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Fachbeitrag
Resümee: Die Initiative Welt-Öffner – Internationale Strategien für die Kulturelle Bildung
14.03.22
Zum Ende der Laufzeit der Initiative Welt-Öffner ziehen Christina Lorenz, Leitung der Initiative, und Rolf Witte, Leitung des Bereichs Kulturelle Bildung International der BKJ, eine Bilanz.
Von Christina Lorenz und Rolf Witte
Christina Lorenz arbeitet seit September 2018 im Bereich Kulturelle Bildung International der BKJ und leitet seit September 2019 die Initiative Welt-Öffner.
Rolf Witte leitet seit 1996 den Bereich Kulturelle Bildung International der BKJ. Seit Ende 2019 ist er Vorsitzender von IJAB – Fachstelle für internationale Jugendarbeit.
Illustration: Cornelius Vogel
Am Ende der zweijährigen, von Coaches* begleiteten Internationalisierungsprozesse von 13 Bundes- und Landesverbänden der Kulturellen Bildung in ganz Deutschland stehen die folgenden Fragen im Mittelpunkt der Analyse:
- Konnten konkrete Ziele erreicht werden?
- Welche Hürden mussten überwunden werden?
- Wie hat die Pandemie die Umsetzung vereinbarter Ziele beeinflusst?
- Welche Bedingungen sind für erfolgreiche Organisationsentwicklungs- und Veränderungsprozesse unabdingbar?
- Welche Erkenntnisse konnten für die Weiterentwicklung des gesamten Feldes der Kulturellen Bildung gewonnen werden?
Außerdem interessiert sich die BKJ dafür, wie es nach Ende der zeitlich begrenzten Coaching- Prozesse weitergehen kann und sollte und mit welchen Strategien möglichst viele Akteure der Kulturellen Bildung bei einer Europäisierung oder Internationalisierung ihrer Arbeit unterstützt werden könnten.
Ziele der Initiative
Die von der Robert Bosch Stiftung finanzierte Initiative Welt-Öffner entstand u. a. aus den Erkenntnissen der sogenannten Zugangsstudie, die deutlich hervorhebt, dass Internationale Jugendarbeit unbedingt als fester Bestandteil in allen Formen der Jugendarbeit und Jugendbildung strukturell verankert werden muss, wenn tatsächlich allen jungen Menschen im Verlauf ihres Aufwachsens eine grenzüberschreitende Lern- und Begegnungserfahrung ermöglicht werden soll. Das Konzept der Initiative basiert auf den Erkenntnissen des 2016 und 2017 von IJAB durchgeführten Pilotprojektes „Modellentwicklung zur Etablierung einer internationalen Leitkultur bei Trägern der Kinder- und Jugendhilfe“.
Die Initiative Welt-Öffner widmete sich in den Jahren 2019 bis 2021 der Entwicklung von neuen Strategien, um auf aktuelle europäische und internationale Anforderungen an Organisationsstrukturen in der Kulturellen Bildung auf Bundes- und Landesebene – über die Durchführung von einzelnen Begegnungsprojekten hinaus – angemessen und nachhaltig auf struktureller Ebene zu reagieren. Der BKJ war wichtig, dass dabei den individuellen Bedürfnissen und Zielvorstellungen ihrer Mitgliedsorganisationen Raum gegeben wird. Dies sollte zu realistischen und leistbaren Entwicklungsschritten führen, die eine Internationalisierung ihrer Organisationsstrukturen und Angebote nachhaltig unterstützen.
Ein übergeordnetes Ziel der Initiative war es auch, exemplarisch für das gesamte Feld der Jugendarbeit und Jugendbildung Vorgehensweisen zur Internationalisierung und/oder Europäisierung von Einrichtungen, Organisationen und Verbänden der Kulturellen Bildung aufzuzeigen. Alle am Coaching beteiligten Organisationen entwickelten während des zweijährigen Prozesses auch Ideen und Angebote für ihre eigenen Mitgliedsstrukturen. So entstanden z. B. ein Wiki mit Informationen zu internationalen Aktivitäten aller Mitglieder und mit Hintergrundwissen zu internationaler Arbeit im Bereich der Zirkuspädagogik, Train-the-trainer-Seminare, virtuelle Informations- und Austauschplattformen für die eigenen Mitgliedsstrukturen und auch mitgliederübergreifende digitale Austauschtreffen zu Themen der internationalen Arbeit.
