Beteiligung braucht Selbstwirksamkeit
Im Gespräch mit Mechthild Eickhoff, Fonds Soziokultur
Im Gespräch mit Mechthild Eickhoff, Fonds Soziokultur
Mechthild Eickhoff ist Kulturpädagogin, Kulturwissenschaftlerin und Geschäftsführerin des Fonds Soziokultur. Zuvor leitete sie den Bundesverband der Jugendkunstschulen und kulturpädagogischen Einrichtungen (bjke) und verantwortete das Cluster Kulturelle Bildung bei der Stiftung Mercator.
Es gibt ja eine ganze Bandbreite: von zugucken, über was sagen können, mitmachen bis hin zu selber machen. Mich interessiert Partizipation oder Beteiligung aber vor allem als etwas, wo man selbst Entscheidungen treffen kann, die dann auch wirksam und sichtbar werden. An welcher Stelle bin ich mit meiner Expertise, meiner Entscheidungsfreiheit oder Kompetenz gefragt? Wirklich eine Frage zu bearbeiten, deren Beantwortung nachher für mich oder andere eine Bedeutung hat. Das finde ich interessant. Wenn etwas verändert wird, weil ich etwas entschieden habe – das ist echte Partizipation.
Ich würde natürlich sagen, dass das die DNA dieser Arbeit ist. Das ist meine erste Reaktion und die zweite ist, dass es pauschal natürlich sehr schwer zu sagen ist. In Bildungsprozessen weiß man ja nie, was passiert. In jedem Fall passiert aber etwas nur dann, wenn man persönlich wirklich ergriffen und involviert ist. Je mehr eigenes Tun und Mittun da ist und je mehr das die anderen auch erleben, desto größer ist die Chance auf eine bleibende Bildungs- und Beteiligungserfahrung.
Überall da, wo es wirklich sichtbar wird und zwar nicht bloß als „Das habt ihr aber wieder schön gemacht!“. Im Stadtraum auf öffentlichen Plätzen – zum Beispiel, an der Rathauswand, in Gebäuden, bei denen man nicht damit rechnet, dass da etwas verändert wird mit kulturellen oder auch künstlerischen Mitteln. Dasselbe lässt sich auch im Netz machen, mehr Bedeutsamkeit statt Reichweite. Da hat die Kunst einen unendlichen Pool an Utopien, an Möglichkeitsdenken.
Die Jugendkunstschule Siegen-Wittgenstein zum Beispiel erkundet unter der Überschrift „Stadtraum für uns“ mit Jugendlichen Stadträume, wo aus Unorten Orte werden, die aber die Jugendlichen selber definieren. Sie bauen mit leichten Mitteln Sitzgelegenheiten oder Aufenthaltsmöglichkeiten, die anders aussehen als eine Parkbank. Und sie haben mit Augmented Reality gearbeitet, also auch visionär gefragt: „Wie könnte es denn noch sein, wenn wir die Grenzen weiter austesten?“ Dieses Spiel mit Fantasie ist wunderbar und wird durch AR noch besser sichtbar.
Es gibt von NORDER147 aus Flensburg ein Atelier für utopisches Arbeiten. Sie laden bewusst junge Menschen ein und sagen „Inszeniere etwas für dich, habe einen eigenen Plan, egal ob das ein Festival ist oder ob es eine Straßenumgestaltung wird.“ Und sie unterstützen diese Jugendlichen quasi als Komplizen dabei. Sie geben einen autonomen Raum, wo sich junge Menschen treffen können, und das Zutrauen und Vertrauen, dass die jungen Menschen es selber schaffen.
