Beteiligung eine Bühne geben − Gerechtigkeit darstellbar machen
Im Gespräch mit Joanna Mandalian, Theaterpädagogin, Berlin
Im Gespräch mit Joanna Mandalian, Theaterpädagogin, Berlin
Joanna Mandalian arbeitete von April 2019 bis August 2021 am GRIPS Theater und war an der Leitung und Konzeption der Projekte „Fair Play – Kunst für mehr Gerechtigkeit“ und „Art in Action“ beteiligt. In ihrer Arbeit interessiert sie sich neben der künstlerisch-politischen Bildungsarbeit v….
Die Idee zu „Fair Play“ ist entstanden, weil wir ein offenes Format für Jugendliche zum Thema Gerechtigkeit anbieten wollten. Uns ist wichtig, dass Jugendliche gehört werden und sich auch untereinander bestärken können, was durch die Umbrüche der Corona-Zeit dringender denn je ist. Das GRIPS hat eine lange Tradition als emanzipatorisches Kinder- und Jugendtheater und möchte direkt und ganz lebensnah an den Themen der Kinder und Jugendlichen arbeiten.
Jugendliche haben ein klares Gerechtigkeitsgespür für die Dinge, die sie konkret angehen. So ist es gerecht, wenn der eigene Standpunkt respektvoll gehört wird und Gefühle nicht wegdiskutiert werden.
Joanna Mandalian
Das Thema Gerechtigkeit lag in der Konzeptionsphase des Projekts auf der Hand und lehnt sich dabei auch an die Ziele für nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen an, v. a. an SDG 5 „Geschlechtergleichheit“, SDG 10 „Weniger Ungleichheiten“ und SDG 16 „Frieden, Gerechtigkeit und starke Institutionen“. Wir lassen die Teilnehmer*innen selbst wählen, welche Themen sie behandeln möchten – das sind u. a. ein bewusster Umgang mit Privilegien, Armut und Reichtum, Zivilcourage im Alltag, Geschlechter- und Bildungsgerechtigkeit. Aber auch ungerechte Ressourcenverteilung oder Klimagerechtigkeit sind Themen, die großes Interesse erzeugen.
Wir gehen mit dieser Frage nach Gerechtigkeit in jede Veranstaltung und lassen die Antwort darauf individuell offen. Die Jugendlichen haben ein klares Gerechtigkeitsgespür für die Dinge, die sie konkret angehen. So ist es gerecht, wenn der eigene Standpunkt respektvoll gehört wird und Gefühle nicht wegdiskutiert werden. Die Gerechtigkeitsthemen stehen aber immer auch in einem global-politischen Kontext. Zum Beispiel ging es beim Thema Bildungsgerechtigkeit einerseits um die diskriminierenden Erfahrungen, die Einige selbst erleben mussten. Andererseits haben wir dabei immer den Bezug zu gesellschaftlichen Strukturen hergestellt: Wer profitiert etwa davon, bestimmte Menschen von akademischer Bildung auszuschließen?
Bei „Fair Play“ hatten wir ein festes Team mit drei Workshopleiter*innen, die die Themen mit den Jugendlichen in Rap-Workshops, theaterpädagogischen Performances oder Stop Motion Videos übersetzt haben. Dazu gab es auch Gastworkshops von jugendlichen Personen selbst, z. B. zu Fotografie, Gesang oder Poetry Slam. Vor und nach den künstlerischen Workshops haben wir uns interaktiv über spielerische Methoden an das Thema herangearbeitet. Eine Jugendliche hat uns sogar im Workshop zu „Armut und Reichtum“ von unterwegs mit ihrer Handykamera einen Input zu Klassismus gegeben und dabei den anderen Jugendlichen aus eigener Erfahrung erklärt, was das konkret bedeutet.
Richtig, leider erleben es die Jugendlichen nicht immer, in ihrem Wissen auch ernst genommen zu werden. Bei „Fair Play“ war es uns deshalb wichtig, dass Jugendliche selbst Workshops geben, um zu betonen, dass sie schon eigene Mittel haben, die sie selber kennen und auch weitergeben können. Wir unterstützen lediglich dabei, geben mit unseren Ressourcen einen Rahmen für die Veranstaltungen und sobald dieser gestellt ist, kommen die Jugendlichen selbst ins Handeln. Diese Gast-Workshops wurden auch gut bezahlt, denn auch das ist Gerechtigkeit. Bei diesem Projekt haben wir aber gemerkt, dass wir als Erwachsene Workshops zu Themen anbieten, von denen die Jugendlichen selbst mindestens genauso viel Ahnung haben, wir also den Jugendlichen noch mehr Platz einräumen können.
