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Interview
Leitplanken für Prävention und Kinderschutz
25.03.20
Kulturelle Bildung ist mit ihren offenen Strukturen anfällig für perfide Täterstrategien. Doch sie hat auch ein Gegenmittel, betonen Sibylle Keupen und Matthias Laurisch: Sie stärkt Kinder und unterstützt sie, aufmerksam zu sein.
im Gespräch mit Sibylle Keupen und Matthias Laurisch
Sibylle Keupen ist Geschäftsführerin der Bleiberger Fabrik in Aachen, einem Werk- und Bildungszentrum mit angeschlossener Jugendkunstschule. Sie ist außerdem im Vorstand des Bundesverbands der Jugendkunstschulen und kulturpädagogischen Einrichtungen.
Matthias Laurisch ist als Referent für Bildung und Jugendpolitik bei der Deutschen Bläserjugend tätig. Zu seinen Arbeitsschwerpunkten gehören gute Rahmenbedingungen für junges Engagement, Vereins- und Verbandsentwicklung und Jugendpolitik.
Die Entwicklung von Widerständigkeit ist eine zentrale Zielstellung der Kulturellen Bildung. Was haben Themen wie Kindeswohlgefährdung, Schutzauftrag der Kinder- und Jugendhilfe oder Prävention damit zu tun?
Sibylle Keupen: Viele der methodischen Herangehensweisen der Kulturellen Bildung eignen sich hervorragend, um Kindern Stärke zu vermitteln und sie zu befähigen, das auch zu zeigen. Damit können sie sich gegen Übergriffe und Gefährdungen schützen bzw. abgrenzen. Wir sind aber auch mit der Ambivalenz von Widerständigkeit konfrontiert: Auf der einen Seite ist sie ein Zeichen von Stärke und Selbstbestimmung. Auf der anderen Seite kann widerständiges Verhalten auch ein Zeichen von „Mir geht's nicht gut und guck mal hin, da stimmt was nicht mit mir“ sein.
Wie können die Träger und Praktiker*innen den Schutzauftrag erfüllen und die Entwicklung von Widerständigkeit unterstützen?
Matthias Laurisch: Erstmal zuhören. Kinder und Jugendliche in ihrer Individualität verstehen und dann ihre Stärken stark machen, Selbstbewusstsein und Selbstwirksamkeit vermitteln. Das hilft auch in der Präventionsarbeit.
Sibylle Keupen: Und wir müssen uns klarmachen, dass wir auf Basis der Kinderrechte handeln. Das ist eine Haltungsfrage, die heißt, Kindern zu vertrauen und Vertrauen in ihre Kompetenzen und Emotionen zu haben, sie ernst zu nehmen, die Antennen auszufahren und genauer hinzusehen, weil sie oft wichtige Dinge nonverbal äußern. Wir müssen Kinder darin unterstützen, dass es ihnen gut geht, dass ihre Grenzen geschützt sind, dass sie ihre Rechte einlösen können.
Matthias Laurisch: Wir müssen auch über die Strukturen und Mechanismen von Macht nachdenken. Denn wir wissen, dass sexualisierte Gewalt vor allem mit Macht und weniger mit Sexualität zu tun hat. Täter*innen nutzen Machtstrukturen. Es ist wichtig, Hierarchien neu zu denken und Kinder zu ermächtigen.
Welche Widerstände müssen von Gewalt betroffene junge Menschen überwinden? Wie können Praktiker*innen ihnen helfen?
Sibylle Keupen: Was wir wissen, ist, dass jedes Kind erst sieben Erwachsene ansprechen muss, bis es gehört wird. Diese Zahl muss dringend verringert werden. Das Wissen darum, wie sich Kinder äußern und wie Missbrauch vorbereitet wird, ist für die Praktiker*innen ein ganz wichtiger Hintergrund, um einen genauen Blick zu haben. Wir müssen also die Sensibilität erhöhen: Wann und wodurch ist das Verhalten plötzlich anders? Gerade in der Kulturellen Bildung, wo wir stark mit Körperlichkeit arbeiten, also nah dran sind an den Signalen, die ein Kind äußert, haben wir viele Möglichkeiten, Kinder zu unterstützen.
Matthias Laurisch: Es gibt keinen Schlüssel, der garantiert, dass Kinder sich öffnen. Ganz klar müssen wir Settings schaffen, in denen sich Kinder wohlfühlen und individuell sein können, die gewaltfrei sind.
