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Interview
Digitalität gestalten: Eine Aufgabe für das ganze Feld der Kulturellen Bildung
04.11.20
Kulturelle Bildungspraxis mit all ihren Spielarten und pädagogischen Settings kann und muss den digitalen Wandel mitgestalten. Was dafür nötig ist, beschreiben Eva Bürgermeister und Julia Nierstheimer vom BKJ-Fachausschuss „Kulturelle Bildung und digitale Kommunikation“.
Dr.in Eva Bürgermeister leitet das Deutsche Kinder- und Jugendfilmzentrum (KJF), ist stv. Vorsitzende des BKJ-Fachauschusses „Kulturelle Bildung und digitale Kommunikation“ und Mitglied das BKJ-Vorstands.
Foto: Uwe Schinkel
Julia Nierstheimer ist Geschäftsführerin des Bundesverbands der Jugendkunstschulen und Kulturpädagogischen Einrichtungen (bjke) und Vorsitzende des BKJ-Fachausschusses „Kulturelle Bildung und digitale Kommunikation“.
Foto: bjke
Digital oder analog: Macht es noch Sinn, das zu trennen?
Julia Nierstheimer: Franz Josef Röll wirbt schon länger für den Begriff des „Virealen“, den ich in diesem Zusammenhang sehr hilfreich finde. Denn es bringt nichts, das „Virtuelle“ und das „Reale“ einander entgegenzusetzen. Die Erfahrungen, die Menschen online, offline oder medial vermittelt machen, unterscheiden sich zwar, sie sind dadurch aber nicht mehr oder weniger real. Wir leben in einer von digitalen Medien geprägten Welt und Kinder werden in diese hineingeboren. Vergemeinschaftung, soziale Beziehungen und ästhetische Erfahrungen sind stark durch digitale Kommunikationspraktiken geprägt.
Ausgehend von diesen Prägungen: Welche Verbindungslinien sehen Sie zwischen Medien und Kultur?
Eva Bürgermeister: Die BKJ vertritt ein weites Verständnis von Kultur, das alle kulturellen Ausdrucksformen, alle Künste, Spiel- und Lernwelten digital und analog einbezieht. In diesem Sinne ist jedes aktive Medienhandeln gelebte Kultur – und wir wissen, wie sehr Kultur, Bildung, Kommunikation, Alltag und Beruf von Medien geprägt sind. Im Kontext künstlerischen Schaffens ist wichtig, dass die Medien die herkömmlichen künstlerischen Sparten beeinflussen und entscheidend erweitern. Diese neuen künstlerischen Ausdrucksformen sind – selbstverständlich neben und mit den tradierten Kunstformen – für junge Menschen häufig besonders attraktiv.
Ist deshalb Digitalität ein so wichtiges Zukunftsthema für die Kulturelle Bildung?
Eva Bürgermeister: Ja. Die zunehmende Digitalisierung unserer Welt stellt uns – insbesondere als Pädagog*innen – vor immer komplexere Herausforderungen, die den Umgang und das Lernen mit und über Medien betreffen. Inwieweit Kulturelle Bildung die Herausforderungen der digitalisierten Lebenswelt und Jugendkultur bzw. Jugendmedienkultur zu integrieren und die Potenziale zu nutzen weiß, ist eine Frage der Nachhaltigkeit ebenso wie der Zukunftssicherung unseres Feldes.
Julia Nierstheimer: Die „Partnership for 21st century learning“ hat vier Kriterien formuliert, die für eine digitalisierte und demokratische Welt wichtig sind: Kommunikation, Kollaboration, Kreativität und kritisches Denken. Die Orte und Akteure der kulturellen Kinder- und Jugendbildung verfügen über fundierte Erfahrungen, erprobte Methoden und interessante Formate, die in digital-analogen Lernumgebungen immer wichtiger werden.
Und was gewinnt dabei die Kulturelle Bildung?
Julia Nierstheimer: Spartenangebote muss es auch weiterhin geben. Aber die Kulturelle Bildung kann durch Digitalität ihr Angebots- und Methodenrepertoire erweitern. Dazu gehören ganz klar medienpädagogische Grundlagen, Daten- und Jugendschutz im Netz – und vor allem Mut, etwas in Bereichen auszuprobieren, in denen man sich vielleicht (noch) nicht kompetent genug fühlt. Man kann digitale Medien, geeignete Apps und lernende Programme auch sehr gut mit Spartenangeboten verbinden: Das ist künstlerisch spannend, zeitgemäß und hilft, Kinder und Jugendliche über das Interesse an der Technik zusätzlich an die Einrichtungen und Angebote zu binden.
Was ist Ihrer Meinung nach die größte Aufgabe, der sich die Akteure der Kulturellen Bildung mit Blick auf Digitalität stellen müssen?
