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Interview

Kulturpolitik der Zukunft

Im Gespräch mit Dr. Carsten Brosda, Senator für Kultur und Medien der Freien und Hansestadt Hamburg

01.10.20

Digitale Tools, gesellschaftlicher Zusammenhalt und Corona – im Gespräch mit dem Hamburger Senator für Kultur und Medien sind die großen Themen unserer Zeit versammelt. Und wie geht es weiter? Was ist zu tun?

Dr. Carsten Brosda ist seit 2017 Senator für Kultur und Medien der Freien und Hansestadt Hamburg. Seit Juli 2018 ist er Co-Vorsitzender der Medien- und Netzpolitischen Kommission des SPD-Parteivorstandes und seit November 2019 Vorsitzender des Kulturforums der Sozialdemokratie.

Unsere Gesellschaft driftet auseinander: Welche Entwicklungen machen Ihnen mit Blick auf die Zukunft am meisten Sorge?

In der Corona-Krise verstärken sich Entwicklungen, die es auch vor dem Virus schon gab, z. B. die gesellschaftliche Neigung, Prozesse gern als ganz und gar richtig oder ganz und gar falsch abzustempeln. Das liegt an der Unsicherheit, die besonders in unübersichtlichen Situationen wächst und die von der Politik ein schnelles, vernünftiges und gleichwohl klares Handeln erfordert. Das Bedürfnis, Komplexität aber nicht mehr entwirren zu wollen, bereitet mir tatsächlich große Sorge, denn ein Richtig-Falsch-Gefüge ist in einer demokratischen Gesellschaft nie eine gute Lösung. Wir müssen auch jetzt einsehen, dass keiner im Vorweg die Antwort auf gesellschaftliche Fragen kennt und wir weiterhin Debatten miteinander führen müssen, um Lösungskonzepte zusammen abzuwägen. Versäumen wir dies, markieren wir die Risse, die dann in der Gesellschaft entstehen können und den Zusammenhalt zerstören.

Wir müssen miteinander wachsam bleiben und zusammen Wege finden, damit alle gehört werden.

Dr. Carsten Brosda

Wie sehen Sie Kinder und Jugendliche in diesen Debatten repräsentiert? Können Sie Beispiele nennen?

Dass es unabdingbar ist, die Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen immer vollständig mitzudenken und dann in der konkreten Situation auch umzusetzen, beweist uns die Corona-Krise. Wir müssen miteinander wachsam bleiben und zusammen Wege finden, damit alle gehört werden.

Unabhängig von den Herausforderungen, vor denen wir aktuell stehen, geben Kinder und Jugendliche uns immer frische Impulse. Und davon profitieren wir letztlich alle. In Hamburg werden Kinder und Jugendliche in verschiedentliche Entscheidungsprozesse einbezogen, z. B. bei Stadtteilprojekten. Beim 2. Hamburger Kulturgipfel waren Jugendliche maßgeblich mit der Konzeption befasst. Und auch bei unserem neu zu fassenden Rahmenprogramm der Kinder- und Jugendkultur hat die Zielgruppe weit mehr als ein Wort mitzureden.

Kommunikation mit- anstatt übereinander ist in einer offenen Gesellschaft essentiell. Deshalb werden Jugendliche auch in die politischen Debatten der Stadt kontinuierlich eingebunden, sei es durch das Format „Jugend im Parlament“ der Hamburgischen Bürgerschaft oder durch Planspielformate in den Bezirken. Wesentlich ist dabei stets die Anbindung an die Entscheidungsgremien. Beteiligung muss auch Folgen haben. Wenn Jugendliche der Bürgerschaft am Ende eine Resolution übergeben und in den jeweiligen Fachausschüssen ihre Vorstellungen mit den Abgeordneten debattieren, entstehen fruchtbare Prozesse, die wir dringend brauchen.

Welche Rolle spielen Kunst und Kultur, wenn es um den gesellschaftlichen Zusammenhalt und Konsens als Grundlage für unsere Demokratie, geht? 