Der organisatorische Rahmen
Zwölf Mitgliedsverbände der BKJ und der Dachverband BKJ selbst wurden zwischen Januar 2020 und Dezember 2021 von professionellen Coaches* bei einem individuellen und in seiner Zielsetzung selbst definierten Internationalisierungsprozess begleitet und unterstützt. Dafür standen den Organisationen acht eintägige Coachings mit jeweils sechs Zeitstunden zur Verfügung, die bedarfsorientiert in kürzere oder längere Sitzungen aufgeteilt werden konnten.
Im Dezember 2019 fand im Vorfeld der Coachings ein Auftaktreffen der BKJ mit sieben ausgewählten Coaches* statt, um sich über Rahmenbedingungen, Zielsetzung und Ablauf der Initiative zu verständigen. Alle ausgewählten Coaches* haben Erfahrungen in den Bereichen Coaching, Organisationsentwicklung und Internationale Jugendarbeit.
Coaching unter Corona-Bedingungen
Kurz nach Beginn der Initiative veränderte die Corona-Pandemie die Rahmenbedingungen für die Coachings ganz wesentlich. Aufgrund der Einschränkungen verzögerte sich der Start der Organisationsentwicklungsprozesse für die meisten teilnehmenden Organisationen und es galt, die Ziele angesichts der Herausforderungen durch die Pandemie nicht aus den Augen zu verlieren. Zwar führte das zu Planungsunsicherheit und Absagen von Veranstaltungen und internationalen Begegnungsformaten, aber die Verbände arbeiteten trotzdem motiviert mit vielen neuen Ideen an ihrer Organisationsentwicklung. Gleichzeitig bot die durch die Pandemie beschleunigte Digitalisierung neue, leichter zugängliche Möglichkeiten für die europäische Vernetzung und verhalf zu verstärkter und regelmäßigerer Kommunikation innerhalb der Verbände und mit Partnerorganisationen aus dem Ausland.
Bedingungen für ein gutes Gelingen
Damit es gelingt, europäische und internationale Dimensionen in den Angeboten, Strukturen und Arbeitsprozessen der Organisationen zu verankern, müssen nach Ansicht der Beteiligten vor allem die folgenden Rahmenbedingungen gegeben sein bzw. berücksichtigt werden:
- Veränderungen vor allem struktureller Natur brauchen viel Zeit. Dies trifft auch für die Umsetzung kleiner Schritte neben dem regulären Tagesgeschäft zu, vor allem unter Pandemie-Bedingungen.
- Eine regelmäßige und gut funktionierende Kommunikation in der Organisation ist besonders wichtig. Um diese zu erleichtern sollte die Coaching-Gruppe sowohl aus Umsetzenden als auch aus entscheidungsberechtigten Personen bestehen.
- Im gesamten Prozess muss die Möglichkeit erhalten bleiben, flexibel auf veränderte Rahmenbedingungen und Entwicklungen reagieren zu können.
- Für eine erfolgreiche und nachhaltige Internationalisierung ist die Unterstützung durch Verantwortliche auf Leitungsebene unerlässlich.
- Vorstand, Geschäftsführung und Mitarbeiter*innen sowie Haupt- und Ehrenamt müssen zusammenarbeiten und „an einem Strang ziehen“.
- Um einen ganzheitlichen Ansatz verwirklichen zu können, sollten Mitarbeiter*innen aus allen Bereichen der Organisation eingebunden sein.
- Es muss eine Strategie zum Wissenstransfer erarbeitet werden, um durch das Ausscheiden von Mitarbeiter*innen kein Wissen innerhalb der Organisation zu verlieren.
Förderliche Rahmenbedingungen für erfolgreiche Coaching-Prozesse sind aus Sicht der Coaches* die folgenden:
- Eine vertrauensvolle Beziehung zwischen Coach* und Coachee* ist ein fundamentaler Baustein. Für den Aufbau von Vertrauen zwischen allen Beteiligten sollte sich zu Beginn deshalb viel Zeit genommen werden. Gerade in der Anfangsphase der Zusammenarbeit sind analoge Treffen wichtig, die leider teilweise aufgrund der Corona-Pandemie nicht möglich waren. Hilfreich war an dieser Stelle das Matching-Treffen im Januar 2020, bei dem sich alle Coaches* und Coachees* persönlich kennenlernen konnten.
- Auf beiden Seiten braucht es Motivation, Neugier, die Bereitschaft, sich auf etwas Neu¬es einzulassen und sich Zeit zu nehmen, sowie Durchhaltevermögen, die gemeinsam entwickelten Ideen – auch wenn es mal schwierig wird – in die Praxis umzusetzen.
- Eine Verbindlichkeit, z. B. bezüglich des Einhaltens von Verabredungen, muss gleich zu Beginn des Coachings-Prozesses vereinbart werden.
