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Aus der Praxis
Stärken zeigen durch starke Verzahnung von Bildung und Kultur
Gröpelingen/Bremen
24.01.20
Ein Bildungszentrum ist Dreh- und Angelpunkt der wachsenden Bildungslandschaft in Bremen-Gröpelingen. Struktureller Armut und den Herausforderungen hoher Heterogenität begegnet es mit spartenübergreifender Bildung und schafft Raum für Beratung, Kultur und Austausch.
Bild: Kerstin Rolfes
Bild: Kerstin Rolfes
Bild: Kerstin Rolfes
Punkt Eins: Ein gemeinsames Bildungsverständnis für den Stadtteil
Der Armuts- und Reichtumsbericht der Arbeitnehmerkammer Bremen im Jahr 2009 mit erschreckenden Zahlen zur Kinderarmut war ausschlaggebend: „Wir wollten Empowerment von Kindern und Jugendlichen fördern“, erinnert sich Frauke Kötter, „um sie stark zu machen und eine Armutsspirale perspektivisch zu durchbrechen“. Frauke Kötter ist Mitarbeiterin im gemeinnützigen Verein Kultur vor Ort e. V., der die ersten Schritte auf dem Weg zu einer Bildungslandschaft initiierte. „Unser Vorschlag an die damalige Senatorin für Bildung und Wissenschaft war es, im Rahmen des Programms ‚Lernen vor Ort‘ ein Lokales Bildungsbüro für den Stadtteil einzurichten“. Das hat geklappt. Mit Frauke Kötter als Leitung hat es heute zwei Mitarbeiter*innen und ist direkt an den Verein angegliedert. Während der Programmlaufzeit von „Lernen vor Ort Bremen/Bremerhaven“ gab es sogar fünf Vollzeitstellen, die den Aufbau der Bildungslandschaft wesentlich vorantrieben.
Bildung ist eine Querschnittsaufgabe, die alle was angeht – auch Menschen, die nicht in der Schule arbeiten.
Frauke Kötter
Im Stadtteil waren sie sich damals schnell einig, dass eine positive Entwicklung im Stadtteil nur über ein gemeinsames Verständnis von Bildung erreicht werden kann. „Wir müssen an Bildung ansetzen, an Kultureller Bildung, an Selbstbildung, aber in der Konsequenz auch an formaler Bildung“, sagt sie. Schulen, Kitas, Stadtteileinrichtungen, außerschulische Bildungseinrichtungen der offenen Jugendarbeit, Kulturpartner aber auch Ortspolitiker*innen und Fachressorts kamen in Bildungskonferenzen zusammen. Mit Erfolg. „Wir konnten dadurch ein breites Bildungsverständnis im Stadtteil schaffen, das noch heute gilt. Bildung ist eine Querschnittsaufgabe, die alle was angeht – auch Menschen, die nicht in der Schule arbeiten“, sagt Frauke Kötter. Dazu gehört auch, dass sich formale und Kulturelle Bildung so verzahnen, „dass die Potenziale jeder Institution, jeder Gruppe und jedes Konzepts erhalten bleiben und alles miteinander zu einer besonderen Kraft kommt“, ergänzt Lutz Liffers. Im Programm „Lernen vor Ort“ hat er den Aufbau der Gröpelinger Bildungslandschaft maßgeblich vorangetrieben.
Gestaltungsmacht hat man nur, wenn man zu eigenen Gedanken und eigenen Worten kommt – und sich traut, diese auszudrücken. Sei es in Bildern, Bewegung, Protest oder anders.
Lutz Liffers
Die Schwächen als Stärken begreifen
Das Ende von „Lernen vor Ort“ im Jahr 2014 war der Anfang eines Bildungszentrums mitten im Stadtteil: Das Quartiersbildungszentrums, kurz QBZ Morgenland. Hier werden bis heute die Themen aus den Bildungskonferenzen in Fachtagen, Vorträgen, Arbeitsgruppen, Fort- und Weiterbildungen aufgegriffen. „Dass die Bildungsakteure im Stadtteil moderieren, begleiten und coachen, ist der dritte Teil der Arbeit“, sagt Frauke Kötter. Der erste Teil ist das Hausmanagement, damit verschiedene Träger der Jugend- und Kulturarbeit sowie Künstler*innen hier Projekte durchführen können. Der zweite Teil ist die Projektentwicklung durch das Lokale Bildungsbüro selbst, indem Kooperationen zwischen Kindertagesstätten oder Schulen und freien Trägern der Kulturellen Bildung und Jugendarbeit erdacht werden.
