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Aus der Praxis

Theaterpädagog*innen gegen rechts

Projekt #theatre.makes.politics, Bundesverband Theaterpädagogik (BuT)

16.09.24

Theater macht Politik: In einer Zeit, in der Akteure Kultureller Bildung vor die Aufgabe gestellt werden, gesellschaftliche Spaltung zu thematisieren, ist das Projekt #theatre.makes.politics ein Beispiel für die konstruktive Thematisierung von Populismus im kulturpädagogischen Bereich.

Von Katharina Hennecken

Was kann antidemokratischen Kräften in Europa und dem immer stärker werdenden Rechtspopulismus in der Gesellschaft entgegengesetzt werden? Eine Antwort will das Projekt #theatre.makes.politics geben. Theaterpädagog*innen aus Griechenland, Nordmazedonien, Portugal, und Frankreich, sowie das KJT Dortmund - Theater für junges Publikum, als deutsche Partnerinstitution, entwickeln darin vier Formate, die sich dafür eignen, mit Jugendlichen zwischen 15 und 20 Jahren an den gesellschaftspolitisch aufgeladenen Themen Rechtsextremismus, religiös begründetem Fundamentalismus, Desinformation und Verschwörungserzählungen zu arbeiten. 

Die von den europäischen Organisationen erarbeiteten Methoden sollen nicht nur für Akteur*innen der Kulturellen Bildung in einem Handbuch festgehalten werden, sondern in der Praxisanwendung ebenso Jugendliche ermutigen, die Perspektive zu wechseln. Jungen Europäer*innen verständlich zu machen, wie populistische und extremistische Strömungen sie manipulieren, wie sie Widerstand bis hin zur Feindschaft gegenüber anderen Gruppen schüren, seien es Menschen, die geflüchtet sind, Muslim*innen, Christ*innen, „Ungläubige" oder LGBTQ+, sind die Hauptanliegen der internationalen Partner.

Es geht um Rechtsextremismus, Desinformation und Fundamentalismus

Eine allgemeingültige Antwort gibt es darauf nicht, aber die entwickelten Workshopformate, die Theaterpädagogik mit politischer Bildung verknüpfen, scheinen ein gutes und dynamisches Instrument zur Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus, Desinformation und Fundamentalismus zu sein. „Für uns hat die Mitarbeit im Projekt und die inhaltlich fundierte Arbeit zu den Themen das Bewusstsein geschärft, welchen Mechanismen die Radikalisierung von Jugendlichen folgt und wie wir gegen diese Tendenzen arbeiten können“, sagt Andreas Gruhn, Intendant des Kinder- und Jugendtheaters Dortmund.

Getestet werden die erarbeiteten Methoden von Projektpartner*innen, wie einzelnen Theaterpädagog*innen oder ausgewählten kulturellen Bildungseinrichtungen. Im Wesentlichen seien die Formate ganz ähnlich aufgebaut, erklärt Lutz Pickardt, der das Projekt von Seiten des Bundesverband Theaterpädagogik (BuT) koordiniert und in Kooperation mit dem Treibkraft Theater Hamm einen Workshop zum Thema Desinformation getestet hat.

Politischer Kontext trifft auf spielerische Gestaltung

In jedem Konzept gibt es eine Art Warm-Up, in der die Gruppen  sich kennenlernen, darüber austauschen, wie sie über die Zukunft, Migrationsfragen oder Fake News denken und bereits erste politische Meinungen sichtbar machen. In einem Mittelteil werden die Themen dann sehr unterschiedlich untersucht und bearbeitet. Das Thema Desinformation beispielsweise lädt zum spielerischen Lügen ein: Die Jugendlichen erzählen jeweils zwei wahre Geschichten und eine erfundene – „durchaus unterhaltsam!“, berichtet Lutz Pickardt.

Schnell werden auf diese Weise die Mechanismen von Verschwörungserzählungen deutlich und Fake News explizit herausgearbeitet und adaptiert. „Die Jugendlichen dramatisieren, lügen, übertreiben, wir geben ihnen Anleitungen, eine eigene Verschwörungserzählung zu bauen, die sie dann zum Ende des Workshops in einer gesellschaftlichen Dystopie spielerisch umsetzen.“ In einer abschließenden Reflexion geben die Pädagog*innen den Jugendlichen Hinweise, um Fakten zu überprüfen und weitere Strategien, Verschwörungserzählungen zu entlarven an die Hand.

