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Aus der Praxis
Was Kinderaugen sehen: Jugendliche Partizipation als Schlüssel zu mehr Sicherheit
22.08.24
In Oderberg können Kinder und Jugendliche in den Sommerferien Zirkusluft schnuppern. Kinderschutz ist für Zirkus Zack dabei ein wichtiges Thema. Beim diesjährigen Zirkuscamp konnten die Teilnehmer*innen sogar aktiv in die Sicherheits- und Planungsprozesse einbezogen werden.
Von Katharina Hennecken
Foto: Zirkus Zack
Foto: Zirkus Zack
Im brandenburgischen Oderberg an der polnischen Grenze finden einmal jährlich die Zirkusferienwochen statt. „Dieser Kontrast von Stadt und Land ist immer beeindruckend“, beschreibt Jahn Heidel vom Zirkus Zack, der die Zirkuswochen leitet, „alles ist grün, überall sind Felder und es gibt keine normale Straße, die zum Haus führt, sondern nur einen gepflasterten Weg. Und auf einmal stehst du mitten auf dem Gelände und da ist im besten Fall bereits ein Zirkuszelt aufgebaut – das ist einfach magisch.“ Die Ruhe auf dem Land eignet sich perfekt für die Zirkusferienwochen. Ob Handgeschicklichkeiten, wie Jonglage oder Diabolo, Akrobatik, Clownerie oder Balanceübungen auf dem Drahtseil: Die Kinder und Jugendlichen haben auf dem Land wenig Ablenkung und bauen gemeinsam mit professionellen Artist*innen, Pädagog*innen und ehrenamtlichen Betreuer*innen ihr ganz eigenes Konzentrationslevel auf.
Manege frei für die Wünsche von Kindern und Jugendlichen
Ein paradiesisches Setting, auf das der leitende Kulturpädagoge Jahn Heidel, der seit einem Jahr dabei ist, nun einen frischen Blick geworfen hat. Gemeinsam mit Kindern und Jugendlichen zwischen 9 und 21 Jahren und einer externen Fachkraft des Kinderschutzbunds analysierte er die Gegebenheiten auf dem Gelände und führte eine partizipative Risikoanalyse durch. Wann hat wer Dienst? Wo halten sich die Menschen auf? Wer bewacht den Swimmingpool? Ist der Weg zu den Duschen vielleicht ein bisschen zu dunkel?
Wir wollten die Kinder und Jugendlichen nicht nur als Teilnehmer*innen, sondern als Expert*innen gewinnen, die uns wichtige Einblicke geben können.
Jahn Heidel, Leiter der Zirkusferienwochen
Bereits im Vorfeld der Ferienwochen ist Jahn Heidel dem Impuls nachgegangen, das bestehende Schutzkonzept für die Kinder und Jugendlichen zu überarbeiten und sich ebenfalls intensiv mit dem bestehenden Verhaltenskodex für Begleiter*innen auseinanderzusetzen. Da Zirkusarbeit von Körperlichkeit und körperlicher Arbeit geprägt ist, werden die Mitarbeiter*innen des Zirkus Zack regelmäßig im Kinderschutz geschult. „Die Idee einer partizipativen Risikoanalyse kam während einer Info-Veranstaltung in Berlin“, erinnert sich Jahn Heidel, „wir wollten die Kinder und Jugendlichen nicht nur als Teilnehmer*innen, sondern als Expert*innen gewinnen, die uns wichtige Einblicke geben können.“ Eine Gruppe aus 16 Kindern und Jugendlichen, die schon einmal am Zirkuscamp teilgenommen haben oder künftig teilnehmen werden, kamen daraufhin zum Expertenrat nach Oderberg.
Sich auf die Agenda der Kinder einlassen
„Wir bestimmen ab sofort alles – und dein Job ist jetzt fertig“, meint ein Kind während der Risikoanalyse lachend. Nach der zweistündigen Busfahrt von Berlin nach Oderberg ist die Stimmung locker und ausgelassen. „Die guten Sachen sollen bleiben“, sind sich die Kinder und Jugendlichen einig. Tatsächlich geben sie nicht nur die Themen, sondern auch das Tempo vor. Erwachsene versuchen häufig Extreme zu finden, um sich Gehör zu verschaffen, meint Jahn Heidel. Ängste von Kindern zu benennen, die eventuell noch gar nicht existieren, die man aber vorbeugen könne, indem man feststellt: „Dieser Platz ist ein bisschen dunkel. Lass uns dagegen doch etwas unternehmen“, gehörten zum Beispiel dazu. Diese erwachsene Perspektive loszulassen und zu merken, dass bestimmte Themen für die Kinder und Jugendlichen weniger relevant sind, sei eine totale Bereicherung und der Schlüssel für eine gute Kommunikation. Er habe außerdem das Gefühl, dass es oft die vermeintlich kleineren Dinge gewesen sind, aus denen sich dann eine Diskussion entwickelt habe.
Sich bewusst auf die Agenda der Kinder einzulassen, sei zwar nicht immer einfach, lenke Gespräche aber in eine ganz andere Richtung als man vorher erwartet habe. So wurde der Umgang mit Heimweh bei den Kindern ebenso breit diskutiert, wie die Frage danach, welche Süßigkeiten mitgebracht werden dürfen. In kleineren Gruppen hatten die Teilnehmer*innen auch die Gelegenheit, altersspezifische Themen anzusprechen, so wurde zum Beispiel der Zugang zu Hygieneartikeln auf den Toiletten geregelt.
Wenn man Partizipation ernst nimmt, dann muss es Ergebnisse geben. Die Kinder müssen merken, dass nichts weggelächelt wird und dass sie ernst genommen werden.
Jahn Heidel, Leiter der Zirkusferienwochen
„Wenn man Partizipation ernst nimmt, dann muss es Ergebnisse geben. Die Kinder müssen merken, dass nichts weggelächelt wird und dass sie ernst genommen werden“, beschreibt Jahn Heidel die Atmosphäre. In dem ehemaligen und umgebauten Schützenhaus in Oderberg teilen sich alle Teilnehmer*innen zu acht ein Zimmer. Das birgt Konfliktpotenzial. „Wir haben tatsächlich fast zwei Stunden darüber gesprochen, wie wir die Verteilung der Zimmer noch gerechter gestalten können“, etwas das in diesem Jahr während der Ferienwochen direkt umgesetzt werden konnte. Auch Bauliches konnte schnell verändert werden: So wurden die Wege zu den Gemeinschaftsduschen mit Holzstegen versehen und zu kurze Duschvorhänge durch längere ersetzt.
Der offene und aufgeschlossene Blick der Beiteiligten sei das Wertvollste an der Erfahrung gewesen. „Es war sehr lebendig. Das fand ich sehr schön“, berichtet der Pädagoge. Es ginge bei dieser Methode nicht nur um die Analyse von Risiken, sondern auch um das Gestalten einer gemeinsamen Umgebung, in der sich alle Teilnehmer*innen wohlfühlen. „Es hat Spaß gemacht. Ich sehe in der Methode nur Vorteile“, sagt er. Auch für andere Projekte sei es ein großartiges Mittel zur Teilhabe. „Ich träume manchmal vom Zirkuscamp – das sind meine Lieblingsträume“, erzählt ein Kind. Dank seiner Unterstützung bei der partizipativen Risikoanalyse, werden die Zirkusferienwochen bestimmt ein Highlight für alle.
Ein Projekt im Rahmen des Förderprogramms „Start2Act“, gefördert von der Europäischen Union
Die partizipative Risikoanalyse des Zirkus Zack wurde im Rahmen des Förderprogramms „Start2Act“ der Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung (BKJ) durchgeführt. „Start2Act“ unterstützt lokale Träger und Verbände der Kulturellen Bildung dabei sichere Orte zu sein, in denen Kinder umfassend vor (sexualisierter) Gewalt geschützt sind.
Das Programm „Start2Act“ wird von der Europäischen Union gefördert. Die geäußerten Ansichten und Meinungen entsprechen jedoch ausschließlich denen der Autor*innen und spiegeln nicht zwingend die der Europäischen Union oder der Europäischen Kommission wider. Weder die Europäische Union noch die Europäische Kommission können dafür verantwortlich gemacht werden.
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