Ob ein Projekt im QBZ stattfindet, wird anhand eines inhaltlichen Nutzungskonzepts entschieden. Und das nimmt v. a. Sprache in den Fokus. Denn: In Gröpelingen sind „Mehrsprachigkeit und kulturelle Vielfalt“ die zentralen Themen, die in diesem sehr heterogenen Stadtteil Bremens, als seine Stärken statt Schwächen gedeutet werden. Sprachkurse und kreative Sprachbildungsprojekte für Kinder, Jugendliche und Erwachsene machen einen großen Teil der Angebote aus. Übersetzer*innen in den Projekten sind selbstverständlich dabei. So können migrantische Communities alle Angebote direkt mit erproben. Für das Bildungsbüro ist das eine Art übergeordnete Strategie, durch die Teilhabegerechtigkeit geschaffen werden kann.
Kultureller Bildung eine eigene Wertigkeit verschaffen
Das QBZ Morgenland steht in direkter Verbindung zu den Gröpelinger Schulen. Teilweise nur über eine Treppe. Andere Schulklassen kommen mit dem Bus. Durch die Sprachprojekte wird ein „Spannungsbogen“ aufgebaut, „der sich nicht ausschließlich am Curriculum der Schule orientiert“, sagt Lutz Liffers. Die jüngeren Kinder arbeiten im Buchstabenlabor, suchen und finden Buchstaben in den Gröpelinger Straßen und erstellen in der nächsten Klasse ihr eigenes Buch. „Das visuelle Erleben und Herstellen schafft ein völlig neues Erfolgserlebnis“, meint Lutz Liffers. Und weiß auch, dass es jahrelange gemeinsame Erfahrung braucht, damit alle Beteiligten verstehen, dass diese Art der Selbstbildung sehr wertvoll für Kinder und Jugendliche ist. Nicht alle behandelten Themen haben nämlich einen „Glanzcharakter“. Und das war für Schulleitung und Lehrer*innen schwierig zu akzeptieren. „Mittlerweile haben wir alle gelernt, dass die Mühe, sich mit einem Thema künstlerisch auseinanderzusetzen, nicht vergebens ist. Im Gegenteil.“ Kulturelle Bildung hat in Gröpelingen einen hohen Stellenwert und innerhalb der Schulstrukturen seine eigene Daseinsberechtigung bekommen. Dabei bewahrt das QBZ Morgenland den eigenständigen, non-formalen Charakter der Angebote und bietet eine Beständigkeit, einen Ort, an dem Akteure und Teilnehmer*innen gleichermaßen immer wieder zusammenfinden können – auch in der Freizeit.
Das Potenzial der Kulturellen Bildung sieht Frauke Kötter außerdem darin, dass alle Beteiligten einbezogen werden können. „Bei einem Theaterprojekt können sich Eltern und Kinder, Lehrer*innen und Schüler*innen ganz anders begegnen“. So wird das „Weltwissen“ aller einbezogen und ihre individuellen Themen, Interessen und Stärken sichtbar. „Wir setzen Kulturelle Bildung ein, um Barrieren zu Eltern abzubauen, um der mehrsprachigen Schülerschaft auf Augenhöhe zu begegnen und um die Themen und Interessen der Kinder und Jugendlichen aufgreifen zu können“. Eine Herausforderung bleibt noch: Die Interessen der Bildungsakteure richtig zusammenbringen. „Die Idee ist, dass unsere Fachtage tatsächlich breiter wahrgenommen und als Ort für Vernetzung und Austausch für institutionsübergreifende Kooperationen gedacht werden.“ So soll die Bildungslandschaft fruchtbarer werden.
Kulturelle Bildung löst nicht die strukturellen Probleme, die in Gröpelingen existieren. Dessen sind sich die Akteure bewusst. Aber durch eine eng vernetzte Bildungslandschaft, die formale und Kulturelle Bildung zusammendenkt, gibt man denen Gestaltungsmacht, die davon betroffen sind. „Und Gestaltungsmacht hat man nur, wenn man zu eigenen Gedanken und eigenen Worten kommt – und sich traut, diese auszudrücken. Sei es in Bildern, Bewegung, Protest oder anders“, meint Lutz Liffers.
Text: Maxi Böhme
Der Text ist erstveröffentlicht in der Arbeitshilfe „Bildungslandschaften. Perspektive Kinder- und Jugendarbeit“ der Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung (2019):
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