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Interview
Mit allen Generationen: Hin zu einer „alternsfreundlichen“ Kultur
Im Gespräch mit Nina Lauterbach, Wissenschaftliche Mitarbeiterin beim Kuratorium Deutsche Altershilfe (KDA)
20.11.23
Der Begriff Alter ruft eher negative Assoziationen hervor. Nina Lauterbach-Dannenberg zeichnet ein differenziertes Bild einzelner Lebensphasen und empfiehlt jungen Menschen und verschiedenen Generationen voneinander zu lernen und gemeinsam kulturell aktiv zu sein – für intergenerationelle Teilhabe.
Nina Lauterbach-Dannenberg ist Gerontologin und arbeitet als Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Projekt Regionalbüros Alter, Pflege und Demenz in NRW und begleitet zusammen mit kubia das Netzwerk Demenz und Kulturelle Teilhabe NRW.
Foto: Kuratorium Deutsche Altershilfe
Was wird allgemein unter Altern verstanden und was damit verbunden?
Oftmals dominieren eher negative Altersklischees und -stereotype aufgrund der öffentlichen Diskussionen über Schrumpfung, Alterung und die als Last empfundene Belastung des Alterns. Für einen optimistischen Diskurs über die Potenziale des Alterns sollte die Formulierung „die Alten“ vermieden werden. Vielmehr ist „das Altern“ ein dynamischer Prozess einer heterogenen Gruppe, die auf verschiedenen Ebenen altert: chronologisch, psychologisch, funktional und sozial.
Gerontolog*innen differenzieren zwischen den "jungen Alten" (ca. 55 - 69 Jahre), älteren Menschen (von ca. 70 - 80 Jahre) und "Hochaltrigen" (von 80 - 99 Jahren) und den immer häufiger vorkommenden Langlebigen (ab 100 Jahren). Aber auch eine Differenzierung auf vertikaler Ebene in Bezug auf Lebensphase, Lebenslage und Lebensraum ist entscheidend. Das Lebensphasen-Konzept betont z.B. die "Gestaltung von Übergängen", was bedeutet, dass es wichtig ist, nicht nur das Alter als statische Phase zu betrachten, sondern auch die Übergänge zwischen verschiedenen Lebensphasen zu berücksichtigen. Diese Übergänge können bedeutende Veränderungen im Leben älterer Menschen darstellen und erfordern spezifische Unterstützung und Anpassungen. Ein differenzierter Blick ermöglicht es, die individuellen Bedürfnisse, Präferenzen und Fähigkeiten, aber auch die spezifischen Herausforderungen älterer Menschen besser zu verstehen. So können passende Maßnahmen und Angebote zur Unterstützung und auch Förderung entwickelt werden.
Meiner Meinung nach gehört es zur Bildung in einer Gesellschaft, allen Altersgruppen zuzuhören und Schnittmengen zu erkennen. Das funktioniert gut über kulturelle Teilhabe. Nur mit der Hälfte der Gesellschaft die Gesellschaft zu gestalten, geht nicht.
Nina Lauterbach-Dannenberg
Welche Faktoren spielen eine Rolle, wenn es um Integration und Teilhabe älterer Menschen geht?
Auf sozialer Ebene sind ältere Menschen in vielfältigen sozialen Kontexten und Lebenssituationen eingebunden. Das erfordert eine sehr individuelle Herangehensweise zur sozialen Integration und Teilhabe. Auf vertikaler Ebene wird soziologisch zwischen Lebensphase, Lebenslage und Lebensraum differenziert. Die Lebensphase bezieht sich eher auf die biologischen Aspekte des Alterns, während die Lebenslage auch die sozialen und wirtschaftlichen Bedingungen älterer Menschen in den Blick nimmt. Der Lebensraum umfasst wiederum die räumlichen Begebenheiten und Infrastrukturen in der Umgebung eines älteren Menschen. Neben dem Umfeld sind auch schwer messbare Faktoren wie subjektive Wahrnehmung sowie die möglichen Spielräume für Kontakte, Kooperationen, Lernen und Erfahrung relevant.
Wie ist der Zusammenhang zwischen ländlichen Räumen und Altern?
Genau wie das Altern wird auch der ländliche Raum oft problemorientiert betrachtet, mit Defizitnarrationen wie Verfall, Entvölkerung, Mobilitätsverlust. Gleichzeitig gibt es eine mediale Romantisierung. Bei der Betrachtung von demografischen Faktoren zeigt sich, dass sich die Merkmale von ländlichen Räumen als Lebensumfeld und die des Alters mit all seinen Chancen und Herausforderungen gegenseitig potenzieren. Die einzelnen Merkmale sind zwar nicht ursächlich für eine Benachteiligung von Menschen, können aber in ihrer Kombination dazu führen, dass sich die Teilhabechancen älterer Menschen verringern. Sie werden zusätzlich erschwert durch geringere Mobilität, die aus sozialer Einschränkung und Pflegebedürftigkeit resultiert. Im Ländlichen verschärft sich das noch einmal durch längere Wege und geringere Mobilitätsinfrastruktur. Soziale Netzwerke schrumpfen, Freund*innen versterben und Jüngere wandern ab. Der Generationenaustausch droht zu verschwinden. Aufgrund des Mangels an Einwohnerdichte, abnehmender Infrastruktur und der problembehafteten Sicht auf ländliche Räume entsteht auch eine Abwärtsspirale für kulturelle Teilhabe.
Als wissenschaftliche Mitarbeiterin beim KDA empfehlen Sie innovative und eigensinnige Strategien im Bildungs- und Kulturbereich. Was verstehen Sie darunter?
