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Aus der Praxis
Wie der „Kabarettungsdienst“ Politische und Kulturelle Bildung vereint
Kabarettgruppe „Kabarettungsdienst“, Wuppertal
29.07.24
Auf der Bühne stehen, gehört werden: Im Kabarett kann Tuana so sein, wie sie ist. Hier ist sie kreativ, bringt ihre Anliegen zur Sprache und engagiert sich gemeinsam mit anderen für gesellschaftliche Themen.
Von Katharina Hennecken
Foto: BKJ | Johanna Reiter
Foto: BKJ | Andi Weiland
Bild: Kabarettungsdienst
Im Nachmittagsbereich der Schule herrscht lautes Gelächter und ausgelassene Stimmung. Die Gags sind gut, das Lachen ansteckend. Wir sind in einer Probe des „Kabarettungsdienstes“ gelandet, einer jungen Kabarett-Gruppe aus Wuppertal und fester Bestandteil der kulturellen Arbeit an der UNESCO-Projektschule. „Wo sind die Sanitäter?“, hatte sich Tuana bei ihrem ersten Treffen mit dem „Kabarettungsdienst“ gefragt. Eigentlich hatten sie und ihre Freundinnen einen Erste-Hilfe-Kurs erwartet. Doch dann wird die damals 12-Jährige von der Kunstform in den Bann gezogen und ist neugierig genug, sich auf das Projekt einzulassen. Jetzt, zwei Jahre später ist sie festes Mitglied der Gruppe und bringt sich am liebsten mit witzigen Texten über ihre Schule oder Social Media auf der Bühne ein.
„Wir bringen Kinder und junge Erwachsene dazu, sich auf kreative Art und Weise mit politischen Themen auseinanderzusetzen“, erklärt Sebastian Paas, der das Theater-Projekt 2018 übernommen hat. 2023 mit dem Wuppertaler Springmann-Preis für Kunst und Kultur ausgezeichnet, trägt der „Kabarettungsdienst“ seit drei Jahrzehnten dazu bei, dass junge Menschen, ihr Potenzial erkennen und sich weiterentwickeln können. Das Besondere an dieser Konstellation: Nichts ist konstruiert. Requisiten, Musiksequenzen, die Beleuchtung, Werbung, Programmheft, Plakate und all das, was für eine Aufführung benötigt wird, wird von den Jugendlichen selbst realisiert. Auf natürliche und spielerische Weise setzen sich die zwischen 14- und und 18-Jährigen mit Themen auseinander, die sie interessieren und selbst mitbringen. So entwickeln sie ein politisches Interesse und bringen das in kreativer Form auf die Bühne.
„Kabarett pusht das Selbstbewusstsein sehr“
In dieser Saison stand KI aka „Künstliche Inkompetenz“ auf dem Programm, mit dem das Ensemble auch durchs Bundesland tourt. Die Inszenierungen sind über die Wuppertaler Stadtgrenzen hinaus bekannt und finden Anklang in Bochum, Düsseldorf und Barmen. Zum Beispiel veranstaltet der „Kabarettungsdienst“ für Interessierte Workshops, in denen sich die Teilnehmer*innen textlich und spielerisch im satirischen Rahmen ausprobieren können. „Seitdem ich im Kabarett bin, weiß ich, wie ich meine Meinung besser ausdrücken kann, sodass sich andere nicht direkt angegriffen fühlen. Kabarett pusht das Selbstbewusstsein sehr“, bemerkt Tuana.
Seitdem ich im Kabarett bin, weiß ich, wie ich meine Meinung besser ausdrücken kann, sodass sich andere nicht direkt angegriffen fühlen.
Tuana, Mitglied im „Kabarettungsdienst“
Für Dinge einzustehen und einen Rahmen zu finden, wie man diese mitteilt, sei für viele das größte Learning, weiß auch Sebastian Paas. Andere ausreden lassen und sich gegenseitig verstehen, sind Aspekte, die in der Gruppe besonders gelebt werden. „Ich liebe meine Kabarett-Famile“, sagt Tuana lachend, „am coolsten sind die Leute. Aber es macht mir auch Spaß auf der Bühne zu stehen, Texte zu schreiben und kreativ zu werden.“ Ganz nebenbei treten die Jugendlichen also aus ihrer Komfortzone, legen auf der Bühne Ängste ab und lernen ein respektvolles Miteinander.
