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Interview

Gemeinsam nachhaltige Entwicklung anpacken

Im Gespräch mit Dr.in Verena Holz, Kommission Bildung für nachhaltige Entwicklung der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft

31.08.21

Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) ist kulturell transformierend. Außerschulische Akteur*innen, z. B. aus der Kulturellen Bildung, wirken dann stark impulsgebend, wenn sie entsprechend Unterstützung erhalten.

Dr.in Verena Holz ist Kulturwissenschaftlerin, Lehrerin sowie Vorsitzende der Kommission Bildung für nachhaltige Entwicklung der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft und im Landesvorstand des BUND Niedersachsen.

Bildung für nachhaltige Entwicklung: Warum ist dieses Bildungskonzept für Kinder und Jugendliche und für ihre Zukunft wichtig?

Dies ergibt sich aus der globalen Situation, in der wir derzeit leben. Die Menschen in den Industrienationen sind zu lange verschwenderisch und verantwortungslos mit dem Lebensraum Erde umgegangen. Die Auswirkungen sehen wir tagtäglich: Klimawandel, Verlust der Artenvielfalt und Ökosysteme, Kriege um Ressourcen und die daraus folgende Armut und Zerstörung sowie die Notwendigkeit vieler Menschen, ihre Heimat verlassen zu müssen. Begleitet werden diese Prozesse von fehlender Gerechtigkeit zwischen den Ländern des Nordens und des Südens, zwischen Arm und Reich. Doch bisher sind es hierzulande zu wenige, die Wert auf Nachhaltigkeit legen und ihren Lebensstil geändert haben, damit auch Kinder und Jugendliche einer lebenswerten Zukunft entgegenblicken können. Deswegen ist BNE zu einem Bildungsinhalt für alle geworden, der ganz oben auf der Agenda steht.

Umso wichtiger ist handlungsorientierte Bildung: Inwieweit ist Bildung für nachhaltige Entwicklung in Schule verankert?

BNE ist häufig bestimmten Fachdidaktiken zugeordnet, z. B. den Naturwissenschaften oder der Geografie. Teilweise finden wir das Konzept auch in den Fächern Politik und Wirtschaft, Ethik oder Sachunterricht. Allerdings verfolgt BNE einen inter- und transdisziplinären Ansatz, bei dem auch ökonomische, soziale und kulturelle Perspektiven eine große Rolle spielen. Insofern sind die geisteswissenschaftlichen Fächer ebenso gefordert, ihren Beitrag zu leisten. Viele Lehrpläne haben aufgrund der Wichtigkeit des Themas inzwischen eine Präambel formuliert, die nachhaltige Entwicklung den anderen Inhalten voranstellt.

Und welche Probleme sehen Sie in Schulen?

Es gibt immer noch zu wenig Fortbildungsangebote für Lehrer*innen. Diese müssen wissen, wie sie das Thema mit dem vorgeschriebenen disziplinären Wissen verknüpfen, wie sie sich mit außerschulischen Bildungsträgern vernetzen können und welche methodischen und didaktischen Fragen dahinterstehen. Das Thema muss überall gleichermaßen in die Ausbildung der Schüler*innen fließen und die Unterrichtsstrukturen müssen entsprechend angepasst werden. Mit der klassischen 45-Minuten-Taktung ist es schwierig, ein problem- und projektorientiertes und vielleicht noch mit Kooperationen versehenes Lernprogramm aufzusetzen. Auch die Kooperation zwischen den Fächern ist schwer umsetzbar, solange die disziplinären Grenzen des Fachunterrichts weiterverfolgt werden.

Wie schätzen Sie dagegen die aktuelle Bedeutung von BNE in der außerschulischen Bildung ein?

Sehr hoch. Außerschulische Bildungsträger beziehen sich auf aktuelle Programme, verfolgen gesellschaftspolitische und kulturelle Entwicklungen und sind dadurch häufig auf einem aktuelleren Stand als die Schule. In der außerschulischen Bildung wird auch mal was ausprobiert und es werden andere Arbeitsweisen genutzt. Auch Kooperationen werden in diesem Bereich großgeschrieben. Die Akteur*innen selbst sind oftmals Personen mit einem vielfältigen Lebenslauf und vereinen inhaltlich unterschiedliche Perspektiven in ihrer Person. Oft sind sie schon gut vernetzt mit Kommunen und anderen Akteur*innen.

Inwieweit ist Nachhaltigkeit ein kultureller Transformationsprozess?