Julia Nierstheimer: Die wichtigste Aufgabe ist es, Kindern und Jugendlichen selbstbestimmte kulturelle Teilhabe in einer diversen, sich rasant veränderten Welt zu ermöglichen. Mit digitalen Medien können sich zwar mehr junge Leute auch unabhängig von ihrem Wohnort für gemeinsame Interessen vernetzen, die Digitalität verstärkt aber gleichzeitig auch vorhandene gesellschaftliche Probleme wie zum Beispiel Kinderarmut oder Bildungsbenachteiligung. Da hat die Corona-Pandemie ja wie ein Brennglas gewirkt.
Wer hätte noch vor einem Jahr gedacht, dass ein Internetanschluss, ein Endgerät und ein Schreibtisch Teilhabevoraussetzungen sind?
Julia Nierstheimer
Eva Bürgermeister: Jetzt gilt es, an den Corona-bedingten Digitalisierungsschub konsequent anzuknüpfen und die digitale Professionalisierung des Feldes systematisch und experimentierfreudig weiterzuentwickeln und zu verstetigen. Digitalität meint die Vielzahl der Bedingungen, unter denen Menschen in einer durch digitale Medien geprägten Kultur leben, und bezieht sich auf die vielfältigen neu entstehenden Formen von Kultur. Diese Veränderungen müssen wir kreativ, kritisch-konstruktiv und immer mit Blick auf die Bedürfnisse der Kinder und Jugendlichen begleiten. In diesem Sinn wollen wir als BKJ den Diskurs über die vielfältigen Facetten dieser zentralen Gestaltungsaufgabe fördern und als Träger junge Menschen konsequent einbeziehen, begleiten und unterstützen.
Um das Potenzial Kultureller Bildung für den digitalen Wandel zu nutzen – was braucht es dazu?
Eva Bürgermeister: Kulturelle Bildung ist ein wesentlicher Baustein für die Entwicklung und Gestaltung dieses wuchtigen Wandlungsprozesses. Dies ist unbestritten. Kulturelle Bildung bedeutet Persönlichkeitsbildung mit und in den Künsten, in allen Facetten, Formen und Spielarten kultureller Ausdrucksformen und pädagogischer Settings – also auch mit und für den digitalen Wandel. Sie verbindet partizipative Mitgestaltung und individuelles Empowerment mit gesellschaftlichen Fragestellungen. Die Gestaltung von Digitalität verlangt unserem Arbeitsfeld konsequent initiatives und innovatives Handeln ab, um die vielfältigen Bildungspotenziale nutzen zu können und zugleich junge Menschen immer wieder für unsere Angebote zu begeistern.
Wichtig sind kreative Vernetzungen, Offenheit, partizipative Konzepte sowie kompetente und mutige Fachkräfte.
Dr.in Eva Bürgermeister
Und kulturelle Bildungsangebote – auch Digital Literacy und Kulturelle Medienbildung – müssen sowohl an den formalen als auch den non-formalen Bildungsorten möglich sein und gefördert werden, damit alle Kinder und Jugendlichen und damit die Gesellschaft davon profitieren und damit wachsen können.
Julia Nierstheimer: Es braucht auch gesicherte Infrastrukturen für die Kulturelle Bildung vor Ort und zusätzliche Ressourcen: Zeit, Fachkräfte, Geräte, Möglichkeiten zum Experimentieren und zum Dazulernen, geeignete Räume, Wissen, Haltung. Das kostet natürlich Geld und braucht gute Rahmenbedingungen. Um die erforderlichen Transformationsprozesse für Kultur und Bildung im digitalen Zeitalter erfolgreich zu bewältigen, ist die ressortübergreifende Zusammenarbeit von Jugend-, Kultur- und Schulpolitik auf Bundes-, Länder- und kommunaler Ebene unerlässlich. Anknüpfend an den Digitalpakt Schule fordert die BKJ einen „Digitalpakt 2.0“, der den Auf- und Ausbau von öffentlich geförderten Programmen, Konzepten und Projekten ermöglicht, die medienpädagogisches und digitalitätsbezogenes Wissen in allen Angeboten und Einrichtungen der Kulturellen Bildung verankern. Einrichtungen der kulturellen Kinder- und Jugendbildung benötigen öffentliche Förderung für zusätzliche Räume, zusätzliche technische Infrastruktur und zusätzliche Fachkräfte sowie für die bedarfsorientierte Qualifizierung vorhandener Fachkräfte. Vor allem für freiberufliche Fachkräfte ist es notwendig, dass sie sich diese auch leisten können und Honorarausfälle angemessen kompensiert werden.
Das Positionspapier der BKJ zum Thema
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