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Interview
Die Kunst, die Welt zu bewegen. Kulturelle Bildung als politisches Statement, auch für Nachhaltigkeit
Im Gespräch mit Prof.in Dr.in Vanessa-Isabelle Reinwand-Weiss, Bundesakademie für Kulturelle Bildung Wolfenbüttel, und Dr. Kawthar El-Qasem, Akademie der Kulturellen Bildung des Bundes und des Landes NRW, Remscheid
07.08.23
Kulturelle Bildung ist immer politisch. Mit der entsprechenden Haltung der Bildungsakteur*innen kann die Auseinandersetzung mit Themen der Nachhaltigkeit, die auch für Kinder und Jugendliche relevant sind, gezielt angegangen werden, erklären Kawthar El-Qasem und Vanessa-Isabelle Reinwand-Weiss.
Interview: MM, Text: Helga Bergers
Vanessa-Isabelle Reinwand-Weiss (Prof.in Dr.in) ist Direktorin der Bundesakademie für Kulturelle Bildung Wolfenbüttel. Sie lehrt als Professorin außerdem an der Universität Hildesheim am Institut für Kulturpolitik.
Kawthar El-Qasem leitet den Fachbereich Baukultur an der Akademie der Kulturellen Bildung des Bundes und des Landes NRW in Remscheid.
Warum sollte sich Kulturelle Bildung mit dem Bildungskonzept des Globalen Lernens und mit Nachhaltigkeit befassen?
Kawthar El-Qasem: Die globalisierte Welt und die postmigrantische Gesellschaft sind nicht mehr von der Kulturellen Bildung zu trennen. Die Zielgruppen, aber auch die Menschen, die Kulturelle Bildung anbieten, sind von ihrer persönlichen Geschichte her nicht nur an einem Ort verwurzelt. Es ist daher für die Kulturelle Bildung wichtig, sich mit der eigenen Haltung auseinanderzusetzen, um die Angebote so konzipieren zu können, dass sie dieser Welt auch gerecht werden kann. Ansätze des Bildungskonzepts des Globalen Lernens können dabei unterstützen.
Kulturelle Bildung passiert außerdem nicht einfach im leeren Raum, Kinder und Jugendliche sind sehr beschäftigt mit Themen der Nachhaltigkeit, sie betreffen ihre Zukunft. Wir als Erwachsene können und sollten das nicht einfach ignorieren.
Kulturelle Bildung kann ein Ansatz sein, um Haltungen, Verhalten und Handlungen zu ändern.
Vanessa-Isabelle Reinwand-Weiss
Warum ist die Auseinandersetzung der Kulturellen Bildung mit Globalem Lernen und Nachhaltigkeit politisch?
Vanessa-Isabelle Reinwand-Weiss: Kulturelle Bildung ist nie nur L'art pour l'art. Die Beschäftigung mit den Künsten ist immer in einer bestimmten Form politisch, denn sie steht in Bezug zu zeitaktuellen Themen. Als Vermittler*in sollte mir bewusst sein, dass Kulturelle Bildung immer einen politischen Hintergrund hat, auch wenn ich das nicht explizit formuliere oder mich nicht als politische*r Akteur*in verstehe.
Ein wichtiges Prinzip der Kulturellen Bildung ist, dass sie auf Erfahrungen rekurriert, die wir alltäglich machen, die in unserem Leib eingeschrieben sind, die uns berühren, die uns Dinge bewusst machen. Kulturelle Bildung kann ein Ansatz sein, um Haltungen, Verhalten und Handlungen zu ändern, zum Beispiel mit Blick auf den Klimawandel. Globales Lernen geht auch ohne Kulturelle Bildung, aber gerade in dieser Verbindung liegt das besondere Potenzial, dass es Kulturelle Bildung schafft, wirklich ganz nah dran zu sein an dem, wie wir im Alltag agieren, wie wir Dinge verstehen und wahrnehmen. Wie wir lernen, hat auch viel damit zu tun, wie wir unser Weltbild gestalten.
