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Aus der Praxis

Gegen die Strömung

Projekt „Gegen die Strömung“, PAKT e. V., Freiburg

13.09.21

Es geht hoch her an der Dreisam. Auch wenn der Fluss, der sich durch das Freiburger Stadtrandgebiet schlängelt, in diesem Sommer kaum mehr Wasser mit sich führt. Über die Felssteine springen, singen und tanzen Kinder aus einer Unterkunft für Geflüchtete.

Von: Kathrin Köller

Sie spielen, dass der Fluss eine alte Frau und sie ihr Geist sind. Um so einen fröhlichen, kreativen und liebevollen Geist wie diese Sechs- bis Zwölfjährigen vom Projekt „Gegen die Strömung“ wird die Flussfrau sicherlich von vielen Menschen beneidet.

Ein paar Tage vorher sah das noch ganz anders aus. Für viele der Kinder, die an den Ferienprojekten des Freiburger Vereins PAKT e. V. teilnehmen, ist die Natur zunächst eher eine etwas unheimliche Unbekannte, vor der man sich lieber fernhält und deren Bedürfnisse nicht groß interessieren. „Das fängt damit an, dass manche Kinder das allererste Mal auf einer Wiese sitzen und Gras berühren“, erzählt Projektleiterin Felicia Jübermann, die „Gegen die Strömung“ ins Leben gerufen hat. „Iiih, da sind ja auch Fliegen und Käfer“, ist oft die erste Reaktion der Kinder, von denen die meisten in einer Unterkunft für Geflüchtete leben. Viele Eltern sind dort erstmal froh, ein Dach über dem Kopf zu haben und der geschlossene Raum bedeutet Sicherheit. Ein wichtiger Teil des Projekts ist daher, den Kindern „Wald, Wiese und Fluss neben dem Wohnheim zu zeigen und zu vermitteln, dass Natur ein großer und unbegrenzter Raum ist, den sie beleben und genießen können und in den sie möglichst auch ihre Familien einladen, damit auch sie dieses Spielfeld kennenlernen.“

Wer eine Zukunft in der Natur will, muss sie achten und schützen

Dass die alte Dame Natur selbst auch Bedürfnisse hat, ist ein weiterer Aspekt, bei dem die Kinder eine steile Lernkurve hinlegen. Gleich am ersten Tag blicken sie auf dem Heimweg auf ihre Vesperstelle zurück. Da liegt jede Menge Müll verstreut. Von ihnen. Gemeinsam planen sie nicht nur, ihre Essensstelle wieder zu säubern, sondern die Kinder sammeln Ideen, wie sie der Natur etwas Gutes tun können. „Dann kommen Ideen, wie zum Beispiel den trockenen Bäumen von zu Hause eine Flasche Wasser mitzubringen. Als es im Sommer so furchtbar trocken war, da haben sich alle eine Pflanze ausgesucht, die sie jeden Tag gegossen haben. Das sind so Sachen, die von den Kindern als Ideen kommen und die wir dann umsetzen,“ erzählt Felicia Jübermann. Nicht alles stellt sich als praktikabel heraus, aber sie probieren es aus, besprechen es in der Gruppe und kommen gemeinsam wieder auf neue Ideen.

Ein Baum ist ein Baum ist ein Tier ist ein Prinz

Wertschätzung, Kreativität und das Finden von Lösungen werden in allen gesellschaftlichen Bereichen, von der Wirtschaft, über die Ökologie bis in die Politik, gebraucht. Zu vermitteln, wie das geht, ist eine der großen Stärken von Kultureller Bildung, ist die Projektleiterin der Ferienprojekte überzeugt.