Das Thema nachhaltige Entwicklung findet auf verschiedenen Ebenen statt. Es ist nicht nur eine kognitive Entscheidung, sondern hat auch viel mit Gewohnheiten, Emotionen, Affekten und Verhaltensweisen zu tun, die sich kulturell eingeschlichen haben. Es geht darum, neben Verhaltensweisen auch unsere Lebensstile, Güter und Denkweisen zu verändern. Oder auch in der Bildung: Es herrschen immer noch Bildungsideale vor, die die Elitenbildung fördern und die Gemeinschaft eher zurückstellen. Ich glaube, das muss stärker auf die Agenda gebracht werden, damit die Menschen verstehen:

Nachhaltige Entwicklung ist nicht nur eine politische Transformation, sondern es geht darum, wie wir zusammenleben, wie wir unseren Alltag und unsere Gesellschaft organisieren. Das ist ganz klar eine kulturelle Frage, die von allen gestaltet werden muss.

                               Dr.in Verena Holz

Dann gehen wir von der kulturellen Frage zur Kulturellen Bildung: Was trauen Sie der Kulturellen Bildung zu?

Kulturelle Bildung verfügt über besondere Perspektiven, Erkenntnisse und Methoden – sie bedient sich der Sprache der Ästhetik. Dabei werden die Sinne und Emotionen angesprochen, aber auch zwischenmenschliche Beziehungen. So ermöglichen Akteur*innen der Kulturellen Bildung andere Zugänge zu Themen einer nachhaltigen Entwicklung – sie können z. B. Klimagerechtigkeit in Form eines Theaterstückes mit den Lernenden erfahrbar machen. Kulturpädagog*innen und Künstler*innen sind Expert*innen auf ihrem Gebiet und kennen die entsprechenden ästhetischen und pädagogischen Strategien genau. Auch was Partizipation betrifft, leistet Kulturelle Bildung einen starken Beitrag, da ihre Projekte, Mitgestaltung und Empowerment von Kindern und Jugendlichen fördern.

Finden diese Potenziale Kultureller Bildung Anerkennung?

Die Wertschätzung, die verschiedenen kulturellen Bildungsträgern zugesprochen wird, könnte im Grunde höher sein. Das müsste sich u. a. in der Bezahlung äußern und der Art und Weise wie kulturelle Bildungsträger institutionalisiert werden. Auch bei Förderstrukturen muss nachgesteuert werden. Derzeit sind sie noch sehr sektoral, für Umwelt und Kunst gibt es beispielsweise meist getrennte Töpfe. Außerdem ist bei den kurzen Projektlaufzeiten und dem derzeitigen Anspruch, dass sich Projekte nicht wiederholen sollen, Kontinuität oft nicht gewährleistet. Bei Kooperationen muss zudem dafür gesorgt sein, dass die Außerschulischen ausreichend versorgt sind und Möglichkeiten und Räume für den Austausch zwischen den verschiedenen Akteursgruppen bestehen. Insgesamt muss es noch mehr Möglichkeiten für die Kooperation mit formalen Bildungsträgern geben.

Sehen Sie weitere Grenzen der Kulturellen Bildung?

Man kann nicht davon ausgehen, dass die beteiligten Künstler*innen automatisch alle Dimensionen einer nachhaltigen Entwicklung auf dem Schirm haben. Das ist aber auch in Ordnung. Dann müssen andere Expert*innen an dieser Stelle weiterarbeiten. Manchmal funktionieren Kooperationsprojekte nicht, weil sich die unterschiedlichen Arbeitsweisen oder Perspektiven der Partner, die für das Funktionieren des Bildungskonzepts BNE grundlegend sind, nicht vereinbaren lassen. Diese Grenzen der transdisziplinären Arbeit sind etwas, womit wir auch immer zu tun haben werden.

Wichtig ist, dass die Kulturelle Bildung sich nicht instrumentalisieren lässt.

                               Dr.in Verena Holz

Ich habe mehrfach erlebt, dass sich andere Bildungsbereiche der Künste bedienen, um ihre Nachhaltigkeitsprojekte mit Emotionen aufzuladen. Das ist der falsche Ansatz und widerspricht dem Selbstverständnis der Kunst.

Der Beitrag ist erstveröffentlicht in: Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung e. V. (2020): Zukunftsgestalter*innen. Mit Kunst und Kultur für die Gesellschaft aktiv. Arbeitshilfe. Berlin/Remscheid. S. 84-87.

Zitiervorschlag

BKJ: Gemeinsam nachhaltige Entwicklung anpacken
https://www.bkj.de/ganztagsbildung/wissensbasis/beitrag/gemeinsam-nachhaltige-entwicklung-anpacken/
Remscheid und Berlin, .

  • Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE)

BKJ-Inhalt

Typo: 310

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