Für die kulturelle Teilhabe und Bildung verschiedener Altersgruppen spielen auch schwer messbare, weiche Faktoren wie eine förderliche "alternsfreundliche" Kultur oder Haltung eine bedeutende Rolle. Kommunen agieren dabei als Vermittlerinnen und Botschafterinnen, indem sie nicht nur öffentlichkeitswirksam arbeiten, sondern auch Räume und Möglichkeiten schaffen, die es allen Menschen ermöglichen, barrierearme Projekte guter Praxis zu erleben.
Ein konkretes Beispiel dafür ist, wenn Menschen mit Demenz und ihre Angehörigen gemeinsam an einem Mittwochnachmittag eine Arztpraxis zur Theaterbühne machen. Oder sich ein Museumsraum für die Teilhabe Älterer öffnet und sich dabei von althergebrachten Zielen der Kunstvermittlung verabschiedet. Oder Menschen in Pflegeheimen kreativen Ausdruck finden, der nicht der Logik Sozialer Arbeit, sondern des künstlerischen Ausdrucks folgt und es dann eine große Ausstellung dieser Kunst im öffentlichen Raum gibt. Dies erfordert von der Kommune ein innovatives Vorgehen, bei dem Akteure aus dem Kulturbereich, der offenen Altenhilfe, Vereinen und dem gewerblichen Bereich miteinander vernetzt werden.
Die Einbeziehung nicht nur junger, sondern auch älterer Menschen bei der Entwicklung von Strategien und Konzepten sowie ihre aktive Mitgestaltung des eigenen Nahraums schaffen erstaunliche Chancen für die Weiterentwicklung von Kommunen. Dafür muss man manchmal auch ungewöhnliche Vernetzungs-Wege gehen.
Welche Aufgabe hat die Kommune, um das von Ihnen beschriebene innovative und vernetzte Vorgehen zu verwirklichen?
Kommunen haben den Arbeitsauftrag, Dienstleistungs- und Unterstützungsstrukturen für ältere Menschen zu schaffen und sollten die Menschen dabei einbeziehen. In einem Haltungswechsel für eine „alternsfreundliche“ Kultur steckt unwahrscheinliches Potenzial, doch diese Chance wird oft nicht begriffen, wenn Herausforderungen wie die alternde Bevölkerung, Abwanderung und Migration die Finanzen belasten. Es braucht „alternspezifisches “ Wissen und „alternsgerechte“ Kompetenzen, um diverse Altersphasen in ihrer Differenziertheit zu berücksichtigen und gemeinsam mit Akteur*innen aus allen gesellschaftlichen Bereichen Ermöglichungsstrukturen zu schaffen. Ohne ein generationsübergreifendes Selbstverständnis von der Beteiligung aller Menschen bleibt eine Kommune hinter ihren Möglichkeiten zurück.
Ohne ein generationsübergreifendes Selbstverständnis von der Beteiligung aller Menschen bleibt eine Kommune hinter ihren Möglichkeiten zurück.
Nina Lauterbach-Dannenberg
Wie kann ein intergenerationeller Austausch auch Kindern und Jugendlichen zugute kommen?
Bestenfalls sollten schon in jungen Jahren positive Erfahrungen im Sinne eines Selbstverständnisses einer alternsgerechten Gesellschaft gemacht werden, um dies in die wachsenden Jahre hineinzutragen. Für alternssensibles Denken und Handeln braucht es das Bewusstsein, dass man selbst auch altert und dieselben Übergänge gestalten muss. In einer Gesellschaft gibt es gleichzeitig verschiedene Generationen, die häufig als die Alten und die Jungen gegenübergestellt werden. Das kann zu Konflikten führen. Laut Miriam Haller vom Kompetenzzentrum für Kulturelle Bildung im Alter und inklusive Kultur (kubia) kann intergenerationelles kulturelles Lernen zur Überwindung von Generationenambivalenzen führen. Die verschiedenen Generationen können miteinander, voneinander und übereinander lernen, wenn sie gemeinsam kulturell aktiv sind und so der Raum für individuelle Begegnung und Erfahrung aufgemacht wird. Kulturelle Bildung hat dabei eine enorme Bedeutung, weil sie Lebensqualität steigert, gesund hält und Teilhabe sichert. Außerdem können die Ambivalenzen mit Hilfe von Künsten und Kultur reflektiert und kreativ genutzt werden, statt sie zu verfestigen. So schaffen wir Möglichkeiten kultureller Teilhabe und des intergenerationellen Verständnisses. Wenn Hierarchiegefälle abgebaut werden, profitieren auch die Jüngeren.
Kulturelle Bildung hat eine enorme Bedeutung, weil sie Lebensqualität steigert, gesund hält und Teilhabe sichert.
Nina Lauterbach-Dannenberg
Wie sieht Ihre Zukunftsvision für eine ideale Gesellschaft aus?
Meiner Meinung nach gehört es zur Bildung in einer Gesellschaft, allen Altersgruppen zuzuhören und Schnittmengen zu erkennen. Das funktioniert gut über kulturelle Teilhabe. Nur mit der Hälfte der Gesellschaft die Gesellschaft zu gestalten, geht nicht. Das Alter ist ja nur ein Merkmal eines Menschen. Hinzu kann ja noch kommen, dass ein Mensch in einem bestimmten Alter zum Beispiel weiblich ist, einen Migrationshintergrund hat und in guter sozialer Lage im urbanen Raum lebt. Meine Vision ist, dass wirklich alle Menschen gefragt werden: „Was möchtest du beitragen zur Gestaltung der Räume, in denen du dich bewegst?“ So erhalten Räume ein subjektives Verständnis und eine persönliche Bindung. Gesellschaft sollte dazu einladen!
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