Sind die Bildungsansätze der Kulturellen Bildung und des Globalen Lernens kompatibel?
Kawthar El-Qasem: Ja, durchaus. Kulturelle Bildung ist nicht so neutral und nicht so frei, wie wir das oft zu vermitteln versuchen. Angebote und Projekte verfolgen immer bestimmte Ziele, auch bedingt durch die Förderstrukturen. Mit Blick auf die nachhaltige Entwicklung, mit ihren stark normativen Zielbeschreibungen, ist es ein großes Thema, wie die Kulturelle Bildung ihre eigenen Positionen und Potenziale mitnimmt, sich selbst also treu bleibt, und gleichzeitig auf die Herausforderungen der weltpolitischen, gesellschaftspolitischen, klimapolitischen etc. Situationen reagieren kann.
Vanessa-Isabelle Reinwand-Weiss: Wir sind innerhalb der Kulturellen Bildung genauso gefangen wie andere Bildungsbereiche. Deswegen finden wir es sehr wichtig, dass wir nicht automatisch die „Guten“ sind, nur weil wir Kinder und Jugendliche in ihrer Entwicklung unterstützen, weil wir erwachsene Menschen dabei unterstützen, Gesellschaft mitzugestalten. Wir tappen genau in die gleichen Bildungsfallen wie andere Bildungsbereiche auch. Deswegen ist es wichtig, sich immer wieder bewusst zu machen, welche neue Bildungshaltung wir eigentlich brauchen. Und dabei kann das Globale Lernen unterstützen.
Besteht die Gefahr, dass sich Kulturelle Bildung für Globales Lernen instrumentalisieren lässt?
Vanessa-Isabelle Reinwand-Weiss: Eine Instrumentalisierung kann nur erfolgen, wenn Kulturelle Bildung für ein normatives Ziel des Globalen Lernens ausschließlich der Methoden-Lieferant wäre. Deswegen ist es für Menschen, die aus der Kulturellen Bildung kommen, wichtig, ein starkes Selbstverständnis zu haben, was die Methoden und die Prinzipien Kultureller Bildung betrifft. Es geht darum, nicht nur mit der Kulturellen Bildung ein „schöneres“ Globales Lernen zu machen, sondern die Kulturelle Bildung und auch die kulturellen Bildungsprinzipien anhand von Werten des Globalen Lernens zu hinterfragen. Wenn etwa Theaterpädagog*innen ein Stück mit Teilnehmenden entwickeln und sich Fragen stellen, in welchen ökonomischen Verwertungszusammenhängen und unter welcher nachhaltigen Perspektive sie das tun, ist ein großer Schritt getan.
Kawthar El-Qasem: Kulturelle Bildung hat eine eigene Spezifik. Statt der Gefahr einer Instrumentalisierung, sehe ich das Potenzial. Bei der Baukultur zum Beispiel: Sie ist für mich ein Ort, um spezifisch zu arbeiten und so das Eigene und das Partikulare, das Besondere der eigenen Situation einzubeziehen und nicht eine normativ geformte Zielrichtung einzuschlagen, sondern wirklich genau zu gucken und auch mal etwas nicht zu tun. Bis jetzt haben wir eine bestimmte Art und Weise des Lernens kennengelernt, die uns zu keinem so guten gesellschaftlichen und politischen wie weltpolitischen Ergebnis geführt hat. Das Thema Unlearning, was auch im Globalen Lernen Anwendung findet, ist daher unglaublich wichtig. Hier kann die Kulturelle Bildung mit ihrer Herangehensweise Räume eröffnen, in denen auch mal anderes Denken eingeübt werden kann.
Was braucht es für die bereichernde Verbindung von Kultureller Bildung und Globalem Lernen?