Forumtheater: Mischung aus Ernst und Unterhaltung

Als besonders wirkungsvoll habe sich nach ersten Pilotworkshops auch die Methode des Forumtheaters erwiesen – ein Ansatz, der auf Augusto Boal zurückgeht. Dabei geht es nicht nur um die Reflexion über gesellschaftliche Missstände, sondern um das Nachspielen und aktive Erleben und Hineinfühlen von konfliktgeladenen Szenarien. „Es bringt die Erfahrungsebene viel stärker in die Begrifflichkeiten hinein und schafft einen anderen Zugang als auf kognitiver Ebene“, sagt Lutz Pickardt.

Das Forumtheater ergründet die Handlungsmöglichkeiten, in einer Situation, der die Teilnehmer*innen scheinbar wahllos ausgeliefert sind und lädt dazu ein, mit den eigenen Unsicherheiten zu Experimentieren. Es wird besonders dazu genutzt, das Thema Rechtsextremismus zu bearbeiten: „Im Rechtsextremismus oder auch im Islamismus spielt es eine große Rolle, den anderen Menschen zu entwerten. Wir schauen uns an: Was steckt dahinter? Welche Ängste stecken dahinter? Und dann werden diese Ängste nicht nur benannt, sondern wir ergründen gemeinsam, wie man mit diesen Ängsten und Unsicherheiten umgehen kann, ohne andere auszugrenzen, und wie man einen Weg findet, der inklusiv und nicht abwertend ist“, beschreibt Lutz Pickardt. Einzelschicksale betrachten und Empathie entwickeln, dabei könne Theater helfen, sagt Andreas Gruhn. Geschützte Räume zu erschaffen, in denen Begegnungen möglich sind und in denen Jugendliche sich damit auseinandersetzen können, wie sie sich beispielsweise an Stelle eines geflüchteten Menschen fühlen würden, sei die große Chance dieses Projekts.

Die Theaterpädagogik stellt neben Forumtheater, auch bildnerisch-künstlerische Installationen oder performativen Akte und damit Methoden bereit, die herausfordernden Themen künstlerisch zu bearbeiten. Auch wenn die Theaterpädagog*innen dabei einen offenen und spielerischen Austausch mit den Jugendlichen anstreben, funktioniert dies nicht immer. Neben dem Loslassen der eigenen Erwartungshaltung der Pädagog*innen, spielt die Gruppendynamik eine ebenso große Rolle. „Theater fordert: Schüchterne Menschen und auch Jugendliche, die den Frontalunterricht aus der Schule kennen, sind erstmal herausgefordert, sich mit ihrem ganzen Körper und ihren Emotionen aktiv zu beteiligen, das ist vielen neu“, berichtet der Theaterpädagoge. Wenn es den Jugendlichen gelingt aus ihrer Deckung herauszukommen, sei die Resonanz durchweg positiv. Das geben die Fragebögen im Anschluss an die Workshops wider. Die Teilnehmer*innen fühlten sich im Umgang mit anderen Meinungen geschulter.

Balance zwischen Aushalten und Positionieren

Die Förderung der Ambiguitätstoleranz ist den Projektverantwortlichen deshalb ein besonderes Anliegen. „Wenn wir Bewusstsein dafür schaffen, dass wir Menschen nicht auf ein Merkmal reduzieren können, sondern dass wir als Menschen vielschichtig sind, dann können wir vielleicht auch anders miteinander umgehen.“ Sich abzugrenzen und sich gegen rechts zu positionieren sei wichtig, aber das reiche nicht. Es ginge darum den Dialog zu suchen – auch mit Menschen, die eine ganz andere Meinung haben oder andere Werte vertreten als man selbst. Irgendwann ist allerdings auch die Toleranz des weltoffenen Projektleiters erschöpft: „Ich kann mich auf das Verbindende konzentrieren, aber ich muss nicht jede Diskussion führen, besonders nicht mit Menschen, die bereits total verbrettert sind.“

