersprecher*innen. Gerade Gremien sind im Sinne der Netzwerkarbeit extrem bedeutend für Jugendliche, um an Politik und Gesellschaft teilzuhaben. Ein gelungenes Beispiel ist auch der Jugendrat, wie wir ihn in der Kultureinrichtung im Schloss Friedenstein in Gotha eingerichtet haben. Jugendliche begleiten dort die Ausstellungen mit, geben Inputs zu deren Verbesserung und organisieren Veranstaltungen mit.

Katharina Bluhm: Kinder und Jugendliche können an den Strukturen der eigenen Organisationen, in den Gremien und Vorständen der Kultur- und Medienvereine beteiligt werden. Auch in die Konzeption von Projekten, etwa bei einer Produktion eines Films oder eines Theaterstücks, können sie involviert sein: bei der Auswahl des Themas und des Genres, in Dramaturgie und Regie – selbstverständlich in vorgegebenem Rahmen. Erwachsene müssen dabei aber Macht abgeben und sich von ihren Ansprüchen, dass am Ende eines Projekts ein Hochglanzprodukt steht, lösen. Das braucht als Erwachsene*r Übung. Beteiligung ist nichts, was man nebenbei macht.

Welche Potenziale haben Kulturelle Bildung bzw. Medienbildung für Beteiligung?

Katharina Bluhm: Zum einen können Kinder und Jugendliche sich durch künstlerische Mittel und Methoden ausdrücken, sich zum Beispiel in einem Text, einem Film, einer Fotocollage oder in einer Aufführung mit einem Thema, das sie bewegt, auseinandersetzen. Sie können ihre Gedanken und Ideen auf andere Weise sichtbar machen. Kinder und Jugendliche machen sich dadurch bewusst, was ihnen wirklich wichtig ist. Auf der anderen Seite steht das schon erwähnte Potenzial der kulturellen Bildungs- und Medienbildungsprojekte, von Anfang bis Ende an der Umsetzung beteiligt zu sein, und dass Kinder und Jugendliche ihre Themen nach außen tragen können – als Verbindung zum Gesellschaftlichen.

Immer sind es Erwachsene, die die Macht abgeben müssen.

Katharina Bluhm

Tamino Knetsch:  Kulturelle Bilder oder konkret Medienbildung kann Kinder und Jugendliche auf einer sehr niedrigschwelligen Ebene erreichen und zur Teilnahme motivieren. Die Herausforderung liegt bei den Erwachsenen, die Jugendlichen mediengerecht zu erreichen. Es bringt nichts, Veranstaltungen auf Facebook zu posten, wenn die Jugendlichen aber nur noch Snapchat nutzen. Auf der anderen Seite fließen durch die globale Vernetzung neue Perspektiven aus anderen Regionen der Welt in die Meinungsbildung ein. Hierzu gehört, zur kritischen Reflexion der Medieninhalte und ihrer Quellen beizutragen.

Wie schätzen Sie die Bedeutung von Jugendbeteiligung auf Landesebene in Ihrem Bundesland ein?

Tamino Knetsch: In Thüringen gibt es seit 2019 die Landesstrategie Mitbestimmung zur gesetzlichen Verankerung von Jugendrechten sowie den Jugendcheck, bei dem Gesetze auf die Jugendverträglichkeit abgeklopft werden. Auch auf kommunaler Ebene, wie in Nordhausen oder Sömmerda, werden diesbezüglich erste Modellversuche durchgeführt, wodurch Thüringen eine Vorreiterrolle einnimmt, da es das erste Bundesland mit einem Jugendcheck ist. Hinzu kommt in Thüringen die Kommunalordnung, durch die Kommunen verpflichtet sind, Jugendinteressen zu berücksichtigen und Jugendliche zu beteiligen.

Katharina Bluhm: In Mecklenburg-Vorpommern haben wir seit über 20 Jahren das Beteiligungsnetzwerk MV. Beteiligungsmoderator*innen beraten Kommunen und Einrichtungen und moderieren Prozesse der Kinder- und Jugendbeteiligung. MV hat auf Landesebene außerdem die Enquête-Kommission „Jung sein in MV“ in dieser Legislaturperiode eingerichtet, in deren Prozess Kinder und Jugendliche beteiligt werden sollen. In MV ist Jugendbeteiligung noch nicht in der Kommunalverfassung verankert, das soll sich laut Koalitionsvertrag nun aber ändern.

Der Beitrag ist erstveröffentlicht in: Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung e. V. (2022): Beteiligung – ein Recht, in echt!, kubi – Magazin für Kulturelle Bildung. No. 23-2022. Berlin. S. 56-59.

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