Kunst und Kultur haben das Potenzial, implizit eine große Rolle zu spielen, weil ihnen explizit keine Rolle auferlegt werden darf. Kunst und Kultur haben nicht die Aufgabe Zusammenhalt zu stiften. Sie sind frei. Ohne die Freiheit von Kunst und Kultur kann eine demokratische Gesellschaft nicht gelingen. Schließlich besteht die Kraft von Kunst und Kultur darin, uns zur Reflexion zu befähigen und damit altbewährte Vorstellungen auch mal ins Wanken zu bringen.

Ihre These ist, dass die Frage des Zusammenhalts im 21. Jahrhundert die Frage nach Gerechtigkeit, Teilhabe und Ressourcen abgelöst hat. Wie würden Sie dies in der Corona-Krise bewerten?

Die These gibt natürlich ein stark vereinfachtes Bild wieder und beschreibt vielmehr eine Tendenz als einen absoluten Übergang des einen Zustands in den nächsten. Corona zeigt uns einmal mehr, dass nichts endgültig errungen ist, sondern spätestens dann wieder auf dem Prüfstand steht, wenn die Welt Kopf steht.

Die Stärkung des gesellschaftlichen Zusammenhalts ist auch jetzt für uns alle eine dringliche Aufgabe. Nur in einer solidarischen Gesellschaft können wir Freiheit sichern und Gerechtigkeit organisieren. Dank digitaler Tools – die gerade einen Boom erfahren – können wir miteinander in Kontakt bleiben und uns austauschen, aber für den gesellschaftlichen Zusammenhalt braucht es langfristig unweigerlich auch die analoge Begegnung, den auch physisch geteilten Raum, der die Möglichkeiten von Austausch, Erlebnis und gegenseitiger Wahrnehmung nochmal ganz anders öffnet als der digitale Raum.

Für den gesellschaftlichen Zusammenhalt braucht es langfristig unweigerlich auch die analoge Begegnung, den auch physisch geteilten Raum, der die Möglichkeiten von Austausch, Erlebnis und gegenseitiger Wahrnehmung nochmal ganz anders öffnet als der digitale Raum.

Dr. Carsten Brosda

Welche Verantwortung übernimmt eine zukunftsorientierte Kulturpolitik bzw. Politik für Kulturelle Bildung?

Das Arbeitsfeld von Kunst und Kultur ist die Gesellschaft. Demnach ist Kulturpolitik immer auch Gesellschaftspolitik. Weil unsere Stadt sich weiterentwickelt und bunter wird, muss eine zukunftsorientierte Kulturpolitik Vielfalt offen begegnen. Der Weg dahin wäre die Realisierung der Leitidee „Kultur für alle“. Das erreichen wir durch möglichst vielschichtige Angebote: Zum einen geht es gerade in benachteiligten Stadtteilen darum, lebendige Interaktionen zu stärken und das kulturelle Angebot z. B. in Stadtteilkulturzentren, Bürgerhäusern oder auch Geschichtswerkstätten weiter zu fördern. Zum zweiten geht es darum, in etablierten Institutionen, wie beispielsweise Theatern und Museen, Zugangsbarrieren zu identifizieren und abzubauen. Und zum dritten geht es darum, neue und zeitgemäße „dritte Orte“, als die Kulturinstitutionen fungieren, zu bauen. So soll in Hamburg ein „Haus der digitalen Welt“ entstehen, in dem Volkshochschule und Zentralbibliothek untergebracht werden und die digitale Welt erlebt und erlernt werden kann.

Der Beitrag ist erstveröffentlicht in: Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung e. V. (2020): Zukunft – jetzt utopisch gerecht No. 19, kubi – Magazin für Kulturelle Bildung. No. 19-2020. Berlin. S. 46 – 49.

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Zitiervorschlag

BKJ: Kulturpolitik der Zukunft
https://www.bkj.de/grundlagen/was-ist-kulturelle-bildung/wissensbasis/beitrag/kulturpolitik-der-zukunft/
Remscheid und Berlin, .

  • Corona-Krise
  • Kultur macht stark

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Typo: 589
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