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Fachbeitrag
Jugendarbeit transnational denken und gestalten
21.08.23
Die Interessen junger Menschen zu vertreten und zur Persönlichkeits- und Demokratiebildung beizutragen, ist Anliegen der Jugendarbeit. Um dieser wichtigen Aufgabe gerecht zu werden, braucht es ein grenzüberschreitendes Verständnis von Jugendarbeit und transnationalen Wissensaustausch.
von Prof.in Dr.in Kathrin Klein-Zimmer
Prof. Dr. Kathrin Klein-Zimmer ist Professorin für Internationale/Transnationale Soziale Arbeit mit dem Schwerpunkt Kinder- und Jugendarbeit an der Hochschule Koblenz.
In Zeiten globaler Krisen profitiert Jugendarbeit mehr denn je von einer grenzüberschreitenden Perspektive auf das Arbeitsfeld – auf die transnationalen Lebenswirklichkeiten der jungen Menschen, den transnationalen Wissensaustausch und die internationale Zusammenarbeit zwischen Fachkräften, Wissenschaftler*innen und politischen Entscheidungsträger*innen. Die Entwicklung einer gemeinsamen Idee von Jugendarbeit über nationale Grenzen hinaus erhöht ihren Stellenwert und stärkt ihre Anerkennung als wichtigen Sozialisationsort für junge Menschen auf der ganzen Welt.
In Zeiten, in denen Klimakrise, Krieg, Energieknappheit, Corona-Pandemie, Armut und steigende soziale Ungleichheiten junge Menschen beschäftigen und Einfluss auf die Gestaltung ihrer Lebenswirklichkeiten nehmen, fungiert Jugendarbeit, mehr denn je, als zentraler Ort des Aufwachsens, an dem Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene soziale Unterstützung erfahren. Jugendarbeit ist ein Lebensort (Böhnisch 1998), der für viele junge Menschen, neben Familie und Schule, eine eigenständige Sozialisationsfunktion erhält. Gerade in Zeiten zunehmender Globalisierung, sozialer Spaltung und verstärktem Nationalismus, Rassismus und Individualismus1 gewinnt Jugendarbeit als Ort der Demokratiebildung und politischer Bildung europa- und weltweit zusehends an Bedeutung2.
In Deutschland, in Europa und weltweit agiert Jugendarbeit als Gesprächspartner für junge Menschen, bietet Orte der Begegnung, des Peerkontakts, der Beratung, der non-formalen Bildung, wird von jungen Menschen als „safer space“ in Anspruch genommen, an dem sie in ihrer Individualität akzeptiert werden und sich in ihrer Persönlichkeit weiterentwickeln können. In ihrer Parteilichkeit für junge Menschen obliegt es der Jugendarbeit genau dort aufzutreten, wo junge Menschen und ihre Anliegen in Politik und Gesellschaft nicht gehört werden. Diesem Anforderungsprofil wurde Jugendarbeit in den Anfängen der Corona-Pandemie nicht überall gerecht. Die Handlungsmacht der Jugendarbeit wurde eingeschränkt, eine anwaltschaftliche Interessenvertretung war kaum sichtbar – „nicht-krisensicher“ war ein sich grenzüberschreitend entwickelndes Narrativ.
Ein Grund mehr, auf allen Ebenen – lokal, regional, national, europäisch und international – für die Anerkennung des Wertes der Jugendarbeit für Gemeinschaften, Gesellschaften und Einzelpersonen einzutreten und durch einen transnationalen Wissensaustausch das Arbeitsfeld in seinen unterschiedlichen Formaten und Ausprägungen zu stärken.
Verzahnung lokal, national, europäisch, international, transnational
Die globalen Zusammenhänge bringen es mit sich, Jugendarbeit insgesamt stärker in ihren nationale Grenzen überschreitenden Bezügen zu analysieren und diese als Ressource für die Etablierung und Stärkung des Arbeitsfeldes einzusetzen.
Dies gilt nicht nur für die Felder, die sich per se mit grenzüberschreitenden Zusammenhängen junger Menschen auseinandersetzen, wie z.B. Internationale Jugendarbeit. Sondern auch die lokal organisierte Jugendarbeit ist mit den Herausforderungen von Grenzüberschreitungen – infolge der Überschreitung von nationalen Grenzen – konfrontiert.