Vanessa-Isabelle Reinwand-Weiss: Die Förderbereiche Globales Lernen und Kulturelle Bildung sind noch getrennt. Aus meiner Sicht wäre aber eine stärkere Verquickung die Keimzelle dafür, dass wir unser Bildungsverständnis als Ganzes verändern müssen. Denn es geht ja nicht nur um die Verbindung von Kultureller Bildung und Globalem Lernen, sondern es geht insgesamt um eine zeitgemäße Bildung. Gerade Kulturelle Bildung in ein allgemeines, modernes, aktuelles Bildungsverständnis zu integrieren, ist sehr wichtig. Auch das, was Globales Lernen dort einbringt. Und es bräuchte mehr Unterstützungsstrukturen im Sinne der Förderung, auch Weiterbildungen, die im Erwachsenenbereich immer unterschätzt werden. Es wird so dargestellt: Wir haben ja Fachpersonal und das ist bestens ausgebildet, es macht gute Arbeit. Punkt. Und auf die Projekte bezogen geht es immer darum, möglichst viele auch unterschiedliche Teilnehmer*innen zu erreichen. Dass aber Wandel vor allem auch vorangetrieben werden kann, wenn die Arbeit anders angeleitet oder vermittelt wird, das hat in der öffentlichen Förderung bisher noch kaum Aufmerksamkeit.
Hilfreich kann sicherlich sein, sich mit dem Globalen Lernen insgesamt auseinanderzusetzen, Literatur dazu zu lesen, um Projekte, die eigene Arbeit unter anderen Perspektiven zu sehen.
Kawthar El-Qasem: Es kann zielführend hin zu einer veränderten Praxis sein, einen Raum zu schaffen, in dem Wissen produziert und Verantwortung diskutiert werden kann, in dem kollegiale Beratung stattfinden kann, in dem die bisherige Arbeit noch mal aus einer neuen Perspektive bewertet oder modifiziert werden kann.
Es gibt viele Menschen an den Schnittstellen, die an einer Transformation interessiert sind. Ich rufe dazu auf, mutiger zu sein und nicht so viel Angst vor der eigenen Courage zu haben. Auch die spezifische Situation und die eigene Zielgruppe einzubeziehen, hilft. Es braucht das Bewusstsein, den Mehrwert darin zu sehen, über den eigenen Tellerrand zu schauen. Das ist die Message, die sowohl Globales Lernen als auch Kulturelle Bildung mitbringen. Und zusammen können die zukunftsrelevanten Ziele noch weitergetragen werden.
Es braucht das Bewusstsein, den Mehrwert darin zu sehen, über den eigenen Tellerrand zu schauen. Das ist die Message, die sowohl Globales Lernen als auch die Kulturelle Bildung mitbringen.
Kawthar El-Qasem
kreativ_transformativ: Qualifizierung für eine Kulturelle Bildung mit globaler und nachhaltiger Perspektive
Von September 2022 bis Juni 2023 fand die Qualifizierung „kreativ_transformativ“ der Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung (BKJ) in Zusammenarbeit mit der Bundesakademie (ba) für Kulturelle Bildung Wolfenbüttel und der Akademie der Kulturellen Bildung des Bundes und des Landes NRW als Pilotprojekt statt. Die Qualifizierung wurde im Rahmen der Programmlinie Teams up! des Deutsch-Afrikanischen Jugendwerks bei Engagement Global und mit Mitteln des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) gefördert.
22 Multiplikator*innen aus dem Bereich Kulturvermittlung und der freien Kulturszene, von Trägern der Kulturellen Bildung sowie Kulturpädagog*innen haben an der Qualifizierung teilgenommen. In sechs aufeinander aufbauenden Modulen konnten sie praxisnah erproben, wie Kulturelle Bildung und Globales Lernen zusammen gedacht werden und künstlerische Formate oder die Beteiligung an künstlerischen Prozessen zu einer Auseinandersetzung mit Nachhaltigkeitsfragen sowie zu einem Diskurs über globale Gerechtigkeit anregen können.
Anhand der Rückmeldungen der Teilnehmer*innen konnten die Veranstalter ein schlüssiges Konzept für ein dauerhaftes Fortbildungsmodell zum Globalen Lernen in der Kulturellen Bildung entwickeln.
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