Wir laden jetzt zu jeder Veranstaltung junge Aktivist*innen ein, die ihr Thema selbst vorstellen und zusätzlich Jugendliche, die eine künstlerische Ausdrucksform zur Bearbeitung des Themas mitbringen. „Fair Play“ war ein guter Rückzugsraum, um bei persönlichen Themen wahrgenommen zu werden und zu merken: „Wenn das ein Dauerzustand ist und ich mich nicht allein darüber aufrege, dann können wir gemeinsam vielleicht etwas bewegen.“ Das ist bei „Art in Action“ noch konkreter geworden. Junge Menschen bekommen eine direkte Anbindung zu Aktivist*innen und starten gemeinsame künstlerische Aktionen, die z. B. über Social Media Kampagnen noch mehr Außenwirkung entfalten können. Wir haben auch den Namen geändert: „Fair Play“ sollte die spielerisch-künstlerische Auseinandersetzung mit Gerechtigkeit widerspiegeln, aber wir haben erfahren, dass das Wort „fair“ eigentlich einen kolonialistischen Hintergrund hat. Das wollten wir im Folgeprojekt nicht reproduzieren.
Zu den Kooperationspartnern gehören u. a. der Bundesverband für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge (BumF), das Beratungs- und Betreuungszentrum für junge Flüchtlinge und Migrant*innen (BBZ) in Berlin und Jugendliche ohne Grenzen (JOG). Der direkte Kontakt zwischen Jugendlichen mit unterschiedlichen Perspektiven und Erfahrungen z. B. zu Migration und Flucht während der Veranstaltung verhilft allen Seiten, globale Zusammenhänge auch auf persönlicher Ebene zu verstehen. Das wiederum förderte in den Workshops eine Atmosphäre der Verbundenheit, die wir gern auf internationale Zusammenhänge übertragen würden.
Wir erleben dabei aber auch, dass sich die Teilnehmer*innen je nach Sozialisation in ihren Sprachen sehr unterschiedlich ausdrücken und wie wichtig es ist, dass der Zugang zum Angebot für alle Teilnehmer*innen auch bei sprachlichen Unterschieden möglich gemacht wird. Die Arbeit öffnet gleichzeitig auch die Perspektiven im Team und macht z. B. auf Hindernisse aufmerksam, mit denen ich als weiße, akademisch sozialisierte Theaterpädagogin bisher noch nicht in Kontakt gekommen war. Die Zusammenarbeit wird dabei also auch ganz stark durch die Perspektivenvielfalt meiner Kolleg*innen bereichert.
Wenn das ein Dauerzustand ist und ich mich nicht allein darüber aufrege, dann können wir gemeinsam vielleicht etwas bewegen.
Joanna Mandalian
Die Workshops fügen sich inhaltlich in die politische Lobbyarbeit vom GRIPS Theater ein, das sich z. B. für ein Bleiberecht für geflüchtete Jugendliche stark macht und dafür, dass Kinderrechte endlich ins Grundgesetz aufgenommen werden. Genauso beteiligt sich das GRIPS an den Aktionen von Fridays for Future und hat z. B. ein KlimaPowerPaket für Pädagog*innen veröffentlicht. Beteiligung und Austausch haben eine Schlüsselrolle in der theaterpädagogischen Arbeit des GRIPS. Es arbeitet auch immer eine am GRIPS Theater angestellte Person mit in den Workshop-Projekten, damit eine direkte Rückkopplung der wichtigsten Impulse an das Theater möglich ist.
Text: Franziska Sternsdorf
Der Beitrag ist erstveröffentlicht in: Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung e. V. (2022): Nachhaltigkeit – schaffen wir das, erschaffen wir was?, kubi – Magazin für Kulturelle Bildung. No. 22-2022. Berlin. S. 62 – 65.
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