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Aus der Praxis

Vernetzung schafft Räume

Projekt „Buchkinder Colditz“, Freundeskreis Buchkinder, Colditz

07.03.23

Das Städtchen Colditz liegt mitten im Leipziger Land: rund 9.000 Einwohner*innen, verteilt auf 25 Ortschaften, teilweise bis zu acht Kilometer voneinander entfernt. Wie ist es dort gelungen, Kinder und Jugendliche in Horten und Kitas für das Projekt Buchkinder zu gewinnen?

Von Christina Budde

Behutsam leiten die Mitarbeiter*innen der Buchkinder Colditz in der Schreib- und Buchwerkstatt im Hort der Kindertagesstätte „Sankt Martin“ Kinder im Alter von vier bis zehn Jahren dazu an, eigene, ganz individuelle Geschichten zu erfinden. „Was ist dein Lieblingswesen und wie heißt es, wo wohnt es und welche Freunde hat es?“, wird da beispielsweise gefragt. Die lustigen, verrückten, auf jeden Fall fantasievollen Geschichten werden für die Vorschulkinder aufgeschrieben, die Schulkinder machen das allein: „In ihrer Kindersprache“ und nicht in Erwachsenensprache, wie Einrichtungsleiterin Gloria Pröhl betont. Anschließend illustrieren die Kinder ihre Geschichten mit Bleistift auf altem Linoleum und ritzen die Linien mit kleinen Messern aus. „Das ein oder andere Pflaster war da nötig“, lacht Pröhl. Der entstandene Linolschnitt wird mit Farbe bepinselt, von den Dozent*innen eingescannt und per E-Mail an den Buchbinder geschickt, der daraus bunte Bücher von zehn bis dreißig Seiten macht. 

Am Ende gab es ein Buch als fertiges Produkt, das beispielsweise zu Weihnachten verschenkt wurde. Das sei auch ein Faktor gewesen, die Eltern ins Boot zu holen, beschreibt Sozialpädagogin Christin Woitschach vom Bildungs- und Sozialwerk Muldental e. V. (BSW).

Für die Eltern hat es sich gelohnt, die Kinder nicht nur wohl behütet, sondern auch noch kreativ angeregt im Hort zu wissen.

Christin Woitschach 

Immer noch zu wenig Nachmittagsangebote 

Katja Meyer, die Kulturbeauftragte der Stadt ColditzChristin Woitschach vom BSW hat das Projekt Buchkinder Colditz ins Rollen gebracht. Als der Verein Buchkinder Leipzig sie ansprach, ob die Buchkinder nicht auch auf dem Land möglich seien, war sie sofort begeistert und tauschte sich mit interessierten Multiplikatoren aus. Schnell wurde eine Gruppe tatkräftiger Unterstützer:innen zusammengestellt. Darunter auch Christin Woitschach vom BSW Muldental e.V., welche den Antrag für das Projekt „Buchkinder“ bei der BKJ verfasste: Ganztagsangebote seien im ländlich geprägten Colditz für die gerade durch Corona „besonders geforderten Kinder“ immer noch zu wenig vorhanden, besonders jene, die die Fantasie und Kreativität fördern. „Solche Gruppenangebote wirken auch dem Individualismus entgegen“, ist sie überzeugt. „Es ist gut, sich von Zeit zu Zeit vom Bildschirm zu lösen und sich kreativ mit dem guten alten Buch zu beschäftigen“, ergänzt Kita- und Hortleiterin Gloria Pröhl. Zugleich fördert die Buchkinderarbeit den Spracherwerb und führt an handwerkliche Arbeit heran. 

Mit dem Schneeballprinzip

Als Teamleiterin Schulsozialarbeit ist Christin Woitschach beim großen Träger BSW in Colditz beschäftigt. Das hatte von Anfang an den Vorteil, auf ein bestehendes Netzwerk in der Stadt zurückgreifen zu können. „Man kennt sich hier, weiß, wer wo arbeitet und auf welchen kurzen Wegen man jemanden erreichen kann“, sagt sie. Dennoch war sie selbst erstaunt, wie schnell verschiedene Akteure bereit waren, sich als Netzwerk am Projekt zu beteiligen: Die Stadt Colditz mit der Kulturbeauftragten stellte Räume für ein offenes Angebot im alten Stadtmuseum zur Verfügung. Sozialarbeiter-Kolleg*innen vom BSW sprachen in ihren jeweiligen Einrichtungen Eltern und Kinder an, ob sie Lust hätten, mitzumachen. Vom offenen Angebot ausgehend erfuhren Geschwisterkinder in Grundschulen und Kitas von der Schreib- und Buchwerkstatt. Auch die Einrichtungsleiterinnen der Grundschulen und der zwei Horte, die die nachmittäglichen Ganztagsangebote in Colditz gestalten, waren schnell bereit, sich zusammenzusetzen und über die Umsetzung von wöchentlichen Angeboten in ihren Einrichtungen zu sprechen. 

„Es war auch hier ein Vorteil, dass wir fertige Bücher von den Leipziger Buchkindern zeigen konnten und das Projekt damit für jeden vorstellbar wurde“, glaubt Christin Woitschach. Der Leipziger Verein brachte zudem das Know-how und die Technik für die Fertigung einfacher Bücher ein. Er transportierte die Materialien mit dem Vereinsbus und vermittelte das Wissen an einen Pool von Colditzer Künstler*innen, Ehrenamtler*innen und Fachkräften, die daraufhin wiederum die Buchwerkstätten in Colditz selbstständig anleiten konnten. So wurden neben den offenen Angeboten im Stadtmuseum Schreib- und Buchwerkstätten in den beiden Horten, in mehreren Kindertagesstätten und als Ferienangebote in den Grundschulen möglich. 

Angebote zeitlich bedarfsgerecht gestalten

Die beiden Grundschulen und Horte mit Ganztagsangeboten ihren Nachmittagsangeboten haben in Colditz jeweils eigene Träger und befinden sich nicht unter dem Dach der jeweiligen Grundschuleeinem Dach. Eine besondere Herausforderung bei den Hortkindern bestand daher darin, das Angebot so zu gestalten, dass diese es zeitlich auch wahrnehmen konnten. In Colditz fahren zwar Busse ins Umland, oft sorgen jedoch Eltern für die notwendige Mobilität und befördern ihre Kinder in die Kleinstadt und wieder hinaus. Wenn Schulstunden ausfallen und Kinder mittags erst einmal in ihrem kilometerweit entfernten Zuhause sind, fahren Eltern sie kaum noch einmal zurück nach Colditz.
 
„Deshalb sind wir bewusst in die ‚Nachmittagslücke‘ von 14.30 bis 16.30 Uhr gegangen“, berichtet Christin Woitschach. Diese Lücke entsteht manchmal in der Zeit nach dem Mittagessen und den Hausaufgaben und bis die Kinder von ihren Eltern abgeholt werden. Wenn sie nicht vom Hort begleitete Sport- und andere Angebote von externen Einrichtungen besuchen, wird einfach gespielt. „Da passte es gut, dass wir die Schreib- und Buchwerkstatt als etwas ganz Neues anbieten konnten“, meint Einrichtungsleiterin Gloria Pröhl. „Für die Eltern hat es sich gelohnt, die Kinder nicht nur wohl behütet, sondern auch noch kreativ angeregt im Hort zu wissen“, so Christin Woitschach.

Dahin gehen, wo die Kinder sind

„Wir haben sehr unterschiedliche Kinder vor allem bis etwa 14 Jahre erreicht“, erzählt sie weiter. Die älteren Jugendlichen der Oberschule hätten oft andere Erwartungen und wollten gleich ganze Romane schreiben. Die Zugpferde für die Kinder waren zunächst jene Eltern, die stark an Kultur interessiert sind, sie „rissen die anderen in den Hortgruppen mit“, so Christin Woitschach. „Mach mit, ich übernehme auch den Transport“, hieß es dann. 

Die Buchwerkstätten fanden als niedrigschwelliges Angebot direkt in der Hort-Einrichtung statt. „Wir haben auf diese Weise alle erreicht, auch Kinder aus benachteiligten Familien und Geflüchtete“, berichtet Einrichtungsleiterin Gloria Pröhl. Zum Erfolg des Angebots habe auch beigetragen, „dass es nichts gekostet hat und dass wir die Organisation übernommen haben“, ergänzt Christin Woitschach. Außerdem habe es alle stolz gemacht, am Ende ein eigenes Buch in den Händen zu halten. 
Christin Woitschach hat die Organisation gern übernommen, denn bei so vielen Kooperationspartnern „muss es bei einem zusammenlaufen“, wie sie sagt. Herausfordernd und zeitaufwändig war es trotzdem. „Gut, dass sich alle Bündnispartner so gut verstehen und wissen, dass sie sich aufeinander verlassen können“, sagt die Colditzerin.

„Buchkinder Colditz“ ist ein Kooperationsprojekt vom Bildungs- und Sozialwerk Muldental e. V., Freundeskreis Buchkinder und der Stadt Colditz, gefördert im Programm „Künste öffnen Welten“ der Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung (BKJ), im Projektzeitraum 01.02.2021−30.06.2022, im Rahmen von „Kultur macht stark“ des Bundesministeriums für Bildung und Forschung.

Zitiervorschlag

BKJ: Vernetzung schafft Räume
https://www.bkj.de/ganztagsbildung/kuenste-oeffnen-welten/wissensbasis/beitrag/vernetzung-schafft-raeume/
Remscheid und Berlin, .

    BKJ-Inhalt

    Typo: 371

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