- Da sich Coaches* in der Regel ausdrücklich nicht als Berater*innen, sondern als Prozessbegleiter*innen verstehen, muss bei Bedarf auch externe Expertise zu anstehenden Fragen und Themen hinzugezogen werden.
- Da die Coaches* durchaus unterschiedliche Herangehensweisen an die Prozessbegleitung und -gestaltung haben und sich unterschiedlich einbringen können und wollen, gilt es eine passgenaue Zuordnung zu einer Organisation vorzunehmen, sodass deren Bedürfnisse auch tatsächlich im Prozess aufgegriffen werden können.
Herausforderungen
Alle beteiligten Organisationen mussten sich im Verlauf der Prozesse auch Herausforderungen stellen und gewisse „Stolpersteine“ überwinden:
- Die Organisationen haben sehr verschiedene Strukturen, etwa bezogen auf das Zusammenwirken von Haupt- und Ehrenamt. Dies muss bei der Entwicklung und Umsetzung struktureller Veränderungen berücksichtigt werden.
- Stark von Ehrenamtlichkeit geprägte Organisationen leiden meist unter einer besonders großen Ressourcenknappheit.
- Die Corona-Pandemie hat zu Einschränkungen bei der Umsetzung von Angeboten der Internationalen Jugendarbeit und zu Mobilitätseinschränkungen im internationalen Reiseverkehr geführt, was die kurzfristigere Planung und Durchführung von Begegnungsvorhaben verhindert hat.
- Die durch die Pandemie notwendig gewordene Umstellung von analogen auf digitale Coaching-Formate hat den Vertrauensaufbau zwischen den Akteur*innen erschwert.
- Den Umgang mit neuen, digitalen Tools zu erlernen, hat außerdem Zeit gekostet.
- Das gemeinsame Erarbeiten einer grundlegenden, für die jeweilige Organisation spezifischen Definition von „Internationalisierung“ und die Einigung aller Beteiligten Ebenen (Vorstand, Geschäftsführung, verschiedene Arbeitsbereiche, Mitglieder etc.) auf gemeinsame Visionen und Ziele, kann sehr herausfordernd sein.
- Die Fluktuation von Mitarbeiter*innen erschwerte die Kontinuität der Prozesse und die Sicherung von Wissen – und unterstrich die Notwendigkeit von gezielten Strategien für den Wissenstransfer in den Organisationen.
Die vielfältigen Ergebnisse (siehe Kasten am Ende des Beitrags) der Coaching-Prozesse im Rahmen der Initiative Welt-Öffner belegen, dass sich der Coaching-Ansatz mit der Zielstellung Internationalisierung und Organisationsentwicklung bewährt. Um die europäische und internationale Dimension über die Kulturelle Bildung hinaus in allen Bereichen der Jugendarbeit und -bildung weiter zu stärken, müssen Förderinstrumente geschaffen oder erweitert werden, die es lokalen, regionalen und bundesweiten Organisationen der Jugendarbeit und Jugendbildung sowie ihren Partnern im Ausland ermöglichen, ihre internationale Arbeit und deren strukturelle Verankerung von Coaches* gezielt begleiten und unterstützen zu lassen.
Die Erfahrungen aus der Initiative zeigen: Um einen Coaching-Prozess zu finanzieren und damit eine ganze Organisation auf den Weg einer langfristig wirkenden Internationalisierung zu bringen, wird in etwa der finanzielle Gegenwert einer durchschnittlichen Förderung einer internationalen Jugendbegegnung benötigt. Mit dieser vergleichsweise preiswerten Vorgehensweise können langfristig wesentlich mehr junge Menschen und Fachkräfte europäische und internationale Perspektiven kennenlernen, als nur durch einzelne Begegnungsvorhaben. Deshalb möchte die BKJ erreichen, dass förderfähige Formate für die Unterstützung von Internationalisierungsvorhaben durch Coaching von öffentlichen und privaten Geldgebern in Deutschland sowie von bilateralen und multilateralen Förderinstitutionen (Jugendwerke, EU-Kommission, Europarat) etabliert werden.
Dass es notwendig ist, weitere Internationalisierungsprozesse anzuregen bzw. begonnene Prozesse fortzuführen, haben während der Abschlussveranstaltung unter den Stichworten „Struktursicherheit“ und „Ressourcenerweiterung“ die beteiligten Verbände mehrfach unterstrichen. Des Weiteren braucht es einen koordinierten Coaching-Pool, in dem alle für diese Aufgabenstellung qualifizierten Coaches*, die solche Prozesse professionell begleiten können, aufgeführt werden. So könnten sich weitere Landes- und Bundesverbände sowie auch lokale und regionale Organisationen auf den Weg machen zu einem individuell an ihren Bedürfnissen und Ressourcen orientierten Internationalisierungsprozess.
Eine große Herausforderung für die „Welt-Öffner*innen“ der Jahre 2020 und 2021 wird nun sein, auch ohne externe Begleitung und die Einbettung in die Initiative, weiter daran zu arbeiten, ihre selbst gesteckten Ziele zu erreichen und die bisher so positiv verlaufenen Prozesse innerhalb ihrer Organisationen lebendig zu halten. Konkrete Ideen dazu, die beim Abschlusstreffen erarbeitet wurden, sind u. a. nächste und zukünftige Schritte in den verbliebenen Coaching-Terminen zu definieren und jeweils eine*n Verantwortliche*n für den weiteren Prozess zu benennen, der oder die dafür sorgt, dass die Ziele weiterverfolgt und nicht aus den Augen verloren werden.
Auch die Idee, eine bereichsübergreifende AG für Internationales als Querschnittsaufgabe in der eigenen Organisation zu etablieren, um das kontinuierliche Weiterarbeiten am Thema zu ermöglichen, wird wohl von einzelnen BKJ-Mitgliedsverbänden umgesetzt werden. In der Planung ist auch, dass einzelne Organisationen punktuell die Coaches* zu weiteren Terminen einladen und aus Eigenmitteln finanzieren werden.
Konkrete Ergebnisse, die bereits umgesetzt werden konnten
Die 13 teilnehmenden Bundes- und Landesverbände haben durch das kontinuierliche Coaching vielfältige organisationsspezifische Erkenntnisse gewonnen und konkrete Schritte hin zu mehr grenzüberschreitendem Denken und Handeln angestoßen, umgesetzt und strukturell verankert.
Dazu zählen:
- Ausbau der internationalen Freiwilligendienste:
- Gezielter Ausbau von Incoming-Freiwilligendiensten, um das Ungleichgewicht zwischen Outgoing und Incoming auszugleichen und um den Einsatzstellen im Bereich der Kulturellen Bildung in Deutschland mehr junge internationale Impulse für ihre Arbeit und Entwicklung zu geben
- Ausbau des bisher eher regional angelegten Deutsch-Französischen Freiwilligendienstes Kultur zu einem deutschland- und frankreichweiten Angebot für junge Menschen
- Reflektion und Optimierung von etablierten Arbeitsabläufen der eigenen europaweiten und internationalen Arbeit in Geschäftsstellen und Verbandsstrukturen
- Reflektion und Optimierung von Kommunikationsstrategien zu europäischen, internationalen und globalen Themen, Fragestellungen und Möglichkeiten nach innen und außen
- Verbesserung der Außendarstellung und damit Öffentlichkeitswirksamkeit von internationalen Themen und Vorhaben durch:
- Überarbeitung der europäischen/internationalen Inhalte auf den eigenen Internetseiten
und Erweiterung z. B. um Praxisbeispiele aus der europäischen und internationalen
Vernetzungs- und Begegnungsarbeit - Übersetzung relevanter Inhalte auf den eigenen Internetseiten ins Englische für ausländische Partner
- Einrichtung eines eigenen internationalen Newsletters
- Erstellung von Werbevideos für internationalen Aktivitäten
- Überarbeitung der europäischen/internationalen Inhalte auf den eigenen Internetseiten
- Bestandsaufnahme und Reflektion der eigenen grenzüberschreitenden Interessen und Motivationen, Bedürfnisse und Ziele der Organisation unter internationalen Aspekten
- Neuformulierung des Leitbilds oder Mission Statements des Verbandes unter Berücksichtigung eropäischer und internationaler Dimensionen
- Ausarbeitung einer eigenen Definition von Internationalisierung als längerfristige
Handlungsorientierung für Geschäftsstelle und Gesamtverband - Auf- und Ausbau internationaler Kontakte und europäischer Vernetzung
- Strategische Nutzung digitaler Kommunikationsformen für den dadurch leichter und häufiger
möglichen grenzüberschreitenden fachlichen Austausch - Verstetigung von Personal- und Zeitressourcen für internationale Aufgaben, die bisher nur punktuell zur Verfügung standen
- Entwicklung, Etablierung und Verankerung einer diversitätsbewussten Haltung innerhalb der Geschäftsstelle und des Gesamtverbandes
- Selbstverpflichtung, auf eine Abbildung gesellschaftlicher Diversität in der eigenen Institution hinzuarbeiten
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