„Gegen die Strömung ist übrigens durchaus wörtlich zu nehmen. Wir versuchen, gegen die Strömung zu schwimmen und künstlerisch mit den Kindern Sachen zu machen, die sie noch nie gemacht haben.“

                       Felicia Jübermann

Da darf der Körper mit Farbe bemalt werden und ein Baum kann Teil einer Theaterkulisse sein. Vielleicht spricht er aber auch und übernimmt eine Rolle im Theaterstück der Kinder? Die Gruppen probieren sich aus. Natur ist für sie nicht nur ein Ort zum Spielen und Erholen, ein Ort, den sie pflegen und schützen, die Grand Dame ist selbst auch Teil der Kunst. Und sie fordert ihren Mitspieler*innen eine Menge an Flexibilität und Kreativität ab. Als die Kinder ihr Stück um den Flussgeist proben, erleben sie jeden Tag einen anderen Fluss. Mal fließt Wasser, mal liegen die Steine ganz frei. Die jungen Schauspieler*innen passen sich an, stellen sich den Herausforderungen und spielen mit der Natur. Gleichzeitig spielt auch die Naturwissenschaft eine Rolle und die Kinder lernen, was mit dem Wasser passiert, wenn der Fluss austrocknet.

„Es war schön, dass du deine Kekse mit mir geteilt hast.“

Die wertschätzende Haltung gegenüber der Natur spiegelt sich auch im menschlichen Miteinander, das die Mitarbeiter*innen von Tag eins an etablieren. Auch wenn das gegenseitige Zuhören am Anfang eine riesige Herausforderung ist, legen die Projektmitarbeiter*innen viel Wert darauf, dass die Kinder ihre Wünsche äußern, reflektieren, was sie vielleicht am nächsten Tag noch besser machen könnten und jeder der Ferientage schließt mit einem Kompliment an den Nachbarn ab. Im Kreis herum sagt jedes Kind dem, das neben ihm sitzt, etwas positives. „Und da sind die Kinder aufgeblüht, wenn das Kind, dass sie vielleicht den Tag über geärgert hat, dann doch noch was Schönes sagt und anschließend haben sie sich strahlend gemeinsam auf den Heimweg gemacht“, berichtet Felicia Jübermann. Eine kleine Aktion, die aber für die Beteiligten von großer Bedeutung ist. „Viele der Kinder, die zu uns kommen, haben das Gefühl verinnerlicht, ‚falsch‘ zu sein. Sie werden immer irgendwo gemaßregelt, ermahnt und abgestempelt. Diese Kinder erleben zu lassen, dass sie richtig sind, das macht das Leben lebenswert“, erklärt Felicia Jübermann glücklich. Und ihr geht es dabei nicht nur ums Hier und Jetzt, sondern sie hat bei diesem Ansatz auch die Zukunft im Kopf.

Was bleibt?

Was die Projektleiterin am meisten freut, ist die Nachhaltigkeit der Workshops. Wenn aus einem schwierigen sozialen Miteinander beim Sommer-Workshop nach ein paar Tagen Theater, Akrobatik, Stockkampf und Schwimmen im Fluss eine Gruppe wächst, die respektvoll und wertschätzend miteinander umgeht, und vier Monate später, im Schnee und Eis, beim nächsten Ferien-Workshop, das mit der Wertschätzung noch genauso funktioniert, dann ist das ein großer Erfolg. Wenn Jugendliche zwischen 14 und 18 Jahren, die als Kinder an den Workshops teilgenommen haben, heute selbst Kleingruppen theaterpädagogisch anleiten und genau wissen, welche Inhalte und Wertschätzung sie vermitteln wollen und sich mit viel Liebe und Geduld kreativ an die Arbeit machen, dann blickt auch die Grand Dame Natur optimistisch auf diese Jugendlichen und freut sich auf das, was da kommt.

Der Beitrag ist erstveröffentlicht in: Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung e. V. (2020): Zukunftsgestalter*innen. Mit Kunst und Kultur für die Gesellschaft aktiv. Arbeitshilfe. Berlin/Remscheid. S. 92-95.

FörderungDas Projekt „Gegen die Strömung“ wird gefördert im Programm „Künste öffnen Welten“ der Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung (BKJ) im Rahmen des Gesamtprogramms „Kultur macht stark“ des Bundesministeriums für Bildung und Forschung.
Bündnispartner

PAKT e. V.

Logopädische Praxis Vogel

Deutsches Rotes Kreuz Kreisverband Freiburg e. V.

Zitiervorschlag

BKJ: Gegen die Strömung
https://www.bkj.de/ganztagsbildung/wissensbasis/beitrag/gegen-die-stroemung/
Remscheid und Berlin, .

  • Kultur macht stark

BKJ-Inhalt

Typo: 310

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