Schnittstelle zwischen Kultureller und Politischer Bildung
Tuana bemerkt, dass sie mit Kabarett etwas bewegt. Nicht nur bei sich selbst stellt sie fest, dass sie viel „offener, selbstbewusster und kreativer“ geworden ist, sondern auch bei ihren Kabarett-Kolleg*innen: „Wir hatten welche bei uns in der Gruppe, die haben sich nicht mal getraut in der Klasse was vorzulesen und mittlerweile stehen die bei uns auf der Bühne und hauen ohne Probleme Gags raus – das ist richtig cool!“ Sich auf die lockere Herangehensweise einzulassen und dabei nicht nur sich selbst zu entwickeln, sondern mit den gespielten Programmen auch Menschen zu erreichen, deren Wahrnehmung man verändern kann, macht ihr Spaß.
Film: Auf der Bühne stehen, gehört werden beim „Kabarettungsdienst" in Wuppertal
Schwere Themen und Kritik lassen sich mit Humor und einem Augenzwinkern leichter ins Publikum tragen, auch zu der älteren Generation. „Ich finde es schön, dass sie sehen, dass wir Jugendliche nicht nur wie Aliens vor dem Handy hängen, sondern uns genauso für wichtige Themen, wie Rassismus interessieren“, beschreibt Tuana. Erst mit Kabarett habe sie angefangen, sich intensiver mit politischen Themen auseinanderzusetzen und sich für Politik zu interessieren. Darüber hinaus engagiert sie sich mittlerweile auch als Schülersprecherin, etwas, dass sie sich vor ihrer Zeit beim „Kabarettungsdienst“ niemals zugetraut hätte.
Kulturelle Bildung macht junge Menschen sichtbar
„Ich merke, dass Kabarett eine großartige Möglichkeit ist, junge Leute zu hören und ihnen einen Raum zu geben, in dem sie wahrgenommen werden“, sagt Sebastian Paas. Der Pädagoge hat während seines Abiturs und Studiums viel Zeit mit Theaterspielen verbracht, bis es ihn dann schließlich in die Regie gezogen hat und er sich nun eher hinter den Kulissen aufhält. Der spielerische Zugang erlaube jungen Menschen, sich aktiv in demokratische Prozesse einzubringen und sie kreativ an ihnen teilhaben zu lassen. „Insofern ist Kulturelle Bildung ein wichtiger Baustein, den unsere Gesellschaft für Demokratie braucht“, sagt der Leiter.
Es ist wichtig, junge Menschen dort abzuholen, wo sie stehen, um sie an unserer Gesellschaft teilhaben zu lassen. Kreative Ansätze sind notwendig, um junge Menschen zu erreichen – und das geschieht ganz organisch, selbstverständlich und spielerisch in der Kulturellen Bildung.
Sebastian Paas, Medienpädagoge und Leiter des "Kabarettungsdienst"
Tuana hat bereits Pläne, ihre Begeisterung für das Kabarett nicht nur auf der Bühne nach außen zu tragen. Sie fände es toll, wenn sich noch mehr Gleichaltrige in ihrem Ensemble engagieren würden. Mit einem TikTok-Account würde sie gerne einen Blick hinter die Kulissen werfen: „Ich will zeigen, dass wir eine richtig coole Gruppe sind!“ Im Proberaum lässt sich das an diesem Nachmittag bereits deutlich spüren. Und auch Sebastian Paas ist es ein Anliegen, Kulturelle Bildung noch zugänglicher zu machen: „Es ist wichtig, junge Menschen dort abzuholen, wo sie stehen, um sie an unserer Gesellschaft teilhaben zu lassen. Kreative Ansätze sind notwendig, um junge Menschen zu erreichen – und das geschieht ganz organisch, selbstverständlich und spielerisch in der Kulturellen Bildung. Kulturelle Bildung sichtbar zu machen, bedeutet junge Menschen sichtbar zu machen.“
Die Kabarettgruppe „Kabarettungsdienst“ ist ein wesentlicher Baustein der Kulturellen Bildung in Wuppertal. In den jährlich aktuellen politisch-satirischen Programmen stehen neben den Themen der Jugendlichen auch Entwicklungs- und Nachhaltigkeitsziele der UN im Mittelpunkt. Die Praxisreportage ist entstanden im Rahmen von „Machmamit! – Finde, was deins ist“ der Kampagne für Kulturelle Bildung der Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung (BKJ).
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