Ich glaube, es gibt immer noch häufig ein traditionelles Verständnis, einen „Olymp“, den es zu erreichen gilt. Natürlich sind Profi-Einrichtungen für eine sinnliche Überwältigung durch Kunst und die Arbeit von Künstler*innen für die Menschen wichtig. Der Gedanke, dass sich allein über das Zuschauen automatisch ein Moment der Bildung einstellt, ist jedoch noch einigermaßen verhaftet. Es braucht aber viele Voraussetzungen für Bildung − und auch für sinnliche Überwältigung. Eine Voraussetzung ist meiner Meinung nach, dass Kulturschaffende in den entsprechenden Bildungsangeboten nicht alles vorstrukturieren und vorgeben und sichere Endergebnisse erzielen möchten, sondern dass man Methoden hat, wie unterschiedliche Menschen am Ende zu einem eigenen kulturellen Bildungserlebnis kommen. Das macht oft Angst und ist anstrengend, weil man nicht mehr alles im Griff hat, das Ergebnis nicht vorhersagen kann und abwägen muss, wie viel Freiheit und wie viel Grenzen eine Aufgabe, ein Projektschritt haben muss. Und dann braucht man viel länger Zeit für derartige Prozesse. Das Problem ist, dass man verantwortlichen Künstler*innen oder Kultureinrichtungen zu wenig Zeit für diese Prozesse gibt. Zeit, um die Menschen kennenzulernen, um zu erfahren, was ihre Vorstellung von dem ist, was hier passieren soll, was sie bewegt und wie man am besten zusammenarbeitet.
Man verschwindet nicht völlig als Künstler*in oder Kulturverantwortliche*r, wenn man mit Beteiligung arbeitet. Das ist ein unfassbar schmaler Grat. Wann gehe ich rein, wann nicht?
Mechthild Eickhoff
Wir lesen als Förderer viele Anträge, in denen die Leute denken, sie müssten sofort nach einem halben Jahr etwas zeigen, das muss dann auch gut sein und darf nicht scheitern. Das ist eine strukturelle Schwäche dieser Förderlogik, zu meinen, man könne ein Projekt von A bis Z wirklich vorausschauen. Alle wissen, dass das nicht geht.
Und wir haben alle Angst, Kontrolle loszulassen. Wie kann ich es denn noch steuern, Ergebnisse planen und garantieren? Wie meiner Verantwortung als Ermöglicher*in und wie der als Projektleitung nachkommen? Es ist ja nicht so, dass man völlig verschwindet als Künstler*in oder Kulturverantwortliche*r, wenn man mit Beteiligung arbeitet. Das ist ein unfassbar schmaler Grat. Wann gehe ich mit eigener Inspiration rein, wann nicht? Wann ist es wirklich eine Plattform für die Ideen anderer, wo wird es ziellos? Das ist ein waghalsiges Unternehmen und eine ganz, ganz große Kunst.
Fehlerfreundliche Settings, das heißt erstmal Zeit zum Entwickeln, Experimentieren – und zwar für die Verantwortlichen selbst. Und es hilft, andere Expert*innen mit reinzuholen, die dazu beitragen, dass man sich sicher fühlt oder auch selbst inspiriert bleibt. Das sagt sich leicht, ist aber sehr, sehr schwer. Und dazu braucht es die Unterstützung von Förderern, dass man sich dieses Setting auch erlauben darf. Das bedeutet fördertechnisch, auch kulturpolitisch, dass nicht nur Füße gezählt werden, ohne zu fragen, wie viele Füße wirklich eine Bildungserfahrung mit nach Hause tragen.
Ich will am Ende nicht vergessen zu sagen, dass man der eigenen Inspiration trauen muss und in seiner Expertise bleiben sollte. Das ist total wichtig. Also Künstler*innen, die in der Kulturellen Bildung arbeiten, sind wichtig als Künstler*innen und nicht als Organisator*innen für Unterschriftenlisten. Sie haben Kompetenz zu inszenieren, zu inspirieren, zuzumuten, zu entgrenzen.
Und wir müssen uns bewusst sein, dass gerade in den Krisen alle empfindlicher, verwundbarer sind, und zwar auch die sogenannten Verantwortlichen. Dass wir als Erwachsene die Lösung nicht kennen, dass sich ein Raum öffnet für Ideen und dass wir an Grenzen kommen – diese Verwundbarkeit ist auch ein Potenzial. Sie ist zutiefst politisch. Ich glaube, das ist eine neue Phase des miteinander Arbeitens, auch in der Kulturellen Bildung, egal mit wem. Und das ist eine Chance für neue Beteiligung mit gesellschaftlichem Tiefgang.
Der Beitrag ist erstveröffentlicht in: Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung e. V. (2022): Beteiligung – ein Recht, in echt!, kubi – Magazin für Kulturelle Bildung. No. 23-2022. Berlin. S. 22-25.
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