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Interview

Für jugendgerechte ganztägige Bildung der Ökonomisierungslogik entgegenwirken

Interview mit Prof.in Dr.in Susanne Keuchel

19.03.18

Kulturelle Bildung im Ganztag dominanter positionieren, uns immer wieder kritisch hinterfragen und nicht mehr ausschließlich in der Ökonomisierungslogik denken – das fordert Prof.in Dr.in Susanne Keuchel zu beachten, wenn wir ganztägige Bildung jugendgerechter gestalten wollen.

Porträt von Prof. Dr. Susanne Keuchel

Susanne Keuchel ist Direktorin der Akademie der Kulturellen Bildung des Bundes und des Landes NRW, Vorsitzende der BKJ und Präsidentin des Deutschen Kulturrats. Ihre Forschungsschwerpunkte sind u. a. Empirische Kulturforschung und neue Technologien im Kulturbereich.

 

Welche Fragestellung haben Sie in Bezug auf Kulturelle Bildung und Ganztagsbildung?

Für mich wäre wünschenswert, dass die non-formale Bildung – und damit auch die Kulturelle Bildung – eine dominantere Position innerhalb des Ganztages bekommt. Der Ganztag ist bis dato so angelegt, dass non-formale Bildungspartner sich als Kooperationspartner integrieren. Die Frage ist natürlich, warum Schule gleichgesetzt wird mit Ganztag? Es könnten ja auch Schule plus Jugend den Ganztag paritätisch auf Augenhöhe gestalten. Das würde ich gern vertiefend diskutieren.

Wie stark prägt Ökonomisierung den Alltag von Kindern und Jugendlichen? Wie wird sich das Ihrer Meinung nach zukünftig gestalten?

Ökonomisierung prägt nicht nur Kinder und Jugendliche, sondern uns alle. Das hat uns in den letzten 20 Jahren alle sehr stark im Denken verändert. Wir denken zunehmend in Wertschöpfung, in Wirkungskategorien, in Effizienzkategorien. Das ist uns häufig selbst gar nicht bewusst.

Es gibt viele Komponenten, die mit Ökonomisierung einhergehen, und unterschiedliche Wirkungskontexte auslösen. Es gibt dabei nicht nur negative Aspekte, wie das Wort erst einmal vermuten lässt. Für die Perspektive von Kindern und Jugendlichen ist die Liberalisierung für mich ein wirklich sehr wichtiger Kontext in Bezug auf Ökonomisierung. Das heißt, die Individualisierung, die mit der Ökonomisierung einhergeht, gibt einem die Freiheit den Lebensweg selbst zu gestalten. Das finden wir in der Kulturellen Bildung sehr gut. Die Stichworte dazu sind: Stärkung des Subjekts, individualisierte Lebenswege, ich kann mein Leben so gestalten, wie ich möchte. Die Schattenseite, die ich häufig im Gespräch mit Kindern und Jugendlichen höre, ist die: „Ich könnte ja eigentlich alles tun und wenn mir das nicht so gelingt, dann bin ich selber schuld.“ Dann spielen natürlich Bewertungskriterien eines gelungenen Lebensweges eine Rolle. Diese Prinzip sieht man auch sehr gut im Bereich der sozialen Medien: Es wird etwas geliked oder disliked. Es wird alles bewertet. Junge Menschen können alles tun, aber was sie machen, ist vielleicht nicht richtig, weil es keine hohe Bewertung der anderen erfährt. Ich muss dünn sein, aber ich darf nicht zu wenig essen. Ich muss gesund sein, ich muss gut aussehen, ich muss erfolgreich sein, ich darf aber auch nicht zu dominant sein, ich darf nicht jenes sagen, ich darf nicht jenes tun. Das ist ein enormer Druck, der sich da konstruiert. Wenn es mehr Diskurse und Konsens über grundlegende gemeinsame Werte oder normative Grundorientierungen gäbe, wäre dies für Kinder und Jugendliche einfacher.

Wie kann Kinder- und Jugendarbeit gestaltet werden, um Orientierung zu bieten, Angebotenes zu hinterfragen und Selbstbestimmung zu ermöglichen?

Wir müssen uns selber kritisch hinterfragen. Wo haben wir gewisse Logiken schon so automatisch übernommen, dass wir sie nicht mehr hinterfragen? Zum Beispiel: Wie gehen wir mit unserem Anspruch, das Subjekt der jungen Leute zu stärken, in sogenannte „soziale Brennpunkte“ hinein? Eine Haltung: so jetzt haben wir euch gestärkt, jetzt seid ihr dann wieder selber schuld, wenn es nicht klappt, wäre nicht richtig. Wir müssen dabei systematisch die andere Komponente mitdenken und formulieren. Wir müssen auch die ungleichen Rahmenbedingungen und Ressourcen thematisieren und dürfen uns nicht darauf ausruhen, nur das Subjekt zu stärken. Wir müssen uns hinterfragen: Wie machen wir Projektanträge? Wie argumentieren wir, wie stark spielen Verwertungskriterien dabei eine Rolle? Wie aber können wir uns noch stärker selbst zwingen für die Kinder und Jugendlichen Ziele der Nachhaltigkeit ins Auge zu fassen und die auch der Politik gegenüber mutig zu vertreten? Welche neuen Logiken können wir finden? Es ist wichtig, nicht mehr ausschließlich in der Ökonomisierungslogik zu denken. Die UN-Nachhaltigkeitsagenda 2030 beispielsweise zur Logik zu machen, gibt ganz andere Möglichkeiten die Arbeit zu bewerten und sich auch wieder stärker normativen politischen Argumenten hinzugeben.

Was braucht Ganztagsbildung, um das Ziel von Jugendgerechtigkeit zu erreichen?

Wenn wir ganztägige Bildung jugendgerechter gestalten wollen, dann müssen wir der in der Bildung sich schleichend vollzogenen Ökonomisierungslogik entgegenwirken. Zum Beispiel müssen sich junge Leute ja kontinuierlich im schulischen Wettbewerb bewähren. Es braucht aber auch einen Freiraum des nicht Funktionierens. Nicht jede Zeit muss effizient bis zum Ende genutzt werden. Das ist sehr kontraproduktiv. Gerade in der Pubertätsphase ist es angelegt, auch mal widersprüchlich zu sein, sich gegen etwas zu positionieren. Nur wenn ich das erprobt habe, kann ich auch irgendwann für mich selber eine Position finden. Um den Anspruch von Jugendgerechtigkeit umzusetzen, muss genau das ermöglicht werden. Das ist nicht einfach. In formalen und selbst in non-formalen Räumen muss ganz bewusst gearbeitet werden, um diese freiheitlichen Aspekte innerhalb der Gesellschaft zu gewährleisten.

Das Interview ist anlässlich der Fachtagung der BKJ „Perspektiven wechseln. Chancen schaffen“ am 17. März 2018 in Remscheid aufgenommen worden.

(c) (BKJ-Standard für geschütze WB-Inhalte)

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Zitiervorschlag

BKJ: Für jugendgerechte ganztägige Bildung der Ökonomisierungslogik entgegenwirken
https://www.bkj.de/digital/wissensbasis/beitrag/fuer-jugendgerechte-ganztaegige-bildung-der-oekonomisierungslogik-entgegenwirken/
Remscheid und Berlin, .

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