Das Stichwort ist hier für mich: Rollenbilder. Sie können das Verschleiern von sexualisierter Gewalt begünstigen. Zum Beispiel: Indianerherz kennt keinen Schmerz oder die Mädchen, die nicht widersprechen sollen. Mit solchen Rollenbildern werden Machtstrukturen zementiert und Möglichkeiten sich zu äußern, begrenzt.
Welche Gefahren liegen in den Angeboten Kultureller Bildung selbst?
Matthias Laurisch: Wir wissen, dass Täter*innen auch unser Feld nutzen, um Zugang zu Kindern und Jugendlichen zu bekommen. Und unsere offenen Strukturen lassen da viel zu. Wir haben eins zu eins Situationen, Einzelausbildung. Wir haben zusätzlich sehr intime Situationen, einen Kontakt, der mit Gefühlen zu tun hat. Und wir haben in den ehrenamtlich getragenen Strukturen, mit Vereinsheimen halb öffentliche, halb private Räume. Wir haben viele Künstler*innen und viele Ehrenamtliche, die sich nicht ständig mit den Fragen auseinandersetzen können, mit denen sich pädagogische Fachkräfte beschäftigen. Dessen müssen wir uns bewusst sein und Strategien entwickeln.
Wie können in der kulturpädagogischen Praxis sichere Räume geschaffen werden?
Sibylle Keupen: Wir brauchen transparente Strukturen, müssen Machtstrukturen analysieren und die Themen Kindeswohlgefährdung und Prävention in den Diskurs bringen. Die Kinder müssen wissen, dass es einen Raum gibt, in dem sie sich äußern können und ernst genommen werden. Dann braucht es auch klare Verantwortlichkeiten in den Einrichtungen und Verbänden.
Matthias Laurisch: Um Grenzüberschreitungen jeglicher Art zu verhindern bzw. Klarheit darüber zu erlangen, hilft natürlich ein Regelwerk, wo alle wissen, okay, so machen wir es, das ist erlaubt, das ist unser Korridor und da sind links und rechts Leitplanken, über die geht es nicht hinaus. Es definiert auch die Rechte der Kinder untereinander. Auch eine Beschwerdestelle gehört dazu. Widerständigkeit wird massiv gestärkt durch ein Regelsystem, das mit den Kindern gemeinsam bearbeitet wird und für alle einen Handlungsrahmen bietet: Darauf kann ich mich berufen, sowohl als Kind, als auch als Ehrenamtliche*r oder Fachkraft.
Sibylle Keupen: Ein solches Regelwerk ist auch eine Positionierung eines Verbandes oder der einzelnen Einrichtungen. Damit wird z. B. gegenüber Eltern gezeigt, darauf kann man sich bei uns verlassen. Das nach außen zu kommunizieren, ist von zentraler Bedeutung für die Präventionsarbeit. Wichtig ist eine Kultur der Achtsamkeit bezogen auf die Kinder Rahmenbedingungen und Strukturen insgesamt. Dazu braucht es einen Kulturwechsel, um Kindern einen sicheren Raum zu geben, wo sie sich öffnen können.
Matthias Laurisch: Und natürlich auch achtsam mit sich selbst umzugehen. Denn wir leben Kindern gewisse Dinge vor, nämlich, alles durchstehen zu können und ganz hart zu sein und permanent über die eigenen Grenzen zu gehen. Wir müssen uns überlegen, welche Signale wir aussenden.
Das Thema Kindeswohlgefährdung stößt in der Praxis auch auf Widerstände. Wie können diese Widerstände überwunden werden?
Sibylle Keupen: Das erlebe ich vielfach auf allen Ebenen. Dass wir den Kinderschutzauftrag verbandlich so deutlich formulieren, erweckt bei manchen Menschen den Eindruck, dass unsere Praxis nicht gut genug sei. Doch, die ist sehr gut! Es geht aber darum, unseren Blick durch die Lupe Kinderschutz zu schärfen. Hier müssen wir ansetzen, um unsere Potenziale zum Wohle der Kinder einzusetzen und unsere Mitarbeitenden zu stärken, dazu braucht es Wissen, klare Handlungsrahmen und konkrete Ansprechpartner*innen. Das hat nichts damit zu tun, alle Mitarbeitenden unter Generalverdacht zu stellen.
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