Für eine transnationale Soziale Arbeit – und somit auch für das Arbeitsfeld der Jugendarbeit – bedeutet dies: “An exclusive ‘local’ and ‘sedentary’ (.) focus would be contrary to several clients’ mobile and/or transnational life and/or to the border-crossing nature of the themes social workers encounter (.)”.3
Das heißt, um Jugendarbeit insgesamt stärker grenzüberschreitend zu denken und auszugestalten, ist zum einen eine stärkere Verzahnung der mobilitäts- und migrationsspezifischen Erfahrungsräume junger Menschen notwendig. Hierdurch würden sich Öffnungsprozesse sowohl für die Internationale Jugendarbeit (im Hinblick auf migrantische Erfahrungsräume junger Menschen) als auch für die stärker lokal ausgerichtete Jugendarbeit (Ausweitung der internationalen Mobilitätsangebote für alle Jugendliche) ergeben.
Innerhalb der Jugendarbeit sind es vor allem transnationale außerschulische Jugendbildungsprojekte, transnationale Jugendbegegnungen und Jugendinitiativen, die es schaffen, niedrigschwellig Zugänge für junge Menschen zu ermöglichen und für globale Themen, wie u.a. Demokratie, Menschenrechte, soziale Gerechtigkeit, Nachhaltigkeit oder Diversität zu sensibilisieren (vgl. u.a. das transnationale Erasmus+-Projekt Breath+ ⁴, in dem die transnationale Verständigung über die kritische Auseinandersetzung mit der Kolonialgeschichte der beteiligten Länder und damit einhergehende Empowerment-Prozesse im Mittelpunkt stehen).
Zum anderen stellen transnationale Wissensarenen wie sie unter anderem vom Youth Partnership (u.a. MOOC on Essentials of Youth Work, Youth Policy, Youth Research5; Knowledge HUB: Covid-196, Pool of European Youth Researchers (PEYR7)) oder von der EU-Kommission (u.a. Youth Wiki8) zur Verfügung gestellt werden, eine wichtige Ressource dar, um sich grenzüberschreitend mit globalen Themen in der Jugendpolitik und Jugendarbeit auseinanderzusetzen, einen transnationalen Wissensaustausch zwischen Forschung, Politik und Praxis im Jugendsektor zu etablieren und eine Zusammenarbeit über nationale Grenzen hinaus zu unterstützen. Die europaweiten Aushandlungen zur European Youth Work Agenda (EYWA)9 und die nationale Umsetzung über den so genannten Bonn-Prozess10 setzen genau hier an. Sie ermöglichen eine transnationale Verständigung über Youth Work und stärken so die Anerkennung von Jugendarbeit insgesamt.
Jugendarbeit durch grenzüberschreitende Öffnung sichtbar machen
Vor dem Hintergrund der aktuellen globalen Herausforderungen, innerhalb derer junge Menschen ihre Jugend gestalten, gilt es, Jugendarbeit wieder verstärkt im öffentlichen Diskurs bekannt zu machen, sich in der Politikgestaltung als anwaltschaftliche Vertretung für junge Menschen einzumischen und auf das Potenzial der Jugendarbeit in ihrer ganzen Vielfalt, Kreativität und ihrem Engagement für die Interessen und Bedürfnisse junger Menschen hinzuweisen. Hierfür bedarf es eines zunehmend grenzüberschreitenden Verständnisses von Jugendarbeit und einer gemeinsamen Kraftanstrengung über nationale Grenzen hinaus, um sich für die Qualität und die Entwicklung von Jugendarbeit von der lokalen über die europäische bis hin zur internationalen Ebene einzusetzen.
Literatur
1 Alldred, P./Cullen, F./Edwards, K./Fusco, D. (2018). The SAGE Handbook of Youth Work Practice. London, SAGE Publications
2www.bmfsfj.de/bmfsfj/service/publikationen/16-kinder-und-jugendbericht-162238
3 Schrooten, M. (2021): Transnational social work: Challenging and crossing borders and boundaries. In: Journal of Social Work, 21(5) 1163-1181
⁴ www.ihaus.org/breath
5www.pjp-eu.coe.int/en/web/youth-partnership/mooc-on-youth-work
6www.pjp-eu.coe.int/en/web/youth-partnership/covid-19
7www.pjp-eu.coe.int/en/web/youth-partnership/peyr
8www.youthwiki.eu
9www.bonn-process.net/context/eywa
10www.transferstelle-eywa.de
Der Beitrag ist erstveröffentlicht unter dem Titel „Jugendarbeit transnational denken und gestalten“ im IJAB journal 01/2023 – zum Thema „Jugend, Frieden und Sicherheit“. 276, S. 46/47. Der Beitrag wird mit freundlicher Genehmigung des Herausgebers IJAB – Fachstelle für Internationale Jugendarbeit der Bundesrepublik Deutschland e. V. und der Urheberin Prof. Dr. Kathrin Klein-Zimmer hier veröffentlicht.
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