In Frankreich beispielsweise sei Islamismus spätestens seit Charlie Hebdo ein „ganz heißes Eisen“, sagt er, das Thema werde daher mit einer anderen Brisanz behandelt als in Deutschland. Ähnliches könne man auch in Portugal und Nordmazedonien feststellen, wo man sich stark mit christlichem Fundamentalismus auseinandersetze, ein Aspekt, der in der deutschen Gesellschaft vergleichsweise weniger relevant sei. In Griechenland und Nordmazedonien arbeite man außerdem sehr stark an dem Rechtsextremismusbegriff insbesondere im Zusammenhang mit geflüchteten Menschen.  „Es gibt viele Synergieelemente. Diesen politischen Kontext in der Theaterpädagogik eingebettet zu betrachten ‒ von diesem Blick über den Tellerrand profitieren alle internationalen Projektpartner*innen“, sagt Lutz Pickardt.

Wenn wir Bewusstsein dafür schaffen, dass wir Menschen nicht auf ein Merkmal reduzieren können, sondern dass wir als Menschen vielschichtig sind, dann können wir vielleicht auch anders miteinander umgehen.

Lutz Pickardt, Leiter des Projekts #theatre.makes.politics

Zwei Aspekte, die ihm dabei besonders wichtig sind: Internationalisierung und Politisierung. „Natürlich können wir die Welt nicht verändern, aber wie können wir als Theaterpädagog*innen politischer werden, um dem aufstrebenden Populismus und  Extremismus in Europa etwas entgegenzusetzen?“, beschreibt er, „wir können uns da nicht raushalten. Mein Eindruck ist, dass wir politischer werden müssen.“

Die europäische Dimension des im Rahmen von ERASMUS+ geförderten Projekts erlaubt dabei den Blick über den Tellerrand. Das Projekt nutzt die kulturelle Vielfalt Europas, um verschiedene Ansätze und Perspektiven in die Methodik einfließen zu lassen. Davon profitieren Akteur*innen Kultureller Bildung, wie Jugendliche gleichermaßen.

Zitiervorschlag

BKJ: Theaterpädagog*innen gegen rechts
https://www.bkj.de/digital/wissensbasis/beitrag/theaterpaedagoginnen-gegen-rechts/
Remscheid und Berlin, .

Unser Mitglied koordiniert das Projekt #theatre.makes.poltics.

Bundesverband Theaterpädagogik

Der Bundesverband Theaterpädagogik (BuT) vertritt die Theaterpädagogik als Fachdisziplin der Kulturellen Bildung in Deutschland. Mitglieder sind Menschen aus allen Arbeitsfeldern der Theaterpädagogik, Einzelpersonen und Institutionen. Als bundesweiter Fachverband verfolgt der BuT das Ziel, Theaterpädagogik als künstlerisch-ästhetische Praxis zu fördern, in deren Fokus das Individuum, seine Ideen und seine Ausdrucksmöglichkeiten stehen. Dadurch werden ästhetische, personale und soziale Kompetenzen vermittelt. Der BuT veranstaltet Fachtagungen, Fortbildungen für Multiplikator*innen sowie das jährliche Festival Bundestreffen Jugendclubs an Theatern und führt Modellprojekte zu aktuellen Themen durch. Die Qualifizierung des Berufsbilds Theaterpädagoge*in wird hergestellt durch die Festlegung und Weiterentwicklung von Rahmenrichtlinien zur Zertifizierung von theaterpädagogischen Aus- und Weiterbildungsbildungsgängen.

Aktivitäten

Bundestreffen Jugendclubs an Theatern
Das Jugendtheaterfestival wurde 1990 am Thalia Theater Hamburg gegründet und wandert seitdem Jahr für Jahr durch die Lande. Als einziges bundesweites Festival präsentiert es die Jugendclubarbeit als Teil der kulturellen Bildungsarbeit der Theater.
www.bundestreffen-jugendclubs.de

Publikationen

Zeitschrift für Theaterpädagogik Korrespondenzen
erscheint zweimal jährlich im Schibri-Verlag
www.butinfo.de/zeitschrift

Kontakt

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Seekabelstraße 4, 50733 Köln
Telefon +49 (0) 221 - 95 - 210 -93
Fax +49 (0) 221 - 95 - 210- 95
Mail mail(at)butinfo